Donnerstag, Oktober 3

Der Wirtschaftshistoriker und Hüter der «Library of Mistakes» teilt in einem Vortrag 21 historische Lektionen, die sich Investoren zu Herzen nehmen sollten.

«Mundum mutatu errore singillatim – changing the world one mistake at the time»: So lautet das Motto der Library of Mistakes im schottischen Edinburgh und – seit 2021 – ihrer Schwesterinstitution in Lausanne.

Die Bibliothek umfasst eine Sammlung von mehr als 4500 Büchern und hat es sich zur Aufgabe gemacht, die vergangenen rund 300 Jahre Wirtschafts-, Finanz- und Unternehmensgeschichte zu dokumentieren. Ihr Name rührt daher, dass die Wirtschaftshistorie voller Fehler und Irrtümer ist, aus denen Lehren gezogen werden können – sofern man sie denn kennt.

Hüter der Bibliothek ist der in Schottland lebende Marktstratege und Wirtschaftshistoriker Russell Napier. Er verfasst seit mehr als 25 Jahren – damals als Stratege in Diensten des einst legendären Hongkonger Brokerhauses CLSA – den «Solid Ground»-Report, der unter institutionellen Investoren weltweit eine treue Leserschaft geniesst.

Leserinnen und Lesern von The Market ist Napier als regelmässiger Interviewpartner ein Begriff.

Ende März 2024 hielt Napier an der Library of Mistakes in Lausanne einen Vortrag mit dem Titel «Twenty One Lessons from Financial History for the Way We Live Now», in dem er 21 Regeln ausführte, die sich Anleger aus der Finanzgeschichte zu Herzen nehmen sollten.

Diese Regeln sind:

  1. Nehmen Sie sich in der Analyse eines Geschäftsfeldes oder eines Marktes mindestens so viel Zeit für die Angebots- wie für die Nachfragedynamik.
  2. Es gibt keinen Zusammenhang zwischen dem Wirtschaftswachstum und der Aktienmarkt-Performance eines Landes.
  3. Wenn Sie einen thematischen Boom an den Märkten (gegenwärtig beispielsweise rund um das Thema künstliche Intelligenz) sehen und überzeugt sind, dass er nicht ewig anhalten kann, Sie aber nicht wissen, wann er enden wird: Verdoppeln Sie die Zeit, die Sie dem Boom auf Basis Ihrer Analyse zutrauen, und subtrahieren Sie davon einen Monat.
  4. Denken Sie bei der Analyse eines Unternehmens immer zuerst an die vorherrschenden Anreizsysteme.
  5. Regierungen mögen freie Märkte nur so lange, wie sie die von ihnen gewünschten Resultate liefern.
  6. In einer freien Gesellschaft gleicht sich das Verhältnis von Unternehmensgewinnen zum BIP immer dem langfristigen Mittelwert an.
  7. Um die Geldpolitik einer Notenbank zu beurteilen, müssen Sie nebst dem Zinsniveau immer auch die breite Geldmenge betrachten.
  8. Die gefährlichste Form von Spekulation ist die Jagd nach Rendite.
  9. Die Gefahr, die in einzelnen Ländern für Investoren besteht, hängt von der Stärke der Institutionen und des Rechtsstaates ab.
  10. Die Staaten, die in Zukunft am ehesten ihre Schulden nicht bedienen werden, sind die Staaten, die auch in der Vergangenheit ihre Schulden nicht bedient haben.
  11. Hohe Aktienbewertungen fallen graduell und langsam, wenn Inflation herrscht, aber sie fallen abrupt und schnell, wenn Deflation herrscht.
  12. Kaufen Sie nie Aktien in einem Schwellenland, dessen Währung überbewertet ist.
  13. Touristen in teuren Ländern zeigen Ihnen am besten, welche Währungen überbewertet sind.
  14. Wenn ein Aktienmarkt ein zyklisch adjustiertes Kurs-Gewinn-Verhältnis von weniger als 10 aufweist, können Sie ihn blind kaufen – ausser, wenn es sich um ein kommunistisch regiertes Land handelt oder das Land in einen Krieg verwickelt ist.
  15. Demokratien neigen langfristig zu Kapitalverkehrskontrollen.
  16. Regierungen können immer ihre inländischen Sparer dazu zwingen, das eigene Staatsdefizit zu finanzieren.
  17. Technologie allein reicht nie aus, um Inflation zu besiegen.
  18. Währungssysteme scheitern historisch betrachtet rund alle dreissig Jahre.
  19. Das Finanzsystem ist praktisch nie im Gleichgewicht. Vergessen Sie ökonomische Modelle, die mit einem Gleichgewichtszustand arbeiten.
  20. Trauen Sie nie einer Prognose, die auf die Stelle nach dem Komma genau ist.
  21. Extrapolation ist das Opium des Volkes.

Russell Napiers einstündiger Vortrag ist hier in der englischen Originalversion zu sehen:

Russell Napier. Twenty One Lessons from Financial History for the Way We Live Now.

Sie finden das Video auch unter diesem Link.

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