Donnerstag, März 13

Russland baut seinen Einfluss in Afrika laufend aus. Nun sollen auch afrikanische Priester zu Sprachrohren Putins werden.

Ganz im Südwesten von Kenya, zwischen Zuckerrohrfeldern und grünen Hügeln, steht eine Lehmhütte, die unverhofft zu einem Schauplatz der Weltpolitik geworden ist. Sie neigt sich gefährlich zur Seite. In den Wänden öffnen sich Risse. Ikonen an Holzpfosten zeigen Jesus, Maria, Johannes den Täufer.

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Die Lehmhütte ist eine Kirche. Und sie ist ein Schauplatz des nächsten russischen Vorstosses in Afrika: Priester sollen zu Sprachrohren Wladimir Putins werden.

Gerade geht Vater Romanos durch den Raum. Er ist der Pfarrer in der kleinen Kirche, sie heisst Sankt Philotheus und hat weniger als hundert Gemeindemitglieder. Vater Romanos trägt einen Kelch vor sich her. «Oh, Herr», singt er, «gedenke unseres Patriarchen Kirill und unseres Bischofs Konstantin.» Die Gemeinde, drei Dutzend Gläubige in Plastikstühlen, quittiert: «Aaaamen.»

Konstantin ist Russlands oberster Geistlicher für Afrika. Patriarch Kirill ist das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, ein enger Verbündeter des russischen Diktators. Und Vater Romanos, ein herzlicher, 50-jähriger Landpfarrer, ist Russlands Mann hier in Migori, einem Ort, der in der grossen Geopolitik plötzlich eine Rolle spielt.

Seit einigen Jahren baut Russland seinen Einfluss in Afrika stark aus. Es hat sich mit Putschisten in mehreren Ländern verbündet. Es bezahlt Influencer, die in sozialen Netzwerken russische Propaganda verbreiten. Es liefert Waffen und Soldaten, lässt sich dafür mit Geld, Gold und andern Rohstoffen bezahlen.

Weniger bekannt ist: Russland stellt auch eine Armee von afrikanischen Geistlichen zusammen. Dazu gehören Leute wie Vater Romanos. In Afrika sind mehrere hundert orthodoxe Priester zur russisch-orthodoxen Kirche übergetreten. In Liberia, der Republik Zentralafrika, in Kongo-Kinshasa, Sambia und vielen anderen Ländern.

Religion ist in Afrika so wichtig wie sonst auf keinem Kontinent. Es gibt zahllose Kirchen, katholische, anglikanische, evangelikale, es gibt Muslime, Hindus und ein paar Buddhisten. Aber es gab lange keine russisch-orthodoxe Kirche. Doch nun stösst Russland in Afrika auch mit der Bibel vor und stiehlt Priester. Und mit ihnen Tausende von Gläubigen.

Der russische Missionar versprach das fünffache Gehalt

Fünf Jahre ist es her, so erzählt Vater Romanos im Gespräch, da kam ein Russe nach Migori. Er trug einen Ziegenbart und eine randlose Brille. Er hiess Vater George. Er ist Russlands oberster Missionar in Afrika. Seine Aufgabe: afrikanische Priester rekrutieren.

George kam in diese abgelegene Gegend, weil ein kenyanischer Priester ihm gesagt hatte, dort gebe es unzufriedene Priester. Das hatte mit Geld zu tun. Vater Romanos erhielt von der griechisch-orthodoxen Kirche 10 000 Shilling im Monat, 70 Franken. Zu wenig für einen Mann, der eine Familie ernähren muss und dazu von seinen Gemeindemitgliedern ständig um Geld gebeten wird. Manchmal kam während zweier oder dreier Monate auch kein Gehalt. «Ich litt», erzählt Vater Romanos.

Der russische Missionar versprach Romanos und den anderen Priestern in Migori das Fünffache des bisherigen Gehalts. Romanos überlegte nicht lange. Er unterzeichnete einen schriftlichen Eid, von nun an würde er die russisch-orthodoxe Kirche vertreten. In Migori gibt es 13 orthodoxe Pfarrer. Bis auf einen wechselten alle zu den Russen. Vater Romanos sagt: «Wir waren die Pioniere.»

Ein Baby namens Konstantin

Die Pioniere feiern ihre Messen nun in Holzverschlägen und Zelten. Denn ihre Kirchen dürfen sie seit dem Bruch mit der griechisch-orthodoxen Kirche nicht mehr benützen. Die russische Propaganda inszeniert die afrikanischen Priester im Internet, zeigt, wie sie Backsteine schichten, um neue Kirchen zu bauen.

Die Propaganda erzählt nicht von den höheren Gehältern. Sie erzählt die Übertritte so: Die afrikanischen Pfarrer seien nicht einverstanden damit, dass eine von Moskau unabhängige orthodoxe Kirche der Ukraine entstanden sei. 2019, fünf Jahre nach dem ersten Überfall Russlands auf die Ukraine, anerkannte der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel die Eigenständigkeit dieser neugegründeten ukrainischen Kirche. Verärgert brach Moskau darauf mit dem Ökumenischen Patriarchen, der einen gewissen Vorrang unter den Bischöfen der Orthodoxie geniesst.

Kontaktiert man Russlands neue afrikanische Priester auf Whatsapp oder Facebook, wollen sie nicht sprechen. Sie müssten die Erlaubnis aus Russland haben, sagen sie. Sie verlangen Geld. Sie drohen. Die meisten antworten einfach nicht. Auch Vater George, Russlands Missionar, schweigt.

Vater Romanos sieht das alles entspannter. Er lädt zum Messebesuch ein, hat an diesem Sonntag noch einen befreundeten Pfarrer und dessen Gemeinde dazu geholt, um die Lehmhütte zu füllen. Von den Anwesenden sind die Hälfte Kinder, manche noch Säuglinge in den Armen ihrer Mütter. Das jüngste Kind heisst Konstantin, nach dem russischen Bischof.

Wenig hat sich für Vater Romanos’ Gemeinde geändert seit dem Wechsel zu den Russen. Sie feiern die Messe nun in der Hütte statt im alten Kirchengebäude, das 300 Meter entfernt leer liegt. Doch die Messe läuft gleich ab, die Liturgiebücher sind dieselben, die Sprache ist Kisuaheli geblieben. «Aber wir nennen nicht mehr die Namen des Patriarchen in Alexandria und des Bischofs in Nairobi, sondern die von Kirill und Konstantin», sagt Vater Romanos.

Auf seinem Handy hat Vater Romanos ein Bild von Konstantin als Bildschirmschoner installiert. Der Bischof aus Moskau kam im vergangenen Jahr erstmals zu Besuch. Er besuchte die Priester, die auf die russische Seite gewechselt hatten. Er kam auch in die Lehmhütte von Vater Romanos. Dieser sagt: «Wir dachten, der Bischof spreche nur Russisch. Doch er sprach Englisch, wir waren positiv überrascht.»

Dem Erzbischof laufen die Priester davon

400 Kilometer östlich von Migori, in Kenyas Hauptstadt Nairobi, liegt der Sitz jener Kirche, der die Priester in Scharen davonlaufen. Und dort, in einem Büro, das überquillt von Ikonen und religiösen Texten, sitzt Erzbischof Makarios hinter einem schweren Schreibtisch und zupft sich seinen weissen Bart zurecht. «Die Situation ist nicht erfreulich», sagt er.

Es hatte viele Anrufe gebraucht, bis der Erzbischof der griechisch-orthodoxen Kirche in ein Gespräch einwilligte, er spricht nicht gerne über das Thema. Makarios wird in diesem Jahr 80, er ist Zypriote, lebt aber seit fünf Jahrzehnten in Kenya. Er hat diese Kirche aufgebaut, sie hat eine Viertelmillion Mitglieder und ist einflussreich; in Makarios’ Büro stehen Fotos, die ihn mit fast jedem Präsidenten zeigen, den Kenya seit seiner Ankunft gehabt hat. Es gibt Schulen in diesem Land, die nach Makarios benannt sind, zum Beispiel in Migori. Doch nun verliert er seine Priester.

Der Erzbischof sagt: «Diese Priester wissen nichts über den Konflikt in der Ukraine. Es geht ihnen ums Geld. Die armen Afrikaner sind bedürftig.» Die Russen hätten seinen Priestern vieles versprochen: Waisenhäuser und Schulen zu bauen zum Beispiel. «Doch gemacht haben sie nichts.»

Die Sache ist für den Erzbischof persönlich, im doppelten Sinn. Er kennt alle Priester, die seine Kirche verlassen, die meisten von ihnen hat er ausgebildet. Und er kennt auch den Mann in Moskau, der das Ganze orchestriert.

Eine Begegnung in den USA

1971, so erzählt es Makarios, traf er an einem Kongress in den USA einen Priester aus Russland. Sie waren beide Mitte zwanzig. Makarios sprach Englisch, sein Kollege nicht. Also übersetzte Makarios, der Russisch beherrscht, für Kirill – jenen Mann, der Jahrzehnte später als Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche zu Wladimir Putins religiösem Megafon werden sollte. Sie freundeten sich an, reisten zusammen durch die USA. Später besuchte Makarios Kirill jedes Jahr in der damaligen Sowjetunion.

Nun hat der Krieg in der Ukraine die einstigen Freunde zu Gegenspielern gemacht. Auf seinem Pult hat der Erzbischof ein Mäppchen mit Briefen liegen. Es sind Briefe von Kirill, die meisten auf Russisch. Unpersönliche Briefe aus den letzten zwei Jahren, sie verraten nicht, dass sich die beiden Geistlichen kennen. Der Patriarch schreibt: Die kenyanischen Pfarrer würden zum Moskauer Patriarchat wechseln, weil die Unabhängigkeit der ukrainischen Kirche ein Sakrileg gewesen sei. Es ist die Linie der russischen Propaganda.

Ein westlicher Diplomat in Nairobi sagt: «Die Kirche ist Teil des russischen Plans, in Afrika ein Imperium zu errichten.» Das ist übertrieben – doch Russlands Ambitionen in Afrika sind tatsächlich gross.

Ein kenyanischer Priesterschüler in Sibirien

Es gibt Anzeichen dafür, dass die russisch-orthodoxe Kirche in Afrika dauerhaft zu einem Sprachrohr Russlands werden soll. Davon kann zum Beispiel ein 25-jähriger Kenyaner erzählen, der seit eineinhalb Jahren in Russland lebt und auf den Kirchennamen Neophytos hört.

Neophytos ist gerade in Moskau, als wir telefonieren. «Eine wunderschöne Stadt», sagt er. Er besucht Kirchen, informiert sich über die russische Geschichte. Auf Facebook zeigen Bilder, wie er mit andern jungen Afrikanern russische Klöster besucht und auf dem Roten Platz posiert.

Wenn Neophytos nicht in Moskau zu Besuch ist, lebt er mehr als 3000 Kilometer weiter östlich, in der Stadt Tomsk in Sibirien. Er studiert dort am Priesterseminar, fünf Jahre dauert die Ausbildung, er ist im zweiten. Er ist einer von mehr als hundert Afrikanern, die in Russland zu Priestern ausgebildet werden.

Dazu gehört, dass der junge Seminarist Russisch lernt. «Die Fälle sind schwierig», sagt er, aber er könne sich schon verständlich machen. Er liest viel, theologische Texte, Klassiker auch. Sein Lieblingsautor ist Puschkin, der Begründer der modernen russischen Literatur.

Neophytos liest auch deshalb viel, weil er kaum nach draussen geht in den bitterkalten Wintermonaten. «Aber wenn die Russen die Kälte überleben», sagt er, «können es auch wir Afrikaner. Es ist eine Frage der Anpassung.»

Neophytos ist der Sohn eines kenyanischen Priesters, der zu den Russisch-Orthodoxen gewechselt hat. Er soll nicht für immer in Russland bleiben. Wenn er seine Ausbildung abgeschlossen hat, wird er zurück nach Afrika gehen, dort eine an Russland gebundene Kirchenelite begründen. Dafür sorgen, dass sich mehr ändert als nur der Name des Patriarchen, der in den Messen genannt wird. «Wenn möglich, machen wir die Messen dann auf Russisch», sagt Neophytos.

Neophytos ist stolz darauf, zu Russlands religiöser Avantgarde in Afrika zu gehören. Er hofft, dereinst Bischof zu werden. Er und seine afrikanischen Kommilitonen sind die tatsächlichen Pioniere. Nicht Vater Romanos in Migori, dem einerlei ist, ob die ukrainischen Orthodoxen dem Moskauer Patriarchat unterstehen oder eine unabhängige Kirche bilden. Neophytos dagegen sagt: «Es geht nicht ums Geld, sondern um Theologie.» Darum, dass die Ukrainer Ketzer seien.

Neophytos hat die russischen Glaubenssätze verinnerlicht. Auch was den Überfall auf die Ukraine angeht. Er lacht verlegen, wenn man ihn darauf anspricht. Er sagt dann, er merke nichts vom Krieg im Alltag. «Aber es ist das Recht der Russen, ihr Mutterland zu verteidigen.»

Gebete sind die beste Waffe

In Migori beschäftigen sich Vater Romanos und seine Handvoll Gläubigen kaum mit Geopolitik. Vater Romanos sagt: «Der Kampf zwischen Russland und der Ukraine geht uns in Kenya nichts an.»

Das stimmt nicht ganz. Der Krieg hat Kenya und viele afrikanische Länder empfindlich getroffen. Die Preise für ukrainischen Weizen und russischen Dünger stiegen stark, sie merkten das selbst in Migori. Nach der Messe sagt einer der Teilnehmer, ein Lehrer: «Dieser Krieg ist teuflisch. Wir hoffen, er endet bald und stört unsere Entwicklung nicht weiter.»

Als Konstantin, der russische Bischof, in der Lehmhütte vorbeischaute, sagte er: Sie sollten beten für Frieden. Denn Gebete seien die beste Waffe.

Also beten sie in Migori, diesem Ort, der aus Versehen in die grosse Politik geraten ist. Sie beten nicht zuerst für Frieden. Sondern dafür, dass die Russen ihnen helfen, sich aus der Armut zu stemmen. Die Gemeindemitglieder haben viele Ideen, für die sie Geld brauchten. Sie möchten Hühner anschaffen, um deren Eier zu verkaufen. Sie möchten eine Gesundheitsstation bauen. Einen Kindergarten haben sie schon errichtet, gleich unterhalb der Lehmhütte. Doch es gibt kein Geld für Personal.

Eine der Kirchenbesucherinnen sagt: «Wir warten darauf, dass die Russen Wandel bringen.» Sie warten nun schon seit einigen Jahren. Es wäre nicht das erste Mal, dass Afrikanerinnen und Afrikaner zu Bauernopfern der Weltpolitik werden.

Geändert hat sich immerhin, dass Vater Romanos mehr verdient. Nicht das Fünffache, wie einst versprochen. Aber das Doppelte. Der Pfarrer sagt: «Wenn wir vorher und jetzt vergleichen, geht es uns besser.»

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