Russland kommt im amerikanischen «Friedensplan» gut weg. Aber noch hält Putin seine Karten bedeckt. Mit Spannung wird sein nächstes Treffen mit dem amerikanischen Sondergesandten erwartet.
Inmitten des Sturms um Donald Trumps «Friedensplan» zur Beendigung des Ukraine-Krieges erscheint der Kreml wie ein Ruhepol. Nur die Reporter und Propagandisten verbreiten Nervosität, nicht zuletzt vor dem für Freitag angekündigten Besuch des amerikanischen Unterhändlers Steve Witkoff in Moskau. Die Ausgangslage für den Aggressor ist komfortabel. Russland braucht derzeit keinen Frieden um jeden Preis. Ohne die Zustimmung Wladimir Putins gehen die Kämpfe weiter und lässt sich Trumps Ziel, wenigstens binnen hundert Tagen nach Amtsantritt zu einer Waffenruhe zu kommen, nicht umsetzen.
Das erlaubt es Putin, einerseits auf zentralen Forderungen zu beharren. Anderseits könnte er sich aber auch unerwartet «grosszügig» zeigen, um dem neuen amerikanischen Freund zu einem Erfolg zu verhelfen und dessen gute Laune gegenüber Russland für wirtschaftliche und geopolitische Zwecke zu nutzen. Die Signale, die Putin und seine Funktionäre dabei aussenden, sind widersprüchlich. Nur zweierlei ist relativ klar: Sie fühlen sich ihrer Sache sicher und glauben die USA auf ihrer Seite zu haben, während sie die Europäer als Bremsklötze, Ewiggestrige und Kriegstreiber hinstellen.
Weitreichende Forderungen
Auf den ersten Blick sind die amerikanischen Ziele unvereinbar mit Russlands Positionen für ein Ende des Krieges. Im vergangenen Juni, kurz vor der Ukraine-Konferenz auf dem Bürgenstock, hatte Putin seine Vorstellungen dargelegt. Für einen Waffenstillstand forderte er den Rückzug der ukrainischen Truppen aus den noch nicht eroberten Teilen der vier im Herbst 2022 annektierten ost- und südostukrainischen Regionen. Zudem verlangte er die völkerrechtliche Anerkennung dieser Territorien sowie der Halbinsel Krim als Teil Russlands, die Aufhebung aller westlichen Wirtschaftssanktionen und eine neue europäische Sicherheitsarchitektur mit reduzierter Nato-Präsenz an der Ostflanke.
Immer wenn seither von Waffenruhe und vom Frieden die Rede war, verwiesen hohe russische Funktionäre auf diese Bedingungen und darauf, dass bei einem Verzicht auf die Gebiete die russische Verfassung verletzt würde. Aussenminister Sergei Lawrow und Putins Sprecher Dmitri Peskow wiederholten das jüngst in Interviews. Ein Einfrieren des Krieges entlang der Frontlinie, wie es Trumps «Friedensplan» offenbar vorsieht, hatten die Russen stets einhellig zurückgewiesen.
Ein solcher Zustand könne den Konflikt nicht dauerhaft lösen, hiess es. Dazu müssten dessen «ursprüngliche Gründe» beseitigt werden. Damit meint Moskau Kiews Streben nach Integration in die Nato, überhaupt die Ausrichtung nach Westen und die gegenüber Russland und den Russischsprachigen feindselige Haltung. Dem russischen Regime geht es letztlich um eine Rückabwicklung der Revolution auf dem Maidan von 2014 und die politische und militärische Kontrolle über die Ukraine.
Taktisches Einlenken möglich
Umso erstaunlicher mutete es deshalb an, dass die «Financial Times» am Dienstagabend schrieb, Putin habe sich gegenüber Trumps Unterhändler Steve Witkoff doch zu einer Waffenruhe entlang der Front bereit erklärt. Angesichts der widersprüchlichen Aussagen aus Moskau ist nicht sicher, ob das der Wahrheit entspricht, ein Missverständnis ist oder ob bewusst eine falsche Fährte gelegt wurde. Verschiedene Kommentatoren, auch solche, die eine derartige Entwicklung bis anhin für unwahrscheinlich gehalten hatten, tendierten dazu, darin ein vorläufiges taktisches Zugeständnis Putins an Trump zu sehen.
Der Kremlchef habe eingesehen, dass er militärisch in absehbarer Zeit seine Ziele nicht erreichen könne. Mit der Konzession bewahre er sich Trumps Wohlwollen, das Russland auch in anderen Weltregionen zum Vorteil gereiche, und sichere zugleich das bis jetzt im Ukraine-Krieg Erreichte ab, schrieb die im Exil lebende russische Politologin Tatjana Stanowaja. Für sie und auch für den britisch-amerikanischen Russland-Spezialisten Sam Greene ist klar, dass Putin damit nicht auf seine weiterreichenden Ansprüche gegenüber der Ukraine verzichtet. Es gehe Putin ohnehin nicht primär um Territorien, sondern um die Kontrolle über das Nachbarland. Je instabiler die dortige Lage sei, auch weil westliche Sicherheitsgarantien fehlten, desto eher könne der Kreml politisch oder in einem weiteren Gewaltakt seine Ziele realisieren.
Auch von Kreml-loyalen Kommentatoren, die den Krieg befürworteten, wird Trumps Plan nüchtern gewürdigt. Die Tatsache, dass Putin sich im Februar 2022 zum Grossangriff auf die Ukraine entschied, wird so zum Trumpf des Kremls bei der Durchsetzung weitreichender Machtansprüche über die Ukraine hinaus interpretiert und mit der Erwartung verbunden, Russland erhalte im Endergebnis mehr Einfluss nicht nur im postsowjetischen Raum, sondern auch in Europa. Dieses wird zum Unsicherheitsfaktor, ja zum neuen Feindbild stilisiert, zu einem Gebilde ohne Visionen und Zukunftsfähigkeit – zu einem «Terrarium der Gleichgesinnten», wie der aggressiv antiwestliche Politologe Timofei Bordatschow in einem Kommentar schrieb.
Widerspruch zu früheren Positionen
Gleichwohl bekäme es Putin auch mit einem Glaubwürdigkeitsproblem zu tun, endete der Krieg vorläufig mit einem Einfrieren der Frontlinie. Selbst eine völkerrechtliche Anerkennung der Krim-Annexion durch die USA würde daran nicht viel ändern, weil der Schritt vermutlich selbst von engen Partnern Russlands wie China oder der Türkei kaum nachvollzogen würde. In den vergangenen drei Jahren hatte Putin nicht nur die Nato-Ausdehnung nach Osten als Grund für Russlands Militäraktion genannt. Russland sei auch jahrelang kleingehalten und hinters Licht geführt worden. Es gebe kein Vertrauen in die westlichen Partner mehr. Weshalb sollte das jetzt mit Trump ganz anders sein, wenn nicht alle Ziele erreicht wurden, die sich Russland gesetzt hatte?
Das Problem stellte sich allerdings erst mittelfristig. Den Verdruss der Strasse braucht Putin nicht zu befürchten. Sein Wort ist entscheidend – ob er den Krieg oder den Frieden verkündet. Wer nicht gerade direkt vom Krieg profitiert oder beruflich der Propaganda verpflichtet ist, würde einen Frieden begrüssen, der Russland nicht als Verlierer dastehen lässt.