Der Ultranationalist George Simion galt in der Stichwahl um das Präsidentenamt als Favorit. Doch die Sorge um die künftige Ausrichtung des Landes hat sehr viele Menschen mobilisiert.

Auch das letzte Kapitel der rumänischen Präsidentenwahl, die das Land seit sechs Monaten in Atem hält, endet mit einer dramatischen Wendung. Der liberale Bürgermeister von Bukarest, Nicusor Dan, hat sich in der Stichwahl am Sonntag mit 53,7 zu 46,3 Prozent der Stimmen gegen den Ultranationalisten George Simion durchgesetzt. Das entspricht einem Vorsprung von fast einer Million Stimmen.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Damit ist dem 55-jährigen Mathematiker, der in Paris promoviert hat, eine atemberaubende Aufholjagd gelungen. In der ersten Runde vor zwei Wochen hatte Dan nur halb so viele Stimmen erzielt wie Simion. Der 38-jährige Präsident der ultranationalistischen Partei AUR galt als Favorit und gab sich im Wahlkampf entsprechend siegessicher.

Klares Bekenntnis zur Ukraine

Bereits als die ersten Nachwahlbefragungen am Sonntagabend einen deutlichen Vorsprung für Dan zeigten, ging ein Seufzer der Erleichterung durch das proeuropäische Lager im Land. Anhänger des Wahlsiegers skandierten am Abend in Bukarest: «Russland, vergiss nicht: Rumänien gehört Dir nicht!»

Dan steht für ein Rumänien, das fest in EU und Nato verankert ist und sich klar zur Unterstützung der Ukraine bekennt. Als direkter Nachbar der Ukraine und als Schwarzmeeranrainer ist der sechstgrösste EU-Staat von grosser strategischer Bedeutung für das westliche Bündnis. Wie gross die Besorgnis über Rumäniens künftige Ausrichtung war, zeigte sich nicht zuletzt im drastischen Wertverlust der Landeswährung Leu nach der ersten Wahlrunde.

Der selbsternannte Trumpist Simion bezeichnet Russland zwar auch als Gegner. Er spricht sich aber gegen jegliche Hilfe für Kiew aus und vertritt einen Konfrontationskurs gegenüber Brüssel. In der Europäischen Union kann er dem Lager von Viktor Orban in Ungarn, Robert Fico in der Slowakei und der ehemaligen polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit zugerechnet werden. Nicusor Dan, aber auch viele Kommentatoren sprachen deshalb im Vorfeld von einer Richtungswahl.

Dies hatte viele Menschen mobilisiert. Mit 65 Prozent war die Wahlbeteiligung am Sonntag so hoch wie seit drei Jahrzehnten nicht mehr. Viele Rumäninnen und Rumänen fühlen sich eher dem lateinischen als dem östlichen Europa zugehörig. Die Westintegration wurde daher seit dem Ende des Kommunismus nie infrage gestellt.

Wahlkampf im Ausland

Simion hat sich im Wahlkampf stark auf die wichtige Diaspora konzentriert, die im ersten Wahlgang mehrheitlich für ihn gestimmt hatte. In der Woche vor dem Urnengang verbrachte er mehrere Tage im Ausland. An Fernsehdebatten mit seinem Konkurrenten nahm er nicht teil, was er mit der Voreingenommenheit der «Mainstream-Medien» begründete. So entstand der Eindruck, der impulsive Krawall-Politiker scheue die fachliche Auseinandersetzung mit dem überlegt artikulierenden Dan.

Besonders schlecht schnitt Simion bei der grossen ungarischen Minderheit in Rumänien ab, die sich zurecht wenig Positives von einem hartgesottenen Nationalisten an der Staatsspitze erhoffte. Dabei geriet auch Viktor Orban zwischen die Fronten. Der ungarische Regierungschef hatte sich anfangs für Simion ausgesprochen, in dem er einen Verbündeten gegen Brüssel sieht. Auf Druck der Partei der ungarischen Minderheit in Rumänien, als deren grösster Fürsprecher sich Orban inszeniert, musste er die Empfehlung jedoch wieder zurückziehen.

Simion erkennt Niederlage an

George Simion akzeptierte in der Nacht auf Montag seine Niederlage und gratulierte seinem Konkurrenten. Es gebe keinen Hinweis auf signifikanten Wahlbetrug, erklärte er in einer Videobotschaft. Das Lager der Souveränisten habe eine Schlacht verloren, werde aber den Kampf nicht aufgeben. Gegenüber der NZZ hatte Simion kurz vor der Wahl gesagt, er werde das Ergebnis anerkennen, «wenn es keinen Betrug gebe».

Noch einige Stunden zuvor, nach Bekanntgabe der ersten Resultate, hatte sich Simion selber zum Wahlsieger erklärt. In den sozialen Netzwerken schrieb er: «Ich bin der neue Präsident Rumäniens.» Dass er die Nachricht versehentlich mit der Flagge des Tschad versah, die der rumänischen Trikolore sehr ähnlich sieht, sorgte für einiges Gespött.

Nach den Turbulenzen der letzten Monate ist die Anerkennung des Ergebnisses durch den Verlierer ein gutes Zeichen. Der Urnengang am Sonntag war überschattet von der Kontroverse um die Präsidentenwahl im November, die der Ultranationalist Calin Georgescu völlig überraschend gewonnen hatte.

Das Verfassungsgericht annullierte die Wahl jedoch wegen russischer Einflussnahme und disqualifizierte Georgescu später sogar wegen umstürzlerischer Umtriebe von der Teilnahme an der Wiederholungswahl. Stichhaltige Beweise für die Vorwürfe wurden aber nie vorgelegt.

Beschädigtes Vertrauen in die Politik

Bei den Rumäninnen und Rumänen verstärkte das undurchsichtige Manöver das ohnehin grosse Misstrauen gegenüber der Politik. Aus Frust haben sich in den letzten Jahren viele Menschen im Land abgewendet von einer Politik, die von einem Machtkartell aus den etablierten Parteien mit ihren klientelistischen Netzwerken, den traditionell mächtigen Sicherheitsdiensten und einer politisierten Justiz geprägt ist. In Rumänien spricht man nur vom «System».

Simion präsentierte sich als Statthalter Georgescus und als einzigen Kandidaten, der gegen das System ankämpft. Dass vor diesem Hintergrund eine allfällige Niederlage zu neuerlichen Gerüchten über ein Komplott Anlass geben könnte, war kein abwegiges Szenario. Dem Wahlsieger Dan kam in diesem Zusammenhang zugute, dass er ebenfalls nicht den etablierten Machtstrukturen im Land angehört.

Der Bukarester Bürgermeister war früher Mitglieder der liberalen Reformpartei USR, der Stimme der urbanen, prowestlichen Mittelschicht, und ist heute parteilos. In seiner Siegesrede kündigte Dan an, gegen das Grundübel der Korruption vorzugehen und sich für mehr Rechtsstaatlichkeit einzusetzen. An die Verlierer gerichtet sagte er versöhnlich: «Es ist unsere Aufgabe für ein geeintes Rumänien zu kämpfen, nicht für zwei.»

Das Vertrauen in die Politik wiederherzustellen, wird nicht einfach sein. Als erster Schritt muss der neue Präsident eine handlungsfähige Regierung ernennen. Die bisherige Koalition ist nach dem desaströsen Abschneiden ihres Kandidaten in der ersten Runde der Wahl auseinandergebrochen. Nicusor Dan wird schon bald Gelegenheit haben, seine Fähigkeit als Brückenbauer unter Beweis zu stellen.

Exit mobile version