Donnerstag, Oktober 10

Ausstellungen mit Werken von Basquiat, Bacon und Richter sollen zeigen, dass Russlands Kunstwelt nach wie vor global mithalten kann. Und tatsächlich: Auch westliche Kulturschaffende folgen der Erzählung des Kremls.

Raffinierte Ausstellungen sollen in Russland die Illusion von Normalität erzeugen – vor dem Hintergrund der russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine und der gnadenlosen Repression gegen die Reste der inneren Opposition. Am 20. Juni wurde zum Beispiel im GES-2, dem Moskauer Ausstellungsgebäude der V-A-C-Stiftung, die Schau «Quadrat und Raum» eröffnet.

GES-2 wurde vom italienischen Stararchitekten Renzo Piano in einem Kraftwerk aus dem frühen 20. Jahrhundert mit dem Plan eingerichtet, das führende Schaufenster für internationale zeitgenössische Kunst in der russischen Hauptstadt zu werden.

Das renovierte Gebäude wurde im August 2021 für die Öffentlichkeit zugänglich. Sechs Monate später bereitete die russische Invasion in der Ukraine dem Vorhaben ein einstweiliges Ende. Nach Ausbruch des Krieges trat Francesco Manacorda, der künstlerische Leiter der V-A-C-Stiftung, zurück und kehrte Russland den Rücken. Auch die beiden Kuratoren, Ekaterina Krupennikowa und Nikita Rasskazow, traten zurück.

Illusion von Normalität

Unter dem Titel «Quadrat und Raum» würdigt die Schau im GES-2 nun den anhaltenden Einfluss von Malewitschs «Schwarzem Quadrat» auf die moderne und zeitgenössische Kunst. Zu sehen sind die Version des «Schwarzen Quadrats» von 1929 aus der Tretjakow-Galerie, Picassos Porträt von Ambroise Vollard aus dem Puschkin-Museum sowie Werke von internationalen Grössen wie Andy Warhol, Gerhard Richter und Francis Bacon.

Da die Sanktionen keine Leihgaben westlicher Künstler aus ausländischen Institutionen zulassen, wurden für die aktuelle Ausstellung Werke aus einem Teil der Sammlung Peter Ludwig, die 1995 dem Staatlichen Russischen Museum geschenkt wurde, sowie aus privaten Sammlungen beigezogen.

Zweifellos hat die Schau ihre Hauptaufgabe erfüllt. Sergei Chatschaturow, ein bekannter russischer Kunstkritiker, schrieb: «Die Ausstellung tut alles, um die Illusion aufrechtzuerhalten, dass in der Welt und in Russland alles noch so ist wie vor vier Jahren.» Und die oppositionelle Online-Zeitung «Medusa» kommentierte: «Die Werke von Basquiat, Bacon und Richter sollen die Besucher davon überzeugen, dass Russland nach wie vor ein Teil der globalen Welt ist.»

Die «Illusion von Normalität» wurde nicht nur durch die Auswahl westlicher Spitzenkunstwerke, sondern auch durch die Zusammensetzung des Kuratorenteams erzeugt. Gestaltet wurde die Schau von Selfira Tregulowa, der ehemaligen Direktorin der Tretjakow-Galerie, sowie von Francesco Bonami, dem italienisch-amerikanischen Kurator, der 2003 die Biennale von Venedig und 2010 die Whitney-Biennale kuratiert hatte.

Bonami, der neun Jahre lang Kurator des Museum of Contemporary Art in Chicago war, ist in zeitgenössischen Kunstkreisen ein klingender Name. Im Gegensatz zu Francesco Manacorda, Ekaterina Krupennikowa und Nikita Rasskazow sahen Tregulowa und Bonami kein Problem in einer Zusammenarbeit mit der V-A-C Foundation und GES-2.

Sie kümmerten sich nicht um die regierungstreue Position der V-A-C-Stiftung zum Krieg in der Ukraine, was im Falle von Bonami besonders stossend und grotesk ist. Vor einigen Jahren sorgte er für Aufsehen, als er die italienische extreme Rechte angriff, doch das Regime Putins, das von vielen Beobachtern als faschistisch bezeichnet wird, verschonte er.

Bonami war es egal, dass die V-A-C-Stiftung und ihre Ausstellungseinrichtung im Besitz von Leonid Michelson sind, einem Oligarchen, der unter amerikanischen und britischen Sanktionen steht. Vielleicht ist es ihm entgangen, dass Unternehmen seines neuen Arbeitgebers Raketentreibstoff, Triebwerke für Raketen wie die Grad, die Smertsch und die Uragan MLRS, Ladungen und Sprengstoff für reaktive Mehrfachraketenabschusssysteme sowie Boost-Glide-Systeme für Lenkraketen herstellen, die zur Zerstörung ukrainischer Städte und Kinderkrankenhäuser eingesetzt werden. Das Potemkinsche Kunst-Dorf der GES-2 ist eine geeignete Tarnung für solche Aktivitäten.

Es ist kaum vorstellbar, dass der berühmte Kurator nichts von den systematischen Repressionen gegen zeitgenössische Künstler in Russland weiss, die massenhaft strafrechtlich verfolgt, in Gefängnisse gesteckt oder zur Emigration gezwungen werden.

Putins Russland ist bestrebt zu belegen, dass es international noch immer salonfähig ist. Wo sich seine Aussenbeziehungen auf die «Freundschaft» mit Iran, Nordkorea und China sowie auf gelegentliche Staatsbesuche des Inders Narendra Modi beschränken, ist es dem Kreml wichtig, auch im Bereich der Kunst über die Grenzen hinaus zu glänzen. So gesehen ist Bonamis Moskauer Auftritt ein Propagandacoup.

Die Show muss weitergehen

Im April 2024 eröffnete das Multimedia Art Museum in Moskau eine Ausstellung der jungen italienischen Fotografen Edoardo Dellile und Giulia Piermartiri mit dem Titel «Der Atlas einer neuen Welt». Die Schau, die der globalen Erwärmung auf vier Kontinenten gewidmet war, wurde von Norilsk Nickel, dem Unternehmen des vom Westen mit Sanktionen belegten Oligarchen Wladimir Potanin, gesponsert.

Ironischerweise sahen die beiden italienischen Fotografen nicht nur kein Problem darin, ihre Werke während des Angriffskrieges dem Moskauer Publikum zu präsentieren, sie erklärten sich auch bereit, an der Ausstellung teilzunehmen, die von einer Firma gesponsert wurde, die weltweit als Mega-Verschmutzer bekannt ist und von Umweltaktivisten zahlreicher Umweltsünden beschuldigt wird.

Die umstrittene Ausstellung «Neue Geheimnisse in Leonardos Gemälden», die Kopien von vermeintlich neu entdeckten Originalen des Renaissancekünstlers Anfang 2024 in der Eremitage zeigte, wurde in Zusammenarbeit mit Luca Tomìo, einem bekannten italienischen Leonardo-Experten, realisiert. In der russischen Version der Pressemitteilung der Eremitage wurde Tomìo als «Berater des italienischen Kulturministeriums» bezeichnet, eine Information, die in der englischen Fassung weggelassen wurde.

Im Juli 2023 kuratierte Alessandro Romanini, ein auf afrikanische Kunst spezialisierter italienischer Kurator, eine aufwendige Ausstellung mit dem Titel «Die umgekehrte Safari: Zeitgenössische Kunst aus Afrika», die in St. Petersburg im Rahmen des zweiten wirtschaftlichen und humanitären Forums Russland-Afrika eröffnet wurde. Die Schau hatte ganz offensichtlich propagandistische Züge und sollte die Rolle von Putin als prominentem Verfechter der «Entkolonialisierung» unterstreichen.

Die Vorspiegelung der Illusion indes, dass Russland nach wie vor ein geachtetes Mitglied der globalen Gemeinschaft sei, ist nur möglich, wenn gewisse zynische Vertreter der westlichen Kunstwelt unbedingt den Nachweis erbringen wollen, dass russisches Geld nicht zum Himmel stinkt.

Konstantin Akinsha, in Kiew geboren, ist ein ukrainisch-amerikanischer Kunsthistoriker, Kurator und Journalist und Experte für Raubkunst im Zweiten Weltkrieg. – Aus dem Englischen von A. Bn.

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