Freitag, Oktober 11

Das Verfassungsgericht schliesst die rechtsradikale Politikerin Diana Sosoaca aus. Das Urteil sorgt für breite Kritik und wirft Fragen auf, die auch über Rumänien hinaus von Belang sind.

Diana Iovanovici-Sosoaca eignet sich schlecht als Symbolfigur für den Kampf für Demokratie und Rechtsstaat in Rumänien. Die Rechtsaussenpolitikerin macht vor allem mit kruden Verschwörungstheorien und schrillem Polittheater von sich reden. Ihre illiberalen, fremdenfeindlichen und oftmals unverhohlen antisemitischen Auslassungen sind legendär.

Sosoaca ist so extrem, dass es selbst der Allianz zur Rettung der Rumänen zu bunt wurde. Obwohl die rechtspopulistische Partei einem lärmigen Politstil sicherlich nicht abgeneigt ist, schloss sie die Juristin schon vor einigen Jahren aus ihren Reihen aus. Darauf wandte sich Sosoaca der noch radikaleren SOS Romania zu und tritt seither erst recht ungehemmt auf.

Krude Verschwörungstheorien

In ihrem kategorischen Protest gegen die Pandemiepolitik etwa nahm die Massnahmengegnerin den syrischstämmigen Staatssekretär Raed Arafat ins Visier. Sie behauptete, er habe vor, mithilfe von 90 000 Afghanen und anderen Einwanderern die rumänische Bevölkerung zwangsweise zu impfen.

Nach den Grossbeben im Südosten der Türkei erklärte Sosoaca im rumänischen Parlament, die Erschütterungen seien durch «geologische Waffen» der USA ausgelöst worden. Ankara solle damit für die Blockierung von Schwedens Gesuch um einen Nato-Beitritt und den eigenständigen Kurs im Ukraine-Krieg bestraft werden.

Seit ihrer Wahl ins Europaparlament sorgt sie auch über die Landesgrenzen hinaus für Aufsehen. Die Debatte nach einer Rede von Kommissionschefin Ursula von der Leyen im Juli unterbrach sie mit Zwischenrufen, bis die Parlamentspräsidentin sie aus dem Saal führen liess. Darauf setzte sich Sosoaca einen Maulkorb auf, hielt eine Ikone in die Höhe und forderte, das Parlamentsgebäude, «ein Haus Satans», sei durch einen Priester reinigen zu lassen.

Sie behauptet auch, durch die Waffenlieferungen an die Ukraine zerstöre die EU Rumänien. Nur Russland sei bereit, über Frieden zu sprechen. Sosoaca wirft Kiew die Unterdrückung der rumänischen Minderheit im Land vor und fordert, deren Siedlungsgebiete an Rumänien anzugliedern. Ebenso verlangt sie den Austritt ihres Landes aus Nato und EU.

Superwahljahr in Rumänien

Nun steht Sosoaca unverhofft im Zentrum einer Debatte um Rechtsstaatlichkeit, Gewaltentrennung und die Frage, inwiefern juristische Mittel geeignet sind, um radikale politische Kräfte zu bekämpfen.

Rumänien befindet sich in einem Superwahljahr, das durch die Europa- und die Lokalwahlen im Juni eingeläutet wurde. Am 1. Dezember wird ein neues Parlament gewählt, und an den Wochenenden davor und danach finden die beiden Runden der Präsidentschaftswahl statt. Dafür hat sich auch Sosoaca als Kandidatin aufgestellt.

Doch das Verfassungsgericht hat die Extremistin kürzlich vom Rennen um das höchste Staatsamt ausgeschlossen. In Meinungsumfragen war sie zuletzt auf etwa 12 Prozent gekommen. Siegeschancen hatte sie nie. Wem ihre Unterstützer nun die Stimme geben, ist für die Nachfolge des Amtsinhabers Klaus Iohannis aber durchaus relevant.

Die obersten Richter begründen ihren Entscheid mit dem Treueeid auf die Verfassung, die der Staatspräsident leisten muss. Sosoacas öffentliche Äusserungen und politische Ziele seien mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Deshalb sei sie für das Amt nicht wählbar. Explizit genannt wird Sosoacas Forderung nach einem Austritt aus der EU und der Nato. Die Westintegration ist in der Verfassung verankert, als Garantie der demokratischen, rechtsstaatlichen Grundwerte des Landes.

Breite Kritik am Urteil

Welche Werte Sosoaca vertritt, unterstrich sie nach dem Richterentscheid erneut. In einem sechsstündigen Live-Auftritt auf Facebook liess sie die faschistische Legionärsbewegung aus der Zwischenkriegszeit hochleben. Hinter dem Mord an dem Anführer der Bewegung, behauptete sie, stehe dieselbe jüdische Macht, die nun auch ihre Disqualifizierung veranlasst habe.

Direkte Unterstützung erhält die Extremistin naheliegenderweise nur wenig. Trotzdem wird der Entscheid des Gerichts auch von ihren politischen Gegnern heftig kritisiert und diente nun sogar als Vorwand für den wahlkampfbedingten Bruch der grossen Regierungskoalition aus Sozialdemokraten und Konservativen.

«Der Ausschluss eines Kandidaten gehört wie das Verbot einer Partei zu den Vorrechten des Höchstgerichts zum Schutz der Verfassung», erklärt der Politikwissenschafter Ioan Stanomir von der Universität Bukarest im Gespräch. Bisher sei dieses Recht aber nur bei prozeduralen Verstössen angewendet worden, etwa wenn eine Kandidatur nicht rechtzeitig angemeldet wurde.

Dass inhaltliche Fragen den Ausschlag gäben, sei ein Novum. Umso mehr müsse die Begründung der Richter wasserdicht sein. Ob die Argumentation mit der Westintegration Rumäniens diesem Anspruch genügt, lässt Stanomir offen.

Zweifel an Unabhängigkeit der Justiz

Die Kritiker befürchten, der Richterspruch öffne dem Missbrauch Tür und Tor. Der wichtigste Grund dafür sind die weitverbreiteten Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz in Rumänien. Vier der fünf Verfassungsrichter, die dem Urteil zugestimmt haben, wurden von den regierenden Sozialdemokraten (PSD) eingesetzt.

Eine frühere PSD-Regierung hatte vor einigen Jahren Reformen aufgegleist, die den politischen Einfluss der Exekutive auf die Judikative stark erhöhen. Zeitweise galt Rumänien neben Ungarn und Polen als das dritte rechtsstaatliche Sorgenkind der EU.

Der Wahlkampf befeuert die Debatte weiter. Nicolae Ciuca, der Chef des konservativen Juniorpartners in der Regierung, erklärte wegen der Affäre die Koalition mit den Sozialdemokraten für beendet. Der Richterspruch setze ein grosses Fragezeichen hinter die Rechtsstaatlichkeit im Land. Machtmissbrauch und Gebaren als Staatspartei lägen in der DNA der PSD.

Viele Kader der kommunistischen Staatspartei hatten nach dem Sturz des Regimes bei den Sozialdemokraten eine neue politische Heimat gefunden. Allerdings hat sich Ciucas konservative Partei bisher ebenfalls gegen tiefgreifende Reformen der klientelistischen Machtstrukturen im Land gestellt. Denn auch sie profitiert davon.

Mangelnde Glaubwürdigkeit

«Das Verfassungsgericht hat vermutlich innerhalb seiner Kompetenz gehandelt», sagt der Politologe Stanomir. «Bei einem so weitreichenden Urteil ist die Glaubwürdigkeit des Gerichts und des Staatswesens als Ganzem aber von grösster Bedeutung. Und darum ist es bei uns leider nicht gut bestellt.»

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