Freitag, Oktober 25

Europa ist gewappnet für den Winter, die Gasspeicher sind beinahe voll. Doch es gibt verschiedene Herausforderungen.

Reicht das Gas für den Winter? Diese Frage hat europäische Politiker in den letzten beiden Jahren mehr beschäftigt, als ihnen lieb sein dürfte. Der Krieg in der Ukraine offenbarte schmerzlich, wie stark sich Europa bei seiner Versorgung von russischem Erdgas abhängig gemacht hatte.

Doch mit Blick auf den kommenden Winter könne man optimistisch sein, sagt Georg Zachmann von der Denkfabrik Bruegel: «Wenn alles normal läuft, hat Europa im kommenden Winter mehr als genug Gas.»

Gefüllte Speicher

Erstens sind vielerorts die Gasspeicher gut gefüllt. Die europäischen Regierungen haben die Reserven in den letzten Monaten systematisch vorangetrieben.

Die Europäische Union hat als Folge der Energiekrise vorgesehen, dass sie bis zum November zu 90 Prozent gefüllt sein müssen. Vielerorts wurde diese Zielsetzung bereits im August erreicht.

Zusammengerechnet könnten die europäischen Speicherkapazitäten den gesamten Verbrauch der EU-Mitgliedstaaten über zwei bis drei Wintermonate decken.

Gesunkene Nachfrage

Zweitens ist die Nachfrage nach Gas seit dem Ausbruch der Energiekrise gesunken, da viele Haushalte und Unternehmen ihren Verbrauch aufgrund der hohen Gaspreise reduziert haben. Man sparte Strom, wo man nur konnte – und zog zur Not einen warmen Pullover an.

Das entspricht den Vorstellungen der EU: Bereits vor dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine hatte Brüssel mit dem «Fit for 55»-Programm eine Reduktion des Gasverbrauchs vorgezeichnet, damit die Treibhausgasemissionen der Mitgliedstaaten bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent sinken.

Der REPowerEU-Plan hingegen entstand als Antwort auf die Energiekrise. Er sieht vor, dass die EU-Staaten ihren Gasverbrauch noch rascher senken, um so die Abhängigkeiten vom Ausland zu verkleinern.

Breiteres Angebot

Drittens ist Europa heute weniger stark an das Angebot aus einem Lieferstaat gebunden, als es vor dem Krieg mit dem günstigen Pipelinegas aus Russland der Fall war.

Ausschlaggebend dafür ist die Kehrtwende zu Flüssigerdgas (LNG): Im Eiltempo bauten zahlreiche Staaten nach Kriegsausbruch zusätzliche Terminals, an welchen sie das verflüssigte Erdgas entladen konnten. Da LNG auf dem Schiffweg transportiert wird, kann Europa prinzipiell überall auf der Welt Gas kaufen.

Ist Norwegen das neue Russland?

Doch es gibt weiterhin Risiken. Da ist etwa die wachsende Bedeutung von Pipelinegas aus Norwegen, das mittlerweile einen Drittel des gesamteuropäischen Imports liefert. Wiederholt Europa also die gleichen Fehler, die es schon mit der Anbindung an Russland gemacht hat? Ein Wegbrechen der Gaslieferungen aus Norwegen würden die Europäer am eigenen Körper zu spüren bekommen.

Der Energieexperte Georg Zachmann hält es zwar für unwahrscheinlich, dass die norwegische Regierung mit den Gaslieferungen gegenüber den Europäern aggressive Machtpolitik ausübt. Möglich seien jedoch Sabotagen der Infrastruktur in der Nordsee. «Treten diese in grossem Stil ein, haben wir es jedoch mit einem Angriff gegenüber einem Nato-Mitglied zu tun – da stellen sich dann grössere Probleme als die kurzfristige Energieversorgung.»

Die Versorgung mit Gas aus Norwegen scheint vorerst stabil zu sein. Ganz anders sieht die Situation beim zweitgrössten Lieferanten aus: Russland.

Durch die Ukraine fliesst weiterhin russisches Gas

Der Anteil des russischen Gases an den EU-Importen liegt weiterhin bei rund 20 Prozent. Denn die EU hat keine Sanktionen gegen den Handel mit russischem Gas erlassen – anders als etwa beim Erdöl, wo Transporte per Schiff seit März 2023 verboten sind.

Allen voran Österreich, die Slowakei und Ungarn erhalten weiterhin grössere Liefermengen aus Russland. Ein bedeutender Anteil gelangt über die sogenannte Transitroute durch die Ukraine. Abschnitte der Pipeline liegen nahe am Kriegsgebiet. Somit drohen Lieferausfälle, wenn die Pipeline beim Gefecht beschädigt wird. Möglich ist auch, dass die ukrainische Regierung im kommenden Winter die Lieferungen zu blockieren versucht und so politischen Druck auf die EU-Staaten ausübt.

Allgemein ist die Zukunft der Gaslieferungen aus Russland ungewiss. Manche der Lieferverträge, die bereits vor Beginn des Krieges mit den russischen Staatskonzernen Gazprom und Naftogaz abgeschlossen wurden, laufen per Jahresende aus. Einige Politiker in Brüssel haben dazu aufgerufen, dass EU-Mitglieder künftig auf Gasmengen aus Russland verzichten sollen.

Doch Regierungsvertreter aus Staaten, die bis anhin das günstige Gas aus Russland erhalten haben, sehen das anders. Sie setzen sich dafür ein, dieses weiterhin beziehen zu dürfen.

So sagte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban Anfang Oktober in einer Rede vor dem Europäischen Parlament, eine Abkehr von Energiezufuhren aus Russland bedrohe Europas Wirtschaftswachstum. Zeitgleich lobbyierte der slowakische Ministerpräsident Robert Fico in Kiew für einen Weiterbetrieb der Transitroute durch die Ukraine.

Georg Zachmann sagt: «Die Gaslieferungen aus Russland drohen für die EU zum politischen Spaltpilz zu werden.»

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