Russlands Präsident Wladimir Putin hält Hof in Tatarstan und setzt beim Brics-Gipfel vor allem auf die Symbolkraft der Bilder. Dass mehr als zwanzig Staatsführer anreisen, ist für ihn ein politischer Erfolg.
Russlands Staatsmedien schreiben vom «Ende der Dollar-Hegemonie» und von der «Beerdigung von Bretton Woods» – dem System, das nach dem Zweiten Weltkrieg als die bis heute geltende internationale Währungsordnung mit dem amerikanischen Dollar als Ankerwährung entstanden war. «Der Westen ist höchst nervös», behauptet der Erste Kanal des russischen Staatsfernsehens, das Verlautbarungsorgan der Kreml-Führung. Das Gipfeltreffen der Brics-Staatengruppe in Kasan, der Hauptstadt der russischen Teilrepublik Tatarstan etwa 800 Kilometer östlich von Moskau, wird in Russland zum wichtigsten Ereignis des Jahres stilisiert und als «historisch» dargestellt.
Präsident Wladimir Putin, der wegen des Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag nur eingeschränkt ins Ausland reisen kann, hält bei sich daheim Hof. Bis Donnerstag schüttelt er in der Stadt an der Wolga – auch in Kasan gibt es einen Kreml – 21 Staats- und Regierungschefs die Hände. Selbst nach der Absage seiner Amtskollegen aus Brasilien, Kuba und Serbien sind es noch genug, um seinen kleinen Triumph vor dem Westen auszukosten. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping wurde mit Brot und Salz empfangen, der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa kostete die tatarische Süssspeise Tschäk-Tschäk, Indiens Premierminister Narendra Modi umarmte Putin und sagte später, wie froh er sei, in Russland zu sein.
Das Treffen von Kasan soll zeigen, dass Russland in seinem dritten Kriegsjahr keineswegs isoliert ist. Kreml-loyale Beobachter sehen das Land, voller Euphorie, zurück auf der Weltbühne. Dank Russland werde die Welt demokratischer und gerechter, so die zynischen Behauptungen. Die Brics-Gruppe sei, so schreibt der Moskauer Wirtschaftsprofessor Pawel Tereljanski von der Plechanow-Universität in Moskau, «ein transparentes, demokratisches, flexibles Gebilde, im Gegensatz zu den diktatorischen G-7-Staaten». Was er unter demokratischem Gebilde versteht angesichts von Mitgliedländern wie China, Iran oder auch seinem eigenen, erklärt er nicht.
Ohnehin geht es in Kasan um wenig Konkretes. Erwartet werden pompöse Erklärungen, nicht klares gemeinsames Handeln. Dafür ist die erweiterte Brics-Gruppe ohnehin kaum geeignet, weil jedes Land seine eigenen Interessen vertritt. Das Gipfeltreffen erfüllt aber einen anderen Zweck. Russlands Führung nutzt es, um sich vor allem geopolitisch zu positionieren – mit dem Ziel, eine neue Weltordnung ohne Dominanz des Westens aufzubauen. Dies gilt, obwohl Moskau immer wieder behauptet, die Brics-Gruppe richte sich «gegen nichts und niemanden», wie der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow auch am Eröffnungstag mitteilen liess.
Es ist das 16. Treffen des losen Staatenverbundes. Auch das erste, im Jahr 2009, hatte in Russland stattgefunden, damals noch mit den Gründungsmitgliedern Brasilien, Russland, Indien und China. Ein Jahr später schloss sich Südafrika an. Im vergangenen Jahr sind vier neue Länder dazugekommen: Ägypten, Äthiopien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate. Sie sind in Kasan nun zum ersten Mal als Mitglieder dabei. Die inzwischen neun Mitglieder der Brics-Gruppe machen die Hälfte der Weltbevölkerung aus.
Mittlerweile geht es, anders als zu Beginn, nicht mehr um eine Wirtschaftskoalition, sondern um ein geopolitisches Gegengewicht zum Westen. Darin stimmen die angereisten Delegationen überein. Zwölf weitere Länder haben bereits ihre Aufnahme beantragt, mehr als dreissig wollen zum «alternativen Klub» dazugehören. Darunter sind Länder wie die Türkei, Kasachstan, Indonesien, auch Kongo-Kinshasa, Nordkorea oder Syrien. Die Aufnahmekriterien sind unklar.
Unklar ist auch, was das Bündnis bezwecken will. Letztlich ist es eine weitere Plattform zum Austausch – und für den Westen durchaus nicht zu vernachlässigen. Schliesslich sitzen hier China, Russland und Iran an einem Tisch. Die drei eint der Wunsch, den «westlichen Hegemonen» zu brechen. Doch die Interessen der Brics-Staaten sind heterogen, und nicht alle sind offen antiwestlich. Das macht es für das immer beliebiger werdende Bündnis schwer, an Bedeutung zu gewinnen. Am Ende bleibt es eine Veranstaltung, bei der jeder irgendwie mitmachen kann.
Russland sieht sich zwar als Lokomotive und ideologischen Führer der Gruppe, doch es ist China, das dominiert und sie als Instrument im Kampf für eine neue Weltordnung ausbauen will. Russland ist dabei – wie auch sonst – lediglich ein Juniorpartner Pekings. In Kasan inszeniert sich Moskau als zuverlässiger Partner, ungeachtet der Sanktionen wegen des Krieges gegen die Ukraine. Die Plenarsitzungen der Gipfelteilnehmer beginnen zwar erst am Mittwoch, doch in siebzehn bilateralen Gesprächen will Putin die Beziehungen zu anderen Staatenlenkern stärken. Er möchte zeigen, wie sehr er auf der Suche nach neuen Entwicklungsmöglichkeiten für sein Land ist – jetzt, da die westlichen Märkte teilweise weggebrochen sind.
Russland ist vor allem an einem neuen Zahlungssystem gelegen, einer Art Alternative zum Swift-System, aus dem das Land nach seinem Angriff auf die Ukraine ausgeschlossen wurde. So traf sich Putin als Erstes mit der früheren brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff, die nun die Brics-Entwicklungsbank NDB leitet. Das erhoffte neue Zahlungssystem soll den Namen Brics Bridge erhalten. Es ist lediglich eine der Ankündigungen von vielen, eine der «Nachrichten der Zukunft», wie viele Russen die Versprechungen Putins nennen.