Monatelang stritt der Kreml ab, dass Nordkoreaner gegen die Ukraine kämpfen – nun gibt er die Lüge ungeniert zu. Präsident Putin stellt derweil die totale Niederlage des Gegners in Aussicht. Sein radikaler Ton klingt nicht nach baldiger Waffenruhe.

Mehr als acht Monate nach dem ukrainischen Überraschungsangriff auf die russische Grenzprovinz Kursk hat das Kreml-Regime den Sieg an diesem Frontabschnitt verkündet. Bei einer Videokonferenz mit Präsident Wladimir Putin meldete der Generalstabschef Waleri Gerasimow am Samstag die vollständige Rückeroberung der Kursker Grenzgebiete.

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Das ist zwar eine Übertreibung, da Russlands Truppen noch immer nicht überall an die ukrainische Staatsgrenze vorgestossen sind. Aber unbestrittenermassen ist die Schlacht entschieden, da die Ukrainer keine einzige Ortschaft mehr auf Kursker Boden kontrollieren. Laut der Analysegruppe Deep State Map können sie sich nur noch in einem schmalen, zwanzig Quadratkilometer grossen Grenzstreifen halten. Am Samstag hissten russische Soldaten eine Flagge in Gornal, dem bis dahin letzten ukrainisch kontrollierten Weiler in Kursk.

Einsatz von Nordkoreanern – vom Dementi zum Eingeständnis

Der ukrainische Rückzug hatte sich seit langem abgezeichnet, spätestens nach dem Verlust der Bezirkshauptstadt Sudscha im März. Eine Überraschung bot die Unterredung zwischen Putin und Gerasimow aus einem anderem Grund: Der Generalstabschef hob mit der grössten Selbstverständlichkeit hervor, dass nordkoreanische Truppen an der Seite der Russen gekämpft hätten. Für westliche Beobachter ist das schon seit dem vergangenen Herbst kein Geheimnis mehr, und im Winter beseitigten die Zeugenaussagen gefangener Nordkoreaner die letzten Zweifel. Aber der Kreml hatte diese Tatsache beharrlich geleugnet. Putins Sprecher nannte die Berichte über den Einsatz von Nordkoreanern eine Zeitungsente.

Solche Sprünge vom empörten Dementi zum kaltschnäuzigen Eingeständnis sind für das Putin-Regime typisch. Schon die Besetzung der Krim und den Einsatz russischer Geheimdienstverbände im Donbass im Jahr 2014 hatte Moskau anfangs vehement abgestritten, später auch die Vorbereitungen zur Grossinvasion in die Ukraine. Der Kreml sieht kein Problem darin, die Wahrheit später ohne Wimpernzucken nachzuliefern. Tatsächlich fallen ja auch viele Menschen stets aufs Neue auf die Propagandalügen hinein.

Noch ein weiterer Aspekt von Putins Auftritt am Samstag war bemerkenswert: der unversöhnliche, martialische Ton, der so gar nicht zur Prognose des amerikanischen Präsidenten Trump über einen baldigen Frieden passen wollte. Putin äusserte die Ansicht, dass nach dem Sieg in Kursk der Gegner entscheidend geschwächt sei und dies den Russen schon bald zu Erfolgen an anderen Frontabschnitten verhelfen werde. «Es nähert sich die Zerschlagung des Neonazi-Regimes», sagte Putin. Mit diesem Schimpfwort meinte er die demokratisch gewählte Regierung Selenski, mit der Moskau gemäss dem amerikanischen Friedensplan eigentlich umgehend einen Dialog beginnen sollte.

Nach dem Sieg in Kursk sind Russlands Truppen geschwächt

Den Erfolg in Kursk hätte Putin auch nutzen können, um nun staatsmännisch darzulegen, dass eine entscheidende Hürde für einen Waffenstillstand beseitigt sei. Stattdessen setzte er bewusst einen radikalen Akzent. Es ist gut denkbar, dass er eine Fortsetzung des Krieges weiterhin für die beste Strategie hält und darin von den Generälen bestärkt wird. Dennoch ist unübersehbar, dass nicht nur die Ukraine durch das Kursk-Abenteuer schwere Verluste erlitten hat, sondern auch Russland.

Putin musste einige seiner besten Truppen in diese Grenzregion verlegen, um der Lage Herr zu werden. Einheiten der Luftlandetruppen und der Marineinfanterie, die einst als Eliteverbände gegolten hatten, aber nach drei Jahren ausgelaugt sind, brauchten zusammen mit den Nordkoreanern die letzten anderthalb Monate, um ein dünn besiedeltes Gebiet von nur etwa neunzig Quadratkilometern einzunehmen.

Es bleibt abzuwarten, ob Moskau diese geschwächten Truppen gleich an die nächste Front werfen kann. Die jüngst erkennbaren Ansätze zu einer russischen Frühjahrsoffensive sind jedenfalls nicht beeindruckend. Im Süden und im Osten des Landes konnten die Ukrainer mehrere grössere Vorstösse der Russen zurückschlagen und dabei viele Fahrzeuge des Gegners zerstören. Putins vollmundige Aussage über einen nahenden Zusammenbruch der Ukraine scheint Wunschdenken zu spiegeln.

Explosion eines Munitionslagers und Tod eines Generals

Auch sonst spielt die russische Propaganda peinliche Rückschläge herab. Vergangene Woche flog sechzig Kilometer östlich von Moskau eines der grössten Munitionslager des Landes in die Luft. Erst jetzt ist dank hochauflösenden Satellitenbildern das Ausmass der Katastrophe klarer geworden. Rund die Hälfte des riesigen Areals bei Kirschatsch in der Provinz Wladimir samt vielen Gebäuden wurde zerstört; nach Schätzungen explodierten mehrere zehntausend Tonnen Munition.

Im Unterschied zu anderen Explosionen deutet diesmal nichts auf einen ukrainischen Drohnenangriff hin. Als Ursache wird Schlamperei bei der Handhabung der hochexplosiven Ware vermutet. Auch Korruption scheint im Spiel zu sein, da die Anlage erst vor ein paar Jahren modernisiert worden war, aber nicht alle Lagergebäude mit den vorgeschriebenen Erdwällen geschützt wurden. So löste die erste Explosion eine Kettenreaktion von weiteren Detonationen aus.

Fatale Sicherheitsmängel zeigten sich jüngst auch bei einem anderen Vorfall. Bei einem Autobombenanschlag kam am Freitag in einem Moskauer Vorort der russische Generalleutnant Jaroslaw Moskalik ums Leben. Der Attentäter – laut den Ermittlungsbehörden ein Ukrainer – konnte das Fahrzeug ungehindert vor Moskaliks Wohnblock parkieren und die Bombe ferngezündet explodieren lassen.

Der General hatte eine führende Position in der für Kriegsplanungen zuständigen Abteilung des Generalstabs inne. Nach der Tötung eines weiteren Generals im Dezember und ähnlichen Aktionen ist klar, dass der ukrainische Geheimdienst über ein schlagkräftiges Agentennetz in Russland verfügt. Kürzlich gelang es einem Saboteur auch, auf einen Militärflugplatz vorzudringen und dort ein – allerdings wohl ausrangiertes – Kampfflugzeug in Brand zu setzen.

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