Sonntag, Dezember 22

Die russischen Trollfabriken sorgten lange für Unruhe. Doch der Kreml führt auch Geheimdienstaktionen jenseits sozialer Netzwerke durch. Das hat Vorteile.

Als in den USA 2016 der Wahlkampf zwischen Donald Trump und Hillary Clinton tobte, mischte auf Facebook, Twitter und Instagram eine russische Firma aktiv mit: die Internet Research Agency. Hinter dem seriös klingenden Namen verbirgt sich jene Firma in St. Petersburg, die weltweit als «Trollfabrik des Kremls» bekannt wurde. Ihr Geschäftsmodell: Hunderte angestellte Russen publizieren mit falschen Profilen Inhalte auf sozialen Plattformen, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen.

Die Art, wie die Internet Research Agency im Auftrag des Kremls versucht hatte, die Präsidentschaftswahl in den USA zu beeinflussen, hat Schule gemacht. Heute setzen auch andere Staaten wie zum Beispiel China auf Netzwerke von gefälschten Profilen, die auf sozialen Plattformen falsche Meldungen verbreiten.

Doch 2024 nutzt der Kreml im amerikanischen Wahlkampf auch andere Methoden. In den letzten Monaten hatte Russland über die amerikanische Firma Tenet Media rechte Influencer aus den USA gekauft. Insgesamt sind laut den amerikanischen Behörden seit August 2023 rund 10 Millionen Dollar geflossen, damit diese Personen Videos und Beiträge publizieren, die den russischen Narrativen zum Beispiel zum Ukraine-Krieg entsprechen. Die zwei russischen Verbindungsleute, die nun in den USA angeklagt wurden, haben auch inhaltlich mitgearbeitet, indem sie Beiträge redigiert oder thematische Vorschläge gemacht haben.

Das Vorgehen erinnert an die Zeit des Kalten Kriegs. In den 1950er Jahren finanzierte der amerikanische Geheimdienst CIA zum Beispiel eine deutsche Agentur, um ein Jazzmagazin mit dem Titel «Schlagzeug» herauszugeben. Jazz wurde als mächtige psychologische Waffe gegen den Kommunismus gesehen, wie Thomas Rid in seinem Buch «Active Measures» beschreibt. Das Magazin ging auch an eine Leserschaft in der sozialistischen DDR. In den Texten ging es mehrheitlich um Musik, aber auch um den rebellischen Charakter von Jazz.

Dass Russland eine Medienfirma in den USA als Frontorganisation für eine verdeckte Operation einsetzt, bringt zahlreiche Vorteile gegenüber den Trollfabriken. Dazu gehören Authentizität und ein bestehendes Publikum, aber auch die grössere Verborgenheit.

Fake-Kampagnen haben oft keine grosse Reichweite

Desinformationskampagnen im Internet sind öffentlich und können nachverfolgt werden. Behörden, IT-Sicherheitsfirmen und die meisten Plattformbetreiber versuchen inzwischen, missbräuchliche Aktivitäten anderer Staaten zu entdecken und zu unterbinden. Immer wieder kommt es zu koordinierten Aktionen, um gefälschte Profile und Inhalte auf sozialen Plattformen zu entfernen. Dann beginnt die Arbeit der Angreifer von vorne.

Bei einer Frontorganisation, wie sie Moskau nun eingerichtet hat, welche Influencer oder andere Publizisten anheuert, sind die Verbindungen nach Russland viel schwerer zu entdecken. So mussten die amerikanischen Ermittler offensichtlich den Geldflüssen an die Tenet Media nachgehen. Über Scheinfirmen in Istanbul oder Dubai flossen die Millionen, um die Influencer zu bezahlen, unter falschen Angaben in die USA.

Ein noch grösseres Problem an Kampagnen mit Fake-Profilen auf Instagram, Youtube oder Twitter ist, dass sie nicht automatisch Reichweite generieren. Dazu braucht es Interaktion mit echten Benutzern, die üblicherweise erst nach einer Vorbereitungszeit erreicht werden – falls überhaupt. So gibt es Beispiele von Kampagnen, bei denen kaum echte Interaktion erreicht wurde.

Mit bestehenden Influencern zu arbeiten, bringt da einen Vorteil. Der Absender der Botschaft ist authentisch und hat bereits ein Publikum. Dieses kann für die Verbreitung der Botschaften genutzt werden. Das macht den aufwendigen Aufbau einer Reichweite überflüssig.

Besonders wichtig dürfte zudem die Authentizität der Influencer sein. Dieser Faktor wird in Zukunft noch entscheidender. Immer mehr Inhalte im Internet sind durch künstliche Intelligenz generiert. Viele Accounts in sozialen Netzwerken sind zweifelhaft. Das Vertrauen in die Inhalte sinkt. Wenn bekannte Namen mit einem Gesicht die eigenen Narrative verbreiten, ist das für eine Beeinflussungsaktion besonders wertvoll.

Davidsterne tauchen in europäischen Städten auf

Weil Bilder und Videos leicht gefälscht werden können, gewinnen echte Inhalte an Bedeutung. Fake News auf sozialen Plattformen sind oft nicht der beste Weg, um Verunsicherung in der Bevölkerung auszulösen. Das zeigt sich auch bei Russland. Der Kreml wendet auch andere Methoden an, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen.

Im vergangenen Oktober sind nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel in mehreren europäischen Städten Davidsterne aufgetaucht. Unbekannte hatten diese auf Hauswände etwa in Berlin oder Paris gesprüht. Die Sprayereien weckten in der Öffentlichkeit rasch den Verdacht, dass sie judenfeindlich motiviert sind. Unter der jüdischen Bevölkerung machte sich Angst breit. Die Polizei begann zu ermitteln.

Doch die Aktion war inszeniert. Die französischen Behörden verhafteten nach einigen Tagen zwei Moldauer, welche die Sprayereien zusammen mit zwei weiteren Personen ausgeführt haben sollen. Frankreich vermutet eine Verbindung nach Russland.

Das Vorgehen zeigt, wie wenig es braucht, um im richtigen Kontext Verunsicherung in der Bevölkerung auszulösen. Zwar sind echte Sprayereien aufwendiger als das Fälschen entsprechender Bilder. Dafür lösen die echten Sprayereien ein internationales Medienecho aus, wie es alleine mit Fake News in sozialen Netzwerken niemals gelingt. Die Enttarnung als Beeinflussungsaktion, Tage und Wochen später, dürfte in der Öffentlichkeit dann weit weniger wahrgenommen worden sein.

In Zukunft werden solche verdeckten Operationen zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung wohl zunehmen. Echte Ereignisse, die durch geheimdienstliche Aktionen herbeigeführt sind, eignen sich hervorragend, um in der Bevölkerung Unsicherheit zu schüren. Sie sind gefälschten Bildern oder Videos meist weit überlegen.

Das bedeutet aber nicht, dass die Trollfabriken überflüssig werden. Die Bilder der Davidsterne in den europäischen Städten wurden laut französischen Angaben besonders aktiv von der russischen Kampagne «Doppelgänger» in sozialen Netzwerken verbreitet. «Doppelgänger» ist seit Jahren aktiv und funktioniert – wie bereits die Aktionen der Internet Research Agency 2016 – mit gefälschten Accounts. Diese publizieren manchmal Fake News und manchmal echte inszenierte Ereignisse.

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