Dienstag, April 15

Der Palmsonntag hat der Ukraine eine neue Hiobsbotschaft gebracht, die opferreichste Attacke auf Zivilisten seit 2023. Russland terrorisiert mit seinem Raketenangriff die Bevölkerung und übt Druck auf die Waffenstillstandsverhandlungen aus.

Erst eine gute Woche ist es her, dass Russland bei einem Kinderspielplatz in der südukrainischen Stadt Kriwi Rih ein Massaker verübt hat. Nun hat Moskau erneut in einer Grossstadt zugeschlagen, und der Blutzoll ist diesmal noch höher: 32 Tote und 99 Verletzte forderte ein Raketenangriff auf Sumi am Sonntagmorgen laut Angaben der ukrainischen Katastrophenschutzbehörde. Unter den Opfer seien auch zwei getötete und elf verletzte Kinder. Bilder aus der nordukrainischen Stadt zeigten Szenen des Grauens: reglose Körper auf Strassen und Plätzen, brennende Autos, stark beschädigte Gebäude und verzweifelte Menschen.

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Russland griff nach ukrainischen Angaben mit zwei ballistischen Raketen an – einer Waffe, die besonders schwer abzuwehren ist und im Vergleich zu Drohnen deutlich mehr Sprengstoff mitführen kann. Wie Anfang April in Kriwi Rih scheint Russland Splittergefechtsköpfe eingesetzt zu haben, um in grossem Umkreis eine möglichst hohe Opferzahl zu erzielen. Viele Menschen sollen im Moment des Angriffs auf dem Weg zum Gottesdienst gewesen sein. Auch in der Ukraine wurde der Palmsonntag gefeiert, denn in diesem Jahr fällt das orthodoxe Osterfest ausnahmsweise mit jenem der Westkirchen zusammen.

Nahe an der russischen Grenze

Präsident Wolodimir Selenski erklärte, nur Lumpengesindel könne eine solche Tat verüben. Aus Russland gibt es vorerst keine offizielle Stellungnahme. Gerüchte, wonach der Angriff einer militärischen Zeremonie gegolten habe, sind unbestätigt. So oder so ist klar, dass die Truppen des Kremls ohne jede Rücksicht auf die Zivilbevölkerung gehandelt haben. Das verfügbare Bildmaterial gibt keinerlei Hinweise auf militärische Opfer. Getroffen wurde einer der schönsten Plätze der Stadt an der von klassizistischen Gebäuden gesäumten Petropawliwska-Strasse. Besonders schwere Zerstörungen erlitten ein Institutsgebäude und das Kongresszentrum der Staatsuniversität Sumi.

Die Stadt mit einst einer Viertelmillion Einwohnern liegt weniger als dreissig Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Bei der Invasion vor drei Jahren war sie ein wichtiges Etappenziel der Russen. Trotz wochenlanger Belagerung gelang es den Invasoren jedoch nicht, ins Zentrum von Sumi vorzustossen. Nach dem Rückzug der russischen Bodentruppen im April 2022 erholte sich die Stadt etwas, doch Luftangriffen blieb sie weiter ausgesetzt. Jener vom Sonntag war allerdings mit Abstand der bisher schwerste auf die Stadt. Landesweit handelt es sich um den blutigsten Angriff auf Zivilisten seit anderthalb Jahren.

Der Militärexperte Anton Michnenko äusserte gegenüber einem ukrainischen Radiosender die Einschätzung, dass die Attacke keiner militärischen Logik gefolgt sei, sondern dem Ziel, die Bevölkerung einzuschüchtern, sie in Panik zu versetzen und ihr das Gefühl der Ausweglosigkeit zu vermitteln. Michnenko geht davon aus, dass der Kreml die Führung in Kiew so zu grösseren Zugeständnissen bei den laufenden Waffenstillstandsgesprächen bringen will.

Einen Aufschrei in Washington befürchtet das Putin-Regime offenbar nicht. Nach dem Massaker in Kriwi Rih hatte Washington nur verhaltene Kritik geübt. Präsident Trump merkte zwar an, dass Russland derzeit «wie verrückt bombardiere» und er darüber nicht erfreut sei. Aber Trump behielt seinen Kurs bei und schickte seinen Sondergesandten Witkoff am Freitag zu einem weiteren Treffen zu Putin. Witkoff ist bekannt für seine prorussischen Ansichten. Ende letzter Woche meldete die Agentur Reuters, dass er Trump empfohlen habe, den Russen in einem Waffenstillstandsabkommen weitere, bisher noch unbesetzte ukrainische Gebiete zu überlassen.

Russische Bodenoffensive nördlich von Sumi

Sumi ist allerdings keine gewöhnliche Stadt; sie dient auch als militärische Drehscheibe. Seit dem ukrainischen Vorstoss in die russische Grenzregion Kursk im vergangenen Sommer zirkuliert durch Sumi besonders viel militärisches Gerät und Personal. Inzwischen haben die Ukrainer mehr als 95 Prozent ihrer ursprünglichen Gebietsgewinne in Kursk wieder verloren. Damit ist die Front näher an Sumi herangerückt. Das russische Militär drängt die Ukrainer nicht nur aus dem Kursker Gebiet hinaus, sondern ist auch zum Gegenangriff mit kleinen Gruppen auf ukrainisches Gebiet übergegangen.

Nördlich von Sumi eroberte es zwei Dörfer und stiess bis Loknja vor, zehn Kilometer tief im Innern der Provinz Sumi. Dies lässt sich aus Videos aus dem Kampfgebiet schliessen. Eine grosse Bodenoffensive in Richtung der Stadt Sumi selber ist nach ukrainischer Einschätzung derzeit nicht zu erwarten, weil die Russen dafür nicht genügend Truppen hätten. Aber vermutlich wollen sie den verbleibenden ukrainischen Einheiten im Kursker Gebiet den Nachschub abschneiden und eine Pufferzone an der Grenze errichten.

Absturz eines F-16, der Pilot kommt ums Leben

A. R. · Die Ukraine hat am Wochenende den Tod eines weiteren Militärpiloten bekanntgegeben. Der 26-jährige Pawlo Iwanow sei am Samstag bei einer Kampfmission mit einem F-16 getötet worden, teilte die Luftwaffe mit. Näheres über Ursache und Ort meldeten die Behörden nicht. Aber aus der Formulierung muss geschlossen werden, dass das Kampfflugzeug abgestürzt ist.

Es handelt sich damit um den zweiten bekannten Verlust eines ukrainischen F-16. Ein erster Absturz hatte sich im vergangenen August ereignet, kurz nachdem Kiew die ersten paar Jets dieses Typs erhalten hatte. Da die Ukraine weiterhin nur über sehr wenige westliche Kampfflugzeuge verfügt, ist der Rückschlag vom Wochenende besonders bitter. Die verfügbaren F-16 aus amerikanischer Produktion und die französischen Mirage werden zur Verteidigung des eigenen Luftraums eingesetzt, unter anderem zur Abwehr feindlicher Marschflugkörper.

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