Die Mietzinsausfälle bei Schweizer Gewerbe- und Büroimmobilien sind so hoch wie noch nie. Selbst Top-Immobilien am Flughafen Zürich und teils auch in Innenstädten sind menschenleer.
Das monumentale Gebäude Balsberg, von dem hier die Rede ist, hat sich mit rund 80 000 Quadratmetern nutzbarer Fläche den Titel «grösstes Geschäftshaus der Schweiz» zugelegt. Doch an diesem regnerischen Mittag ist nicht viel los. Im Innern schier endlose Gänge und absolute Stille. Kein Mensch, weder im hübsch eingerichteten Café im Erdgeschoss noch in der Lounge am Empfang. Die Stühle sind leer, die Bedienung wartet auf Gäste, die nicht kommen.
Seit 20 Jahren keine Erfolgsgeschichte mehr
Beim leeren Besucherparkplatz wirbt eine grosse Tafel für 21 000 Quadratmeter Fläche. Der Glaube an die Zukunft ist unerschütterlich. «Büros für Ihren Erfolg zu vermieten», lautet der Slogan. Doch wenige folgen der Einladung, hier eine eigene Erfolgsgeschichte zu schreiben.
Wer sich telefonisch oder am Empfang nach Büros erkundigt, erhält die Auskunft: Ganze drei Geschosse sind derzeit leer.
Kein Wunder, nach den neusten Marktberichten erreichen die Mietzinsausfälle und die Leerstände einen neuen Rekord. Auf weit über 30 Prozent schätzen Fachleute die Leerstände am Flughafen.
Der Bedeutungsverlust am Flughafen
So wird der frühere Hauptsitz der Swissair, einst der Stolz der Schweizer Wirtschaft und Symbol des Erfolgs, zum Sinnbild des Bedeutungsverlusts. Nach dem Grounding der Airline im Jahr 2001 bezog die Nachfolgegesellschaft Swiss andere Büros in Kloten.
Heute ist die Priora Suisse AG Eigentümerin des Areals am Balsberg. Hinter der privaten Gesellschaft steht der Immobilienunternehmer Remo Stoffel als Aktionär.
Priora publiziert keine Geschäftszahlen. Auf Anfrage bestätigt aber Ernst Senteler vom Verwaltungsrat die Leerstände. Die Grössenordnung von rund 30 Prozent Leerstand an diesem Standort sei zutreffend. «Der Markt ist zyklisch, und es ist klar, dass wir in diesem Zyklus auf dem Tiefpunkt angekommen sind», so das Fazit von Senteler.
Priora hat den Bau im Jahr 2018 um drei Vollgeschosse aufgestockt. Theoretisch würden in dem Gebäudekomplex mit zwei grossen Innenhöfen bis zu 3600 Arbeitsplätze Platz finden.
Mit Büros geht es weiter abwärts
David Schoch, vom Beratungsunternehmen CBRE, das sich auf gewerbliche Immobilien spezialisiert hat, bringt die Situation auf den Punkt: «Die Leerstände im Raum Flughafen waren noch nie so hoch wie heute». CBRE hat schweizweit die neu angemieteten und neu genutzten Büroflächen analysiert und stellt einen markanten Rückgang des Bedarfs fest. David Schoch sagt, dieser sogenannte Flächenumsatz sei in der Schweiz auf das tiefste Niveau seit der Finanzkrise 2009 gefallen.
Krise mit Büroimmobilien zieht weitere Kreise
Sogar mitten in Zürich stehen teure Büroimmobilien leer. UBS und CS geben mehrere Standorte auf und hinterlassen leere Büros. So hat die UBS schon 2018 angekündigt, das Bürohochhaus zur Schanzenbrücke in Zürich zu räumen.
Trotz intensiver Vermarktung und einem grösseren Umbau sind immer noch nicht alle Geschosse vermietet. Zugleich gibt auch die CS mehrere Standorte in Zürich auf, darunter die Quadro Towers mit stolzen 36 000 Quadratmetern Fläche in Zürich Oerlikon.
Hinzu kommen mehrere Flügel des Sihlcity-Komplexes und das denkmalgeschützte Bürohochhaus zur Palme, ebenfalls im Bankenviertel in Zürich. Wenn die Vermietung selbst an den renommiertesten Standorten der Schweiz ins Stocken gerät, deutet dies auf eine tiefgreifende Krise hin.
Google baut ebenfalls ab
Eine Zeitlang konnten Leerstände von Tech-Giganten wie Google, Facebook oder Beratungsunternehmen absorbiert werde. Doch das Blatt auf dem Immobilienmarkt hat sich definitiv gewendet. Der Trend zu Home-Office und der Strukturwandel führen flächendeckend zu einem starken Rückgang der Nachfrage.
Google hat für zwei riesige Top-Immobilien in Zürich langjährige Mietverträge abgeschlossen, hat die Büros aber bis heute nicht bezogen. Weder Google noch die Banken UBS und CS nehmen zu den Leerständen Stellung.
Die Bürokrise spitzt sich auch in Basel zu. So räumte Roche 2019 das Geschäftshaus Via an der Viaduktstrasse am Bahnhof Basel. Obwohl das attraktive Gebäude mit rund 30 000 Quadratmetern Fläche seit 2019 auf dem Markt ist und in kleinere Flächen unterteilt werden kann, steht es bis heute weitgehend leer.
Eigentümerin ist eine rechtlich unabhängige Anlagestiftung von Roche namens Rimmobas. Weder Roche noch die mit der Vermarktung beauftrage Livit wollen konkrete Angaben dazu machen.
Die Auswirkungen
Was geschieht, wenn die Büros weiter leer stehen? Ist das Szenario eines flächendeckenden Crashs wie bei amerikanischen Büroimmobilien denkbar?
Die meisten Fachleute argumentieren, dass die Zinsen in der Schweiz nicht dermassen gestiegen seien wie in den USA und die Kreditverpflichtungen aus diesen Immobiliengeschäften vorerst gedeckt seien. «Büro- und Gewerbeimmobilien sind in der Schweiz meist zu nur etwa 30 bis 40 Prozent mit Bankkrediten finanziert», sagt der Ökonom Stefan Fahrländer. Es sei zwar auch in der Schweiz zu gewissen Wertkorrekturen auf Büroimmobilien gekommen, aber bei weitem nicht in dem Mass wie in den USA.
In der Praxis sind allerdings einige Methoden gang und gäbe, die Fragen aufwerfen. Etwas vereinfacht gesagt richten sich die Bewertungen der Büroimmobilien nach einem für plausibel gehaltenen Mietertrag, der dann in einen längerfristigen Kapitalwert umgerechnet wird.
Möglichst keine Abwertungen ausweisen
Um drohenden Leerständen und Kapitalverlusten entgegenzuwirken, arbeiten viele Investoren mit Incentives: So winken den Geschäftsmietern auf dem Markt praktisch überall sogenannte «mietfreie Zeiten». Oder der Investor versucht die Unterzeichnung von Mehrjahresverträgen schmackhaft zu machen, indem er einen grosszügigen Beitrag an den Innenausbau der Büros leistet.
«Das kann so weit gehen, dass dem Mieter an Lagen mit hohen Leerständen unter dem Strich für einen 5-Jahres-Vertrag eine ganze Jahresmiete geschenkt wird», erläutert der Experte David Schoch.
Diese Praxis dient vor allem auch dazu, die Bewertungen zu beschönigen. Denn auf dem Papier bleibt der Mietertrag immer noch derselbe, während der Mieter de facto viel Geld spart. So werden die steigenden Leerstände mittelfristig weitere Konsequenzen nach sich ziehen. Bei der Finanzierung von Büro- und Gewerbeimmobilien in der Schweiz waren bis jetzt vor allem die Banken UBS, CS und Julius Bär die grossen Player.
Weil mittlerweile höhere Anforderungen bei der Unterlegung von Eigenmitteln der Bank verlangt sind, wird sich der Zugang zu solchen Krediten in Zukunft erschweren.
Ruf nach Veränderungen
Investoren stehen so oder so vor einem Dilemma: Wie können sie auf leere Büroflächen reagieren? Einige rüsten sich für die Zukunft, indem sie Räume mit viel Geld umfunktionieren – für Co-Working-Spaces, Fitnessstudios oder Bildungseinrichtungen.
Ernst Senteler von Priora sagt dazu: «Jeder Eigentümer von Gewerbe- und Immobilien sollte sich damit auseinander, ob sich Büroflächen nicht zu Wohnzwecken umnutzen liessen.» Das Potenzial wäre vorhanden, wie er betont: «Der Balsberg und die umliegenden Grundstücke am Flughafen sind in jeder Hinsicht optimal erschlossen, bieten sehr gute Infrastruktur und Einkaufsmöglichkeiten.» Doch bis jetzt fehlt der politische Wille, die Baugesetze und Zonenordnung flexibler nach dem tatsächlichen Bedarf auszurichten.