Präsident Putin erleichtert die Einbürgerung von Ausländern, die im Krieg gegen die Ukraine gekämpft haben. Das Regime sucht auch gezielt nach neu Eingebürgerten für den Militärdienst. Damit will es eine neue Runde der Mobilisierung vorerst verhindern.
Mit Beknasar Borugul uulu meinte es das Schicksal nicht so gnädig. Der Kirgise ist vor kurzem in seiner Heimat zu fünf Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden, weil er aufseiten Russlands am Krieg gegen die Ukraine teilgenommen hatte. Wie seine Frau im vergangenen Jahr örtlichen Medien erzählte, war der 27-Jährige zum Arbeiten nach Russland gegangen, dort straffällig geworden und aus der Strafkolonie für den Krieg rekrutiert worden. Er hatte zwar das Glück, das Grauen an der Front überlebt zu haben. Aber als er nach Kirgistan zurückkehrte, wurde er festgenommen und wegen Söldnertums angeklagt. Das zentralasiatische Land lässt, wie viele andere Staaten auch, den Dienst in fremden Armeen nicht zu.
Neue Mobilmachung verhindern
Bereits einige Monate davor hatte ein kirgisisches Gericht ähnlich geurteilt – und unter russischen Funktionären und Propagandisten Empörung ausgelöst. Der Unmut richtete sich weniger gegen den kirgisischen als gegen den russischen Staat. Es dürfe nicht sein, dass Russland diejenigen fallenlasse, die aufseiten Russlands gekämpft hätten.
Umso zufriedener waren sie, als Putin Anfang Januar einen Erlass unterzeichnete, der die Einbürgerung ausländischer Vertragssoldaten und sogar ihrer Familienangehörigen wesentlich erleichtert. Sie sollen ohne weitere Prüfungen die russische Staatsbürgerschaft erhalten können, wenn sie nach Ablauf ihres Vertrags oder aufgrund von Verletzungen aus dem Dienst ausgeschieden sind. Wer in seinem Herkunftsland wegen der Kriegsteilnahme verfolgt würde, erhält dadurch also die rechtliche Grundlage, um in Russland zu bleiben.
Putins Dekret, das ein früheres präzisiert und ausweitet, wirft ein Schlaglicht auf die Teilnahme von Ausländern an Russlands «Spezialoperation». Es ist ein Beleg für die Bemühungen, den Kriegsdienst für Ausländer möglichst attraktiv zu gestalten. Der Kreml versucht um jeden Preis, eine neue Runde der Mobilmachung zu vermeiden – jedenfalls bis zu den Präsidentschaftswahlen vom März.
Auf die Frage, ob die Russen mit einer neuen Mobilisierung nach dem Muster des Herbsts 2022 rechnen müssten, hatte Putin an seiner Fernseh-Fragestunde im Dezember gesagt, «derzeit» bestehe keine Notwendigkeit dafür. Das Verteidigungsministerium werbe genügend Freiwillige an, die sich als Vertragssoldaten meldeten. Zweifel daran, ob das bei einem fortdauernden Krieg unter enormen Verlusten stimmt, sind berechtigt.
Razzien auf Neubürger
Keine Erwähnung fanden Ausländer. Die russische Propaganda wirft nur immer den Ukrainern und dem Westen vor, auf «ausländische Söldner» zurückzugreifen. Klar ist aber, dass die russischen Behörden darin und in vor kurzem erst naturalisierten Russen eine wichtige Ressource für die Front sehen. In beiden Fällen ist oft Zwang im Spiel. Zahlen dazu gibt es nicht. Auch die Aufschlüsselung nach Herkunftsländern ist unmöglich. Indirekt geben Beanstandungen ausländischer Staaten über die russische Anwerbepraxis Hinweise auf einzelne Fälle. So wandten sich im vergangenen Jahr unter anderem die Aussenministerien von Kuba und Nepal an Russland mit der Aufforderung, es zu unterlassen, ihre Staatsbürger in den Kriegsdienst hineinzuziehen.
Die wahrscheinlich grösste Gruppe von Ausländern, die in verschiedenen Formationen auf russischer Seite gegen die Ukrainer kämpfen, setzt sich aus Staatsbürgern zentralasiatischer ehemaliger Sowjetrepubliken zusammen. Hunderttausende von ihnen sind als Arbeitsmigranten auf der Suche nach einem besseren Einkommen in den vergangenen Jahrzehnten nach Russland gekommen.
Sie sind sowohl bei der Arbeit – oft Aufgaben, die Russen nicht annehmen wollen – als auch durch die Migrations- und Sicherheitsbehörden Verachtung und ständigem Druck ausgesetzt. Manche von ihnen haben sich einbürgern lassen. Das macht sie weniger verletzlich. Daran, dass sie damit auch wehrpflichtig werden könnten, hatte kaum einer von ihnen gedacht.
Seit einigen Monaten sucht die russische Polizei gezielt nach ihnen. Sie veranstaltet Razzien in und um Moscheen an muslimischen Feiertagen, an gut frequentierten Metrostationen und auf Märkten und Baustellen, wo besonders viele Zentralasiaten beschäftigt sind. Wer sich als russischer Bürger herausstellt, aber auf dem Wehramt nicht gemeldet ist, bekommt die Aufforderung, sich dort zu registrieren. Wer sich weigert und offensichtlich macht, dass er auf keinen Fall in den Krieg ziehen will, dem drohen die Beamten mit einem Strafverfahren wegen «Diskreditierung der Armee». Das berichten Anwälte, die die Interessen zentralasiatischer Migranten in Russland vertreten.
Auch nicht eingebürgerte Gastarbeiter versucht der Staat mitunter dazu zu zwingen, einen Vertrag mit der Armee abzuschliessen. Moskaus Bürgermeister Sergei Sobjanin hatte bei der Eröffnung eines Rekrutierungsbüros direkt bei der zentralen Anlaufstelle der Moskauer Migrationsbehörden unverblümt zu verstehen gegeben, dass er lieber Migranten als Moskauer an die Front schickt.
Rekrutierung aus den Straflagern
Die Anwerbung erfolgt aber auch ganz direkt, wie der kirgisische Dienst von Radio Liberty berichtet. Selbst auf der Stromrechnung werde dafür Werbung gemacht, erzählt ein Kirgise aus der nordsibirischen Erdölstadt Surgut, wo viele Migranten arbeiten. Die Rekrutierungsbemühungen richten sich demnach auch an Frauen, etwa an medizinisches Personal, und an Fachkräfte wie Bauarbeiter oder Fahrer, die im Kriegsgebiet gebraucht werden. Die Rekrutierung von Soldaten wird über die paramilitärische Truppe Redut abgewickelt. Diese hat zahlreiche Aufgaben übernommen, die früher mit der Gruppe Wagner, der Truppe des ums Leben gekommenen Unternehmers Jewgeni Prigoschin, in Verbindung gebracht worden waren.
Prigoschin und Wagner hatten als Erste in den Strafkolonien Gefangene für die Front anwerben dürfen, unter ihnen auch zahlreiche Zentralasiaten. Anwälte berichteten gegenüber dem russischsprachigen Dienst der BBC, wie ihre Mandanten vielfach keine Wahl gehabt hätten, ob sie sich Wagner anschliessen wollten oder nicht. Die zentralasiatischen Strafgefangenen wurden in einen Raum gebracht und mussten unter Drohungen ihrer Verschickung in den Krieg zustimmen. Sie fielen in der Strafkolonie nur dem Staat zur Last, an der Front müssten sie die Kosten dafür abbezahlen, wurde ihnen gesagt.
«Mein Sohn wurde wie ein Sklave auf die Schlachtbank geführt», sagte die Mutter eines gefallenen Kirgisen in dem Beitrag. Viele Angehörige haben erst mit der Todesmeldung verstanden, weshalb die Männer plötzlich verschwunden waren. Nicht alle wissen, wo die Gefallenen begraben sind; nur wenige wurden in ihre Heimatländer übergeführt.