Mittwoch, Februar 5

Und dann kommt es anders als gedacht: Die Demokraten sind auf Kandidatensuche, und der verfahrene Wahlkampf erhält plötzlich eine völlig neue Dynamik.

Das Manöver kam spät, aber besser spät als nie. Die Entscheidung von Joe Biden, einen Monat vor dem Demokratischen Parteitag aus dem Rennen zu steigen, ist die einzig richtige. Wären er und seine Entourage früher zur Erkenntnis gekommen, dass Biden zu geschwächt ist, um nochmals gegen Donald Trump anzutreten, es hätte ihm die Schmach und den Demokraten einige Nerven gespart. Und die Vorwahlen, in welchen 14 Millionen Demokraten ihre Stimme für Joe Biden eingelegt hatten, wären nicht zur Makulatur verkommen.

Joe Biden konnte sich nur unter höchstem Druck aus den eigenen Reihen zum Rückzugsentscheid durchringen. Lange herrschte bei den Demokraten eine Art Wahrnehmungsstörung, welche sie die augenscheinlich zunehmende Altersschwäche von Biden weg erklären liess: Er hatte doch gegen Trump bereits einmal gesiegt; er genoss doch als Präsident einen Bisherigen-Bonus. Die desaströse TV-Debatte am 27. Juni wurde zur Stunde der Wahrheit für die Demokraten: Joe Biden war nicht mehr fähig, weitere vier Jahre im Amt zu bleiben.

Kollaps der Biden-Kandidatur

Danach dauerte es nur drei Wochen, bis die Biden-Kampagne zusammenbrach. Dies, nachdem Kongressdemokraten immer lauter Alarm geschlagen hatten, die Geldgeber meuterten und Parteigrössen wie Nancy Pelosi und Barack Obama dem alten Weggefährten Biden beibrachten, dass es Zeit ist, in den Ruhestand zu gehen.

Biden unterstützt nun seine Vizepräsidentin Kamala Harris als Nachfolgerin. Er geht damit den Weg des kleinsten Widerstandes. Aus rechtlichen und technischen Gründen ist es am einfachsten, wenn sie kandidiert. Ihr Name steht bereits auf dem Biden/Harris-Ticket, für welches Geldgeber bisher insgesamt 231 Millionen Dollar gespendet haben. 96 Millionen Dollar aus Bidens Kampfkasse wurden am Sonntag bereits an Harris überschrieben. Zudem garantiert sie den Wählern, die in den Vorwahlen für Joe Biden gestimmt haben, eine grösstmögliche Kontinuität.

Doch trotz dem «Endorsement» von Joe Biden ist die Kandidatur von Kamala Harris nicht in Stein gemeisselt; Biden kann den von ihm freigelassen Delegierten nicht vorschreiben, für wen sie am Demokratischen Parteitag stimmen sollen. Allerdings zeigt sich bereits nach wenigen Stunden, dass das Momentum für Harris innerhalb der Partei gross ist. Stimmen vom linken bis zum gemässigten Flügel der Demokraten sichern Harris ihre Unterstützung zu.

Ein offenes Auswahlverfahren wäre wichtig

Eine Krönung von Harris wirkt undemokratisch und würde vom politischen Gegner ausgekostet – schon jetzt reden Republikaner von einem Harris-Coup. Tatsächlich wäre es für die Partei wichtig, den Anschein eines pluralistischen Prozesses zu bewahren, entweder durch Online-Town-Halls oder an einem «wilden» Parteitag, an dem verschiedene Kandidaten um die 4000 Stimmen der Delegierten buhlen könnten. Unter anderem die ehemalige Speakerin Nancy Pelosi hat sich für ein offenes Auswahlverfahren ausgesprochen.

Die Frage ist allerdings, ob dafür die Zeit reicht und ob sich überhaupt Kandidaten finden, die in dieser Notlage Kamala Harris herausfordern werden. Die Gouverneurin Gretchen Whitmer aus Michigan, die allgemein als vielversprechende Anwärterin fürs Präsidentenamt gilt, erklärte Minuten nach Bidens Rückzug, sie stehe nicht zur Verfügung. Der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom zeigt mehr Appetit, er liess laut der Newsplattform Semafor ein Memorandum kursieren, in dem er sein Potenzial gegenüber anderen möglichen Kandidaten betont.

Dynamik ist schwer voraussagbar

Spätestens am 21. August, am Ende des Parteitags, wird ein neuer Kandidat oder eine neue Kandidatin feststehen. Die Demokraten gehen nach dieser Rochade mit einem Handicap in die heisse Phase des Wahlkampfs gegen Donald Trump, der seine Partei geschlossen hinter sich weiss. Doch für die Demokraten ist die Neuaufstellung eine Chance in einer vertrackten Lage. Sie können hoffen, eine Dynamik auszulösen, mit einer jüngeren Persönlichkeit, welche die Kraft hat, Trump frontal anzugehen.

Wenn es den Demokraten gelingt, eine valable Kandidatur in nützlicher Frist aufzustellen, dann werden die Karten in diesem Wahlkampf neu gemischt. Vor einem Monat noch sah es aus, als ob zwei hochbetagte Erzfeinde gegeneinander antreten würden. Die Demokraten müssen nun, gezwungenermassen, eine Alternative suchen. Insbesondere für die amerikanischen Wähler der jüngeren Generation sind das gute Nachrichten.

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