Vor dem Achtelfinal gegen Dänemark warnt der DFB-Direktor vor den Qualitäten des Gegners. Für die Deutschen liegt das Risiko in ihrer Favoritenrolle.

Dänemark? Rudi Völler zuckt mit den Schultern. Mit Dänemark, sagt er, verbinde er zahlreiche Erinnerungen aus seiner Zeit als aktiver Fussballer, vor allem jene, als er 1992 zum Final der Europameisterschaft nach einer Verletzung eingeflogen wurde. Geholfen hatte es nichts, die Dänen gewannen 2:0.

Damals zählte Völler zu den besten Stürmern des Planeten, zwei Jahre zuvor war er Weltmeister geworden. Heute, mit 64 Jahren, ist Völler Direktor des Deutschen Fussball-Bundes (DFB), er steht dem Bundestrainer Julian Nagelsmann zur Seite. Manche sagen, er sei so etwas wie der gute Geist in der deutschen Delegation an dieser Europameisterschaft. Und als solcher fühlt sich Völler für die Stimmung zuständig: vor dem Spiel gegen Dänemark, dem Achtelfinal, den die deutsche Mannschaft am Samstagabend im Dortmunder Westfalenstadion absolviert.

Völlers Horizont reicht bis Bremen

Die Dänen also. Mit ihnen, sagt Völler, verbinde ihn ausserhalb des Fussballs nicht viel, der Horizont der deutschen Fussballikone endet nach eigener Auskunft in der Hansestadt Bremen, wo er lange für Werder spielte. Und natürlich bemüht Völler in diesem Augenblick die üblichen Warnungen, die in einer solchen Situation angezeigt sind. Dass der Gegner nicht zu unterschätzen sei, was auch am Trainer Kasper Hjulmand liege.

Die vermeintlich einfache Lösbarkeit der Aufgabe birgt das grösste Risiko für die Deutschen. Völler weiss das, Julian Nagelsmann weiss das und vielleicht auch der eine oder andere Spieler. Denn ein Ausscheiden gegen die Dänen würde den deutschen Fussballern an der Europameisterschaft vor eigenem Publikum kaum verziehen werden.

Erstmals überhaupt während der deutschen EM-Kampagne hat sich Völler vor den Medien blicken lassen. Der Zeitpunkt ist gut gewählt: Das 1:1 gegen die Schweiz kam gerade noch früh genug, um die Deutschen von riskanten Gewissheiten zu kurieren: Der Match gegen die glänzend disponierte Equipe Murat Yakins zeigte allerlei Defizite auf, und diese waren nicht allein der Stärke des Gegners geschuldet, sondern einer starren Konzeption des Trainers Nagelsmann, der vor Monaten noch keine Gelegenheit ausgelassen hatte zu illustrieren, wie flexibel seine Idee vom Fussball doch ist.

So kam es, dass er mit zwei vorbelasteten Innenverteidigern – Jonathan Tah und Antonio Rüdiger – in die Partie gegen die Schweiz ging. Rüdiger verletzte sich während des Spiels, sein Einsatz gegen die Dänen war bis zum Freitag ungewiss, Tah hingegen kassierte eine unnötige zweite gelbe Karte, weshalb er gegen die Dänen fehlen wird.

Nagelsmann pokert hoch

Nun ist es gewiss kein gutes Zeichen, wenn ein Trainer nach bereits geschaffter Qualifikation mit der zweiten Mannschaft antritt. Die Portugiesen haben gegen Georgien eindrücklich gezeigt, wie schief das gehen kann.

Doch eine Schonung gewisser DFB-Spieler hätte durchaus sinnvoll sein können, denn es drohte die Gefahr, dass Nagelsmann gegen Dänemark auf eine komplett neue Innenverteidigung setzen muss. Dezente Hinweise von Kritikern darauf, dass er den Routinier Mats Hummels von Borussia Dortmund nicht in das Kader berief, haben mitunter einen ironischen Unterton.

Völler indes sieht, zumindest offiziell, vor dem Achtelfinal keine Personalnot. Schliesslich verfüge die Mannschaft über so hervorragende Innenverteidiger wie Hummels’ Dortmunder Mitspieler Nico Schlotterbeck und Waldemar Anton. Der, so sagte Völler, sei nicht umsonst von vielen Vereinen umworben worden, habe sich aber schliesslich für Borussia Dortmund entschieden.

In diesem Augenblick spitzten sämtliche Zuhörer die Ohren: Völler hatte unfreiwillig den Transfer des Stuttgarters Waldemar Anton zum BVB ausgeplaudert – in aller Ungezwungenheit. Genau diese Eigenschaft, diese schnodderige Nonchalance schätzt das deutsche Fussballvolk generationenübergreifend seit bald vier Jahrzehnten an Rudi Völler.

Vor anderthalb Jahren war Völler zum Direktor des DFB-Teams berufen worden. Damals war es eine Überraschung, vor allem aber eine Konzession. Nach dem Scheitern der Deutschen bei der Weltmeisterschaft in Katar brauchte der Verband eine Figur, die allenthalben Sympathien geniesst. Dass Rudi Völler eine so logische wie naheliegende Wahl war, sagt auch etwas darüber aus, wie wenige allseits beliebte Figuren es im deutschen Fussball gibt.

Man würde einem Mann mit Völlers Verdiensten zu nahe treten, würde man ihn als Grüssaugust bezeichnen. Aber Völler war und ist eine Galionsfigur der Fans. Und dennoch hat er einen unschätzbaren Wert für die Equipe, was besonders nach der Entlassung Hansi Flicks im vergangenen Herbst deutlich wurde. Völler sprang für die Dauer eines Spiels als Coach ein, Frankreich wurde bezwungen – Deutschland hatte seinen Volkstribunen. Trotzdem wollte er, obschon frenetisch gefeiert, nach seinem Engagement in den frühen 2000er Jahren nicht noch einmal Nationaltrainer werden.

Mit dem Trainer Nagelsmann kann Völler gut leben, und der Trainer wohl auch mit seinem Sportdirektor. Ob er eine Vaterfigur sei, wurde Völler gefragt, was dieser prompt verneinte, wobei keineswegs von der Hand zu weisen ist, dass Völler derzeit so etwas wie die Funktion des Herbergsvaters innehat. Hier und dort mal zu löschen, wenn es brennt, das sieht er auch als seine Aufgabe an, bisher allerdings sei das nicht nötig gewesen.

Kimmich gibt Rätsel auf

Dabei hätte es durchaus Anlass dazu gegeben. Die Frage, wie es um Joshua Kimmich bestellt ist, ist zweifellos eine der brisanteren bezüglich des deutschen Kaders. Kimmich, für gewöhnlich ein Garant für Stabilität, machte in seinen bisherigen Auftritten zwar nicht viel verkehrt, doch als Rechtsverteidiger ergreift er kaum je die Initiative.

Ohnehin wirkt der inzwischen 29-Jährige in seinem Auftreten relativ unglücklich. Dazu trug auch die jüngst im ZDF veröffentlichte Dokumentation über Kimmich bei, in der er seinem Arbeitgeber, dem FC Bayern, vorwarf, ihn während der Covid-Pandemie alleingelassen zu haben, als Kimmich den Segnungen der Impfung misstraute.

Zwar ist es Kimmich unbenommen, diese Diskussion anzustossen. Die Frage ist bloss, warum das an einem Turnier geschieht, an dem die deutsche Mannschaft durchaus Chancen hat, weit zu kommen. Für Rudi Völler sind das allenfalls Petitessen. Für ihn geht es um den Titel. Wie solche zu gewinnen sind, weiss er schliesslich am besten.

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