Der EHC Visp hat im Wallis eine Eishockey-Euphorie geweckt, die in die National League führen soll. Eine boomende Region fühlt sich bereit zum Gipfelsturm.
In Visp ist der Frühling angebrochen. Das Thermometer auf dem sonnenüberfluteten Platz vor dem Bahnhof steigt auf gegen 20 Grad. Ein Akkordeonspieler trägt mit seinen Klängen einen Hauch von Italianità unter das nervöse Gewusel asiatischer Touristen, die mit Koffern in der Grösse von Kleinwagen hier umsteigen und weiter Richtung Saas-Fee oder Zermatt streben.
Doch zumindest in der Lonza-Arena, die nur wenige Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt liegt, herrscht weiterhin Eiszeit. Ab dem kommenden Dienstag spielt der EHC Visp in der Liga-Qualifikation gegen den HC Ajoie um den letzten freien Platz in der National League. Visp war 1962 der bisher einzige Meister aus dem stolzen Kanton Wallis. Zwei Jahre später gewann der Klub auch noch den Schweizer Cup.
Sébastien Pico ist seit 2005 Geschäftsführer des Klubs. Der Unterwalliser kam damals vom Street-Hockey und stiess in Visp anfänglich auf ziemliche Ablehnung. Auf die Frage, ob denn der EHC Visp überhaupt aufsteigen wolle, reagiert er mit einem Anflug von Unverständnis: «Natürlich, anders als 2011 und 2014, als wir die letzten beiden Male B-Meister wurden, sind wir heute auch bereit dazu. Die Infrastruktur ist da, und auch die Mannschaft ist darauf ausgerichtet.»
Bei den beiden letzten Anläufen gegen Ambri und Biel war Visp ohne echte Chance geblieben. Doch diesmal ist die Ausgangslage eine andere. Auf dem Weg zum Swiss-League-Titel verlor der Klub gegen Sierre, Thurgau und zuletzt Basel nur zwei Matches. Und auch der HC Ajoie, der letzte Stolperstein auf dem Weg zum grossen Ziel, ist sportlich alles andere als eine Übermacht.
Die Jurassier waren in den vier Jahren seit ihrer Rückkehr in die oberste Spielklasse regelmässig Letzte der Liga. Auch in diesem Frühjahr fehlten ihnen am Ende 27 Punkte auf den letzten Platz in den Pre-Play-offs. In jeder anderen Liga der Welt, die nach sportlichen Kriterien geführt wird, wäre Ajoie mit dieser Bilanz längst abgestiegen. Nicht so in der Schweiz: Hier ist alles darauf ausgelegt, dass ein Klub, der einmal die Spielberechtigung für die oberste Liga erlangt hat, auch in dieser bleibt, solange er das finanzieren kann und auch will.
Die Walliser würden frischen Wind und auch eine weitere Region in die Liga bringen. Das Wallis ist in der National League seit 1991 und dem Abstieg des HC Sierre ein weisser Fleck auf der Landkarte im Spitzen-Eishockey. Dabei hat der Kanton in der südwestlichen Ecke der Schweiz eine lange und erfolgreiche Eishockey-Tradition. Zur besten Zeit stritten mit Visp, Sierre und dem HC Martigny gleich drei Teams um die Vorherrschaft im Kanton.
Vernünftig wäre es deshalb, die Kräfte in einem Team zu bündeln. Doch dass sich die Walliser Klubs zu einer Zusammenarbeit aufraffen könnten, sei ähnlich unwahrscheinlich wie die Fusion der Vereine in Davos, Chur und Arosa zu einem HC Graubünden, sagt ein Kenner der Region.
Chris McSorleys Rolle in Siders
Wahrscheinlich gehen die Gräben im Eishockey-Kanton Wallis noch tiefer als im Bündnerland. Es geht dort auch um einen Sprachgraben, der ausgeprägter ist als jener zwischen der West- und der Deutschschweiz allgemein. In den vergangenen fünfzehn Jahren hatten Visp und Sierre immerhin im Nachwuchs kooperiert und den HC Valais-Wallis Future aufs Eis geschickt. Doch vor wenigen Monaten kündigte der HC Sierre diese Zusammenarbeit und bot dem EHC Visp an, seinen Nachwuchs, der gemäss Pico immerhin rund 2000 Juniorinnen und Junioren umfasst, in jenen von Siders zu integrieren.
Dieses Vorgehen trägt die Handschrift von Chris McSorley. Der langjährige Impresario des HC Genf/Servette versucht in Siders seit einiger Zeit eine neue Eishockey-Macht hochzuziehen. Kernstück seiner Pläne ist eine Überbauung mit einer neuen Eishalle und einer angegliederten Liegenschaft mit Wohnungen und Geschäftslokalen. Die nötigen Investoren für das rund 300 Millionen teure Projekt will McSorley bereits an seiner Seite haben.
Doch mittlerweile regt sich in der Region politischer Widerstand gegen die Grossüberbauung. Anfang Januar hatte ein Referendumskomitee beim Walliser Staatsrat Berufung gegen das Projekt eingereicht, weil es sich nicht korrekt informiert fühlte. Auf Anfrage sagte McSorley: «Es wird noch in diesem Sommer zu einer Abstimmung kommen, die den Weg für unsere Pläne frei machen sollte.» Bis 2030 soll die neue Arena stehen. McSorley spricht von einem normalen Prozess, den er erwartet habe.
Visp ist mehr als einen Schritt weiter. Die ehemalige Litterna-Halle wurde 2019 durch eine neue, multifunktionelle Arena für 5000 Zuschauer ersetzt. Finanziert wurde sie zu 100 Prozent von der Gemeinde Visp, die einen ausgesprochen sportfreundlichen Kurs fährt. Die Nutzung der Infrastruktur ist für alle Sportvereine kostenlos. Der EHC Visp zahlt einzig einen Betriebsbeitrag in der Höhe von 450 000 Franken pro Saison für die Gastronomierechte. Die Eisaufbereitung aber ist für alle Teams der Klubs kostenlos.
Niklaus Furger ist Gemeindepräsident von Visp und ein Anhänger des Eishockeysports. Er sagt, die grosszügige Politik seiner Gemeinde sei auch eine Investition in den Jugendschutz. «Wer auf dem Eis oder auf dem Rasen steht, der treibt sich nicht auf der Strasse herum.» Der SVP-Politiker sagt, seine Gemeinde könne sich die grosszügige Linie leisten. Das Pro-Kopf-Vermögen im Oberwalliser Ort ist überdurchschnittlich hoch, weil die Wirtschaft boomt. Auf 8750 Einwohner kommen 13 500 Arbeitsplätze.
Getragen vom Boom der Lonza
Der wichtigste Arbeitgeber im Ort ist die Lonza. 2017 zählte das Chemiewerk noch 2600 Arbeitsplätze, heute sind es 5500, obwohl die Spezialitätenchemie in die Arxada ausgegliedert wurde. Im Dorf kursiert das Bonmot, jeder Gemeindepräsident schaffe sich sein eigenes bauliches Denkmal. Jenes von Niklaus Furger sei die Eissporthalle. Furger ist überzeugt, dass sich seine Gemeinde National-League-Eishockey leisten kann: «Wenn das Ajoie oder Langnau können, warum nicht auch wir? Die Begeisterung für den Sport im Ort ist gross.» Er belegt das mit der Abstimmung für den Bau der Arena, die mit 95 Prozent Ja-Stimmen angenommen worden und ohne Einsprachen geblieben sei.
Furger wird in der Arena sein, wenn der EHC Visp am 3. April das erste von höchstens drei Aufstiegsspielen gegen den HC Ajoie bestreitet. Der Klub hat die Saison unter das Motto «Zämu meischtru» gestellt, was einen doppeldeutigen Sinn hat. Die Aufgabe gemeinsam angehen und am Ende auch zusammen feiern. Parallel dazu läuft auch eine Aktienkapitalerhöhung, mit der die Zukunft des Klubs gesichert werden soll. Sébastien Pico rechnet für eine Saison in der National League mit einem Budget von zirka 11 bis 12 Millionen Franken. Das ist mehr als doppelt so viel, wie der Klub in diesem Winter ausgab (5,5 Millionen). Damit er das finanzieren kann, muss nicht nur die Gemeinde, sondern das ganze Wallis mitziehen.
Pico ist überzeugt, dass der Funke überspringen wird. «Wir Walliser sind begeisterungsfähig und stehen zusammen, wenn es wirklich zählt.» Die Skepsis, die seine Verpflichtung vor zehn Jahren ausgelöst hat, ist bis heute nicht ganz verschwunden. Doch sollte der EHC Visp 53 Jahre nach dem Abstieg 1972 tatsächlich in die National League zurückkehren, wird alles, was er in den vergangenen Jahren möglicherweise nicht so gut gelöst hat, vergessen sein. So flexibel ist man nicht nur in Visp.