Freitag, Oktober 18

Bei den Sanktionen gegen Russland ist Härte gefragt, aber auch Augenmass. Schweizer Tochterfirmen im Ausland ins Visier zu nehmen, mag richtig klingen. Es ist dennoch falsch.

Wenn die SP und die USA gleichzeitig unzufrieden sind, dann muss etwas passiert sein. Oder etwas ist nicht passiert. Der Bundesrat hat in dieser Woche entschieden, weite Teile des 14. Sanktionspakets der EU gegen Russland zu übernehmen. Aber eben nicht komplett.

Firmen mit Sitz in der EU sollen neu sicherstellen, dass ihre Tochtergesellschaften rund um den Erdball sich ebenfalls an die Sanktionen halten – auch dann, wenn die Tochter ohne Einbezug der EU-Mutter agiert. Das ist eine neue Regelung, und sie hätte analog auch für Firmen mit Sitz in der Schweiz und ihre Tochtergesellschaften im Ausland gegolten.

Was sinnvoll klingt, muss nicht sinnvoll sein

Auf diese Verschärfung hat der Bundesrat verzichtet – woraufhin die SP von einem «skandalösen Entscheid» sprach. Der Botschafter der USA, Scott Miller, liess in den Zeitungen der TX-Gruppe ausrichten, er sei «enttäuscht» von der Schweiz.

Die amerikanische Regierung und die SP haben selten das Heu auf derselben Bühne. Dass sie sich in dieser Sache einig sind, gibt einen ersten Hinweis auf die Ambivalenz der umstrittenen Vorschrift. Denn der Verzicht des Bundesrates ist gerechtfertigt. Auch wenn die Ausweitung der Strafen auf ausländische Tochtergesellschaften sinnvoll klingen mag, so ist sie es in der Realität nicht.

Um es vorweg klar zu sagen: Es ist richtig und notwendig, dass die Schweiz die Strafmassnahmen der EU gegen Russland bis heute in den allermeisten Fällen mitgetragen hat und es hoffentlich auch weiterhin tun wird. Der ungerechtfertigte und nicht provozierte Angriff auf die Ukraine und ihre Bevölkerung verletzt das Völkerrecht im Allgemeinen und die Sicherheitsinteressen des Kleinstaats im Besonderen.

Es braucht Sanktionen – aber die richtigen

Es kann der Schweiz nicht daran gelegen sein, wenn in Europa in so verheerender und menschenverachtender Weise das Recht des Stärkeren ausgeübt wird, wie Moskau es tut. Hinter diesem übergeordneten Interesse des Landes müssen die individuellen Wirtschaftsinteressen zurückstehen, sei es von kleinen Maschinenbauern oder von grossen Rohstoffhändlern. Neutralität ist kein Freibrief zum Nichtstun.

Dennoch ist die neue Vorschrift der EU nicht zielführend. Ein Staat kann jenen Unternehmen und Bürgern Regeln auferlegen, die in seinem eigenen Territorium ansässig sind – und ihnen zum Beispiel verbieten, mit einem russischen Waffenproduzenten Geschäfte zu machen. Auf dem eigenen Gebiet hat der Staat die Macht, diese Regeln auch durchzusetzen.

Aber ein Staat hat keine Mittel, dieses Verbot Firmen zu verordnen, die ihren Sitz im Ausland haben. Dort gelten die Gesetze des anderen Landes. Der Versuch einer sogenannten extraterritorialen Anwendung von Sanktionen ist rechtlich problematisch und politisch heikel.

Im Ausland fehlt der Hebel – ausser man ist die USA

Die EU ist sich dessen bewusst. Ihre Bestimmung ist bewusst schwammig. Sie schreibt den EU-Firmen ohne Details vor, sich «nach besten Kräften» zu bemühen, ihre Tochtergesellschaften von heiklen Geschäftsbeziehungen abzuhalten. Brüssel scheint es mehr darum zu gehen, ein Zeichen zu setzen – was nachvollziehbar ist, denn Umgehungsgeschäfte über Drittstaaten sind ein Problem. Aber es fehlt der Hebel, um im Drittstaat dagegen vorzugehen.

Nur ein Land auf der Welt hat diesen Hebel und schert sich zugleich selten um Konflikte mit in Drittstaaten geltendem Recht: die USA. Denn viele Geschäftstransaktionen, insbesondere im Rohstoffhandel, werden in Dollar abgewickelt. Sie laufen damit zwangsläufig über in Amerika befindliche Finanzinfrastruktur.

Die Drohung, ein Unternehmen von dieser US-Infrastruktur auszuschliessen, ist ein mächtiges Druckmittel, um extraterritorial die eigenen Regeln durchzusetzen. Mit solch einem Rechtsverständnis tut sich der amerikanische Botschafter wahrscheinlich leicht, von der Schweiz «enttäuscht» zu sein.

Berns Arm muss stärker werden

Doch Bern ist nicht Washington, und Berns Arm reicht nicht bis nach Dubai, sondern nach Zug und Genf. Aber das heisst nicht, dass der Arm schwach ist. Er kann zupacken, wenn es eine dezidierte Verbindung zur Schweiz gibt: Schon heute muss das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) untersuchen, wenn von der Schweiz aus oder unter Einbezug der Schweiz Versuche unternommen werden, die Sanktionen über eine Tochtergesellschaft in einem Drittland zu umgehen. Das tut das Seco auch.

Statt den Schweizer Arm zu überdehnen, ist es deshalb angebracht, ihn dort zu stärken, wo er wirken kann – auf Schweizer Hoheitsgebiet. Das Seco braucht die nötigen Ressourcen, um zwielichtigen Geschäften auf die Spur zu kommen. Der anderen Seite mangelt es auch nicht an Ressourcen. Und es würde sie freuen, wenn ihre Verfolger sich verzettelten.

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