Samstag, Oktober 19

Unter Thierry Burkart macht sich der Freisinn daran, die SVP auf ihrem ureigenen Terrain zu bedrängen: der Asylpolitik. Am Samstag haben die Delegierten in Tenero ein neues, ziemlich hartes Forderungspapier verabschiedet.

FDP-Präsident Thierry Burkart machte kürzlich eine Bemerkung, die die Konkurrenz rechts wirklich schmerzt: «Die SVP kippt in vielen Fragen immer mehr ins linke Lager.» Die SVP werde «zur gewöhnlichen europäischen rechtspopulistischen Partei und verliert ihre wirtschaftsliberale Ausrichtung.»

Wer sind die wahren Bürgerlichen?

Das ist gemein, aber nicht ganz falsch. Denn die SVP war ursprünglich keine Wirtschaftspartei. Erst Christoph Blocher gab ihr vor etwas mehr als zwanzig Jahren ein neues Profil bei Finanz- und Wirtschaftsthemen. Er nutzte dabei geschickt die Vertrauenskrise der FDP, die zwischen Swissair-Grounding und Finanzkrise ihre Glaubwürdigkeit verloren hatte.

Seit sich Christoph Blocher zurückgezogen hat, fällt es der neuen Parteispitze immer schwerer, die Basis auf Kurs zu halten: Ob Rente, Berufsvorsorge oder einheitliche Finanzierung von medizinischen Dienstleistung – manchmal stimmt gegen die Hälfte der SVP-Wählerinnen und -Wähler mit der SP und den Gewerkschaften.

Dem Freisinn, der unter Burkart sein liberal-bürgerliches Profil wieder geschärft hat, ist die schwache linke Flanke der Konkurrenz nicht verborgen geblieben. Burkart will seiner Partei deshalb vor allem eine Botschaft mitgeben: Wir sind die wahren Bürgerlichen. Der Hintergedanke: Den verbliebenen Rechtsliberalen in der SVP eine neue alte Heimat anzubieten.

Um das zu erreichen, hat die FDP einige Änderungen vorgenommen. Zum Beispiel im Generalsekretariat unter Jonas Projer. In den Medienmitteilungen liest man nun keine Wortwolken mehr, sondern klare Ansagen wie diese: «Vincenzo Mascioli, neuer Asylchef des Bundes: Hier ist Ihr Pflichtenheft.»

Und nun also auch die Asylpolitik. Davor wurde die FDP immer gewarnt, und davor ist die Partei bisher noch immer zurückgeschreckt. Man kann die SVP auf ihrem ureigenen Terrain nicht schlagen, sagten Experten. Wer versucht, der SVP die Hoheit über Themen wie Asylmigration oder Sicherheit abzusprechen, macht sie nur stärker.

Doch es gibt Gegenbeispiele. In Dänemark legten die jahrzehntelang tonangebenden Sozialdemokraten erst wieder zu, als sie begannen, die Probleme im Asylwesen klar zu benennen. Eine ähnliche Erfahrung machten die Niederlande, wo Mark Rutte versucht, mit seiner rechtsliberalen VVD die rechtspopulistische Freiheitspartei von Geert Wilders in Schach zu halten.

Deshalb fordert die FDP nun auf 136 Zeilen eine konsequentere Asylpolitik. Und deshalb ist das Papier an der Delegiertenversammlung in Tenero auch mit 228 Ja zu 4 Nein verabschiedet worden.

Die Forderungen lauten:

  1. Grenzen besser sichern.
  2. Den Familiennachzug bei vorläufig Aufgenommenen auf das absolute Minimum beschränken.
  3. Abgewiesene Asylbewerber konsequenter rückführen.
  4. Abkommen mit Drittstaaten anstreben.
  5. Wiederholungstäter – auch Kleinkriminelle – in einem Zentrum für Renitente unterbringen, bis sie ausgeschafft werden können.
  6. Dublin-Abkommen konsequent anwenden und Druck auf Länder ausüben, die sich weigern,  Asylsuchende, die über ihre Grenze eingereist sind, zurückzunehmen.
  7. Asylrecht strikt durchsetzen und Asylsuchende wieder konsequent nach den Kriterien der Genfer Flüchtlingskonvention beurteilen.
  8. Kantone und Gemeinden entlasten und den Datenaustausch zwischen den Kantonen ermöglichen.
  9. Missbrauch konsequent bekämpfen, Schlupflöcher schliessen und die Sicherheitskontrollen ausbauen.

Die FDP hat sich schon immer für eine faire, aber konsequente Asylpolitik ausgesprochen. Im neuen Papier hat sie den Tonfall nun verschärft und auch einige neue Forderungen aufgestellt.

Thierry Burkart hatte die Verschärfung des Asylkurses bereits Anfang September in einem Interview mit der NZZ angekündigt. «Wir hatten allein im letzten Jahr über 30 000 Asylgesuche, vornehmlich aus Afghanistan, der Türkei, aus Eritrea oder aus den Maghreb-Staaten», so Burkart. Obwohl nur rund ein Viertel der Flüchtlinge anerkannt worden seien, hätten im Jahr 2023 gerade einmal 4316 abgewiesene Asylsuchende die Schweiz verlassen. Die Bevölkerung reagiere mit zunehmender Ablehnung auf diese Politik des Laisser-faire. Deshalb brauche es einen Politikwechsel im Asylbereich.

Eine Forderung der FDP lautet denn auch, dass vorläufig aufgenommene Asylsuchende, also Menschen, bei denen die Rückführung aus humanitären Gründen ausgesetzt wurde, nicht mehr im selben Umfang wie heute den Zugang zu Gesundheits- und Sozialsystem in Anspruch nehmen dürften. Wenn kranke Georgier in der Schweiz einen Asylantrag stellten, um kostenlos an medizinische Leistungen zu kommen, laufe etwas schief, so Burkart. Er bezog sich auf eine Statistik des Staatssekretariats für Migration. Das SEM hatte festgestellt, dass Gesuche von Schwerkranken ausschliesslich aus Georgien kommen.

Parlament fällt Vorentscheide

Weiter will die FDP den Familiennachzug für vorläufig aufgenommene Personen einschränken. Vorläufig Aufgenommene hätten einen negativen Asylbescheid erhalten, hiess es in Tenero. Sie seien in der Schweiz also nur geduldet. Daher müsse der Familiennachzug auf ein absolutes Minimum eingeschränkt werden. Wie das konkret umgesetzt werden soll, ist allerdings offen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat das Grundrecht auf Familiennachzug auch für vorläufig Aufgenommene bestätigt. An der Asylsession im September hat der Nationalrat eine entsprechende Motion jedoch mit 105 zu 74 Stimmen, gegen den Willen des Bundesrates, angenommen.

Auch einer weiteren Forderung der FDP hat der Nationalrat im September bereits den Weg bereitet. Kantone, Gemeinden, Krankenkassen, AHV, IV und andere Sozialversicherungen sollen künftig Daten zu illegalen Aufenthalten systematisch austauschen können. Verschiedene Kantonspolizeien haben sich in den vergangenen Monaten wiederholt beklagt, dass sie zu wenige Möglichkeiten hätten, Daten über Personen auszutauschen, die schwere Straftaten begangen haben oder im Verdacht stehen, einen Terroranschlag zu verüben.

Thematisch ist die FDP im Trend. Mit Fokus auf Asylmigration kümmert sie sich um ein Thema, das ganz Europa beschäftigt. Jetzt muss die neue Strategie nur noch aufgehen.

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