Montag, November 25

Russland oder die EU`? Die Parlamentswahl in Georgien war auch ein Referendum über die künftige Ausrichtung des Landes. Sie hat mit einem niederschmetternden Resultat geendet.

Auf Europakarten wirkt das südkaukasische Land Georgien weit abseits, aber der dortige Machtkampf betrifft den Kontinent sehr direkt. Eine klare Mehrheit der Bevölkerung befürwortet den Beitritt zur Europäischen Union – eine Haltung, die der Staatenbund 2023 mit der Verleihung des Beitrittskandidaten-Status belohnte. Doch die prowestlichen Kräfte des Landes haben dieses Jahr zwei katastrophale Rückschläge erlitten. Zuerst scheiterten sie im Mai beim Versuch, mit Massendemonstrationen ein nach russischem Vorbild geschaffenes, von autoritärem Geist durchtränktes Gesetz über «Ausland-Agenten» zu verhindern. Nun, in der Parlamentswahl vom Samstag, haben sie vollends Schiffbruch erlitten.

Die moskaufreundliche Regierungspartei Georgischer Traum des Multimilliardärs Bidsina Iwanischwili hat sich in dem unfairen Urnengang die Macht für weitere vier Jahre zugeschanzt. Laut den Behörden erhielt die Partei 54 Prozent der Stimmen, die vier prowestlichen Wahllisten nur 38 Prozent. Das Resultat ist unplausibel, da die Iwanischwili-Partei in regierungsunabhängigen Umfragen nur auf rund 35 Prozent gekommen war. Nun will sie sogar noch besser als vor vier Jahren abgeschnitten haben – und dies, obwohl sie mit ihrem zunehmend autoritären Kurs viele Bürger verschreckt hat.

Drohungen und Lügen

Beweisen lässt sich der Vorwurf eines grossangelegten Wahlbetrugs nicht, aber die Belege für Unregelmässigkeiten sind zahlreich. Ins Gewicht fiel vor allem, dass die Regierung ein Klima der Einschüchterung erzeugte und mit üblen Propagandalügen operierte. Auch in dieser Beziehung erwies sie sich als fleissige Schülerin des Putin-Regimes. So verbreitete Iwanischwili das völlig aus der Luft gegriffene Argument, der Westen wolle Georgien in einen Krieg mit Russland hineinziehen. Prowestliche Politiker verunglimpfte er pauschal als «Volksfeinde».

Ganz offen warb Georgiens reichster wie auch mächtigster Mann um eine Dreiviertelmehrheit im Parlament, denn damit wolle er über eine Verfassungsänderung die wichtigsten Oppositionsparteien für immer aus dem politischen Leben verbannen. Dass er eine solche Supermehrheit verfehlt hat, tröstet wenig. Der Scherbenhaufen ist auch so gewaltig. Die Europäische Union wird gar nicht anders können, als Georgiens Beitrittsgesuch zu schubladisieren.

Darin liegt eine besondere Tragik dieser Wahl. In einer Umfrage sprachen sich dieses Jahr 70 Prozent der Befragten für einen Beitritt zur EU aus und nur 10 Prozent dagegen. Doch mit einer Mischung aus Desinformation und Wahlmanipulation hat die Regierung in Tbilissi den Beitrittszug zum Entgleisen gebracht. Sie machte der Bevölkerung weis, sie stehe voll hinter der Westintegration, obwohl ihr Handeln eine völlig andere Sprache spricht. Eine Regierung, die ihren westlichen Partnern finstere Kriegspläne unterstellt und einen Kahlschlag in der Parteienlandschaft anstrebt, diskreditiert sich in Brüssel total. Kein Wunder, dass die EU bereits vor Monaten auf Distanz gegangen ist.

Der Kreml kann sich freuen

Auf dem Schachbrett der Geopolitik bedeutet das einen Erfolg für Russland, das Georgien – lange Zeit der europafreundlichste Staat der Region – wieder stärker in seine Umlaufbahn bringt. Iwanischwili, der bei einer weiteren Demokratisierung des Landes mit einem Machtverlust rechnen müsste, ist ein nützliches Instrument für den Kreml. Dessen übergeordnetes Ziel lautet, einen Vorhof von Moskau-hörigen Staaten zu schaffen. In der Ukraine ist dieses Bestreben schon lange erkennbar, kürzlich hat Russland aber auch beim EU-Referendum in der Moldau mit einer Lügenkampagne einen Teilsieg errungen.

Die EU muss in diesem Schachspiel geschickter und vorausschauender handeln. Noch ist Georgien nicht zum Vasallen des Kremls herabgesunken wie einst zur Sowjetzeit. Aber wer sich für dieses Land eine Zukunft als Teil einer demokratischen Staatenfamilie wünscht, hat an diesem 26. Oktober einen schwarzen Tag erlebt.

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