Mittwoch, März 12

Die kurdisch geführte SDF-Miliz, die den Nordosten des Landes kontrolliert, will sich in den neuen Staat eingliedern. Für Präsident Ahmed al-Sharaa ist das ein dringend benötigter Erfolg. Doch was hat er den Kurden versprochen?

Syriens Übergangspräsident Ahmed al-Sharaa hat turbulente Tage hinter sich. Zwar hat er am Montag das Ende der «Militäroperation» an der syrischen Mittelmeerküste verkündet, doch die Lage bleibt fragil. Die blutigen Kämpfe gegen aufständische Asad-Loyalisten und insbesondere die Massaker an Zivilisten der alawitischen Minderheit durch islamistische Milizionäre haben gezeigt, dass al-Sharaa noch weit davon entfernt ist, Herr der Lage im neuen Syrien zu sein. Umso mehr ist der einstige Kaida-Kämpfer und Rebellenführer derzeit auf Erfolgsmeldungen angewiesen.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Tatsächlich ist ihm am Montagabend ein bedeutsamer Durchbruch gelungen: So willigten die kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) ein, bis zum Ende des Jahres alle ihre militärischen und zivilen Institutionen in den neuen syrischen Staat zu integrieren, einschliesslich der lukrativen Öl- und Gasfelder im Kurdengebiet. In den vergangenen Jahren hatten die SDF im Nordosten des Landes einen autonomen Ministaat errichtet, nachdem sie mit Hilfe der USA in einer monatelangen Abwehrschlacht die Fanatiker des Islamischen Staates (IS) zurückgeschlagen hatten.

Das Abkommen, das Sharaa und der Kurdenführer Mazloum Abdi am Montag unterzeichneten, verleiht der Minderheit zudem das «Recht auf Staatsbürgerschaft und alle verfassungsmässigen Rechte». Insbesondere aber sollen die SDF Damaskus im Kampf gegen die Überreste des Regimes des gestürzten Diktators Bashar al-Asad unterstützen. Die Übereinkunft ist der wohl grösste Erfolg der neuen Regierung seit dem Sturz Asads im Dezember und ein wichtiger Schritt hin zur angestrebten Einheit Syriens. In mehreren syrischen Städten kam es am Montag zu spontanen Feiern. Der Syrien-Experte Charles Lister spricht gar von einem «historischen Moment der Hoffnung». Dennoch bleiben zentrale Fragen offen.

Die Angst der syrischen Kurden

So bleibt insbesondere unklar, wie genau die Integration der SDF-Einheiten in die syrische Armee ablaufen soll. In den bisherigen Verhandlungen hatten die Kurden stets darauf beharrt, sich nur als militärischer Block mit eigenen Kommandostrukturen in die Streitkräfte einzugliedern. Sharaa hingegen lehnte dies ab und forderte eine Auflösung der Einheiten. Die Frage stellt sich: Wer hat seine Meinung geändert?

Es ist durchaus denkbar, dass Präsident Sharaa angesichts der chaotischen Zustände an der Küste nun zu weitreichenderen Zugeständnissen bereit war und zumindest einer teilweisen Selbstbestimmung der SDF-Einheiten zugestimmt hat. Diese gelten als zuverlässig und diszipliniert – im Gegensatz zu den lose mit der Übergangsregierung verbündeten islamistischen Milizen, die für die jüngsten Massaker an der Küste verantwortlich gemacht werden. Sharaa kann die Hilfe der SDF also gut gebrauchen.

Gleichzeitig dürften die blutigen Ereignisse der vergangenen Tage die Überzeugung der Kurden bestärkt haben, dass sie ihre Fähigkeit bewahren müssen, die kurdische Minderheit gegen allfällige Angriffe durch Sicherheitskräfte der Regierung oder andere Milizen zu verteidigen. In den vergangenen Monaten hatte sich insbesondere die Syrische Nationale Armee (SNA) mit Unterstützung der Türkei heftige Kämpfe gegen die SDF geliefert, um die Kontrolle über strategische Einrichtungen zu erlangen. Bislang gibt es keine Anzeichen dafür, dass die SNA, die sich zumindest vordergründig der Übergangsregierung unterstellt hat, ihre Kämpfe eingestellt hat.

Präsenz der USA infrage gestellt

So ist derzeit noch unklar, ob auch die Türkei – die als wichtigster Verbündeter von Sharaas Regierung gilt – grünes Licht für die Übereinkunft mit den Kurden gegeben hat. Ankara hat stets das Ziel verfolgt, sämtliche kurdischen Strukturen und aufzubrechen und dem Autonomieprojekt in Nordostsyrien ein Ende zu bereiten. Die SDF galten der Türkei stets als verlängerter Arm der als Terrororganisation gelisteten PKK, der Arbeiterpartei Kurdistans. Die Frage stellt sich, ob die Türkei kurdisch geführte Einheiten in der syrischen Armee toleriert. Präsident Erdogan hat sich bisher noch nicht zu dem Abkommen geäussert.

Auch aus der Perspektive der USA wirft die Einigung zwischen Damaskus und den SDF Fragen auf. Im Kampf gegen den IS waren die Amerikaner die wichtigsten Partner der Kurden und haben damit deren Autonomieprojekt erst möglich gemacht. Nach wie vor sind rund 2000 amerikanische Soldaten in Syrien stationiert, die primär ein Wiedererstarken der Terrormiliz verhindern sollen. Ihre Präsenz – die in Washington ohnehin umstritten ist – scheint nun infrage gestellt.

In den kurdisch kontrollierten Gebieten sind rund 10 000 IS-Kämpfer inhaftiert, dazu kommen mehr als 40 000 IS-Anhänger und Flüchtlinge, die seit Jahren ein tristes Dasein im Auffanglager von al-Hol fristen. Laut Medienberichten soll die syrische Übergangsregierung jetzt die Kontrolle über diese Einrichtungen übernehmen. In erster Linie wird es gelten, ein Vakuum zu verhindern, das der IS ausnutzen kann.

Israel fliegt Luftangriffe

So oder so ist die Einigung mit den Kurden nur ein Etappensieg für Sharaa, der nicht nur an der Küste, sondern auch im Süden herausgefordert wird. Zwar hat der Präsident laut einem Bericht des katarischen Fernsehsenders Al Jazeera am Dienstag auch eine Übereinkunft mit der Minderheit der Drusen erzielt, die sich nun angeblich ebenfalls dem syrischen Staat anschliessen wollen. Gleichzeitig spielen sich aber die Israeli als Schutzmacht der Drusen auf. Die Regierung von Benjamin Netanyahu lässt keine Gelegenheit aus, die jihadistischen Wurzeln der neuen Machthaber zu betonen und hat gar eine Art Sicherheitsgarantie gegenüber den Drusen ausgesprochen. So fordert Israel, dass alle Gebiete südlich von Damaskus demilitarisiert werden müssten.

Kaum zufällig flogen israelische Kampfjets am Montag heftige Luftangriffe in Syrien, kurz nachdem die Einigung mit den Kurden bekannt geworden war. Laut der israelischen Armee wurden dabei unter anderem Radaranlagen und andere Einrichtungen zerstört, die «eine Bedrohung für den Staat Israel» darstellten. Gegenüber der militärischen Übermacht des Nachbars sind al-Sharaa die Hände gebunden.

Dennoch hat der Übergangspräsident mit der Eingliederung der Kurden und angeblich auch der Drusen zwei grosse Hürden in Richtung syrischer Einheit genommen. Wie nachhaltig seine Erfolge sind, wird sich weisen müssen. Die Verantwortlichen für die Massaker an Syriens Westküste sind noch nicht zur Rechenschaft gezogen. Genauso wenig hat Sharaa sein Versprechen eingelöst, alle Minderheiten an der Regierung teilhaben zu lassen.

Exit mobile version