Freitag, Oktober 4

Das Justizministerium in den USA klagte am Mittwoch zwei Russen an. Sie sollen konservative Influencer bezahlt haben, um Desinformation zu betreiben.

Moskau versucht auch 2024, sich in die amerikanischen Präsidentschaftswahlen einzumischen. Die jüngste Anklage des Justizministeriums ist bemerkenswert, weil sie detailliert aufzeigt, wie die russische Desinformation abläuft. Die Anklage wirft zwei russischen Staatsbürgern – Kostiantyn Kalashnikov und Elena Afanasyeva – vor, über undurchsichtige Kanäle rund zehn Millionen Dollar an ein amerikanisches Medienunternehmen in Tennessee geschleust zu haben.

Bei Kalashnikov und Afanasyeva handelt es sich um Angestellte des russischen Staatssenders RT. Dieser musste seine offizielle Tätigkeit nach der Invasion in der Ukraine in den USA einstellen. Doch offenbar agieren seine Mitarbeiter immer noch verdeckt in Amerika. Gemäss dem Justizministerium haben die Angeklagten das Geld von RT mithilfe von ausländischen Briefkastenfirmen gewaschen, um die Firma in Tennessee zu finanzieren.

Ein Monatslohn von 400 000 Dollar

Das Unternehmen wird in der Anklageschrift als «Company-1» bezeichnet. Allerdings heisst es darin auch, dass sich die Firma selbst als «Netzwerk von heterodoxen Kommentatoren mit Fokus auf politische und kulturelle Themen des Westens» bezeichnet. Diese Formulierung findet sich auch auf der Website von Tenet Media wieder. Die Startseite wirbt zudem mit den Porträts rechtskonservativer Influencer und der Überschrift: «Hier sind furchtlose Stimmen zu Hause.»

Zu den «Talenten» des Netzwerks gehören etwa Benny Johnson oder Tim Pool. Johnson hat auf dem Kurznachrichtendienst X mit 2,7 Millionen Followern ein grosses Publikum. In seinem Podcast «The Benny Show» interviewt er regelmässig bekannte republikanische Politiker oder jüngst auch Trumps Söhne. Pool hat seinerseits auf X ein Publikum von 2,1 Millionen Followern. Im Mai gewährte ihm Trump persönlich ein Interview. Wie aus der Anklageschrift hervorgeht, bezahlte Tenet Media die Influencer grosszügig für die von ihnen produzierten Inhalte. Für vier Videos pro Woche soll «Kommentator-1» im Monat 400 000 Dollar erhalten haben.

Derweil haben Kalashnikow und Afanasyeva das Medienunternehmen in Tennessee angeblich nicht nur finanziert. Unter dem Decknamen «Helena Shudra» soll Afanasyeva auch Einfluss auf die produzierten Inhalte genommen haben. Obwohl die islamistische Terrororganisation IS im März die Verantwortung für den blutigen Anschlag in Moskau übernommen hatte, verlangte Afanasyeva von einem Firmengründer bei Tenet Media, einen Beitrag, der die Ukraine und die USA beschuldigte. Er werde «Kommentator-3» darum bitten, antwortete der Mitgründer gemäss der Anklageschrift. Am nächsten Tag informierte dieser Afanasyeva, dass «Kommentator-3» den Auftrag «gerne» ausführe.

Seit Tenet Media im November 2023 den Betrieb aufgenommen hat, verbreitete das Unternehmen im Internet fast 2000 Videos. Allein auf der Plattform Youtube wurden diese 16 Millionen Mal angeschaut. Die Inhalte und Themen der Beiträge entsprächen dabei oft den Interessen der russischen Regierung, heisst es in der Anklageschrift. Es gehe darum, innenpolitische Konflikte in den USA anzuheizen und den amerikanischen Widerstand gegen russische Interessen – wie etwa beim Krieg gegen die Ukraine – zu schwächen. Auch ein kurzer Blick auf den Account von Tenet Media beim Kurznachrichtendienst X genügt, um die Stossrichtung zu verstehen: pro Trump und gegen die demokratische Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris.

Die Influencer geben sich ahnungslos

Mehrere betroffene Influencer reagierten am Mittwoch überrascht. «Wir sind verstört über die Vorwürfe», schrieb Benny Johnson auf X. Aber die Anklageschrift mache klar, dass er und andere Influencer die Opfer dieses mutmasslichen Komplotts gewesen seien. «Ich und auch die anderen Kommentatoren wurden getäuscht und sind Opfer», meinte auch Pool. Er habe stets die volle Kontrolle über seine Inhalte gehabt. Zudem fügte er an: «Putin ist ein Drecksack.» Kürzlich sagte Pool jedoch in einem seiner Videos: «Die Ukraine ist unser Feind, finanziert durch die Demokraten.»

Während die Influencer offenbar getäuscht wurden, scheinen die Gründer von Tenet Media allerdings nicht ganz ahnungslos gewesen zu sein. Bei ihnen soll es sich um die konservative Influencerin Lauren Chen und ihren Mann Liam Donovan handeln. Chen arbeitete früher auch als Kommentatorin für RT. Im Februar 2022 – kurz vor dem russischen Einmarsch – veröffentlichte sie etwa einen Meinungsbeitrag mit der Überschrift: «Wenn du Amerikanerin bist und einen Krieg mit Russland ablehnst, musst du damit rechnen, als unpatriotisch beschimpft zu werden.»

Fäden zur Trump-nahen Jugendorganisation

Heute wird Chen aber auch auf der Website der konservativen Jugendorganisation Turning Point USA als Kommentatorin geführt. Auf Youtube und X folgen ihr eine halbe Million User. Derweil hat Turning Point USA in den vergangenen Jahren innerhalb der Republikanischen Partei an Einfluss gewonnen. Ihre Aktivisten sind treue Trump-Anhänger. Gemäss der Anklageschrift sollen die Gründer von Tenet Media – Chen und ihr Mann – jedoch über den russischen Hintergrund ihrer Financiers im Bild gewesen sein. In privaten Gesprächen hätten die Gründer ihre Geldgeber als «die Russen» bezeichnet, heisst es in der Anklage. Die knapp 10 Millionen Dollar, die sie erhielten, bildeten dabei 90 Prozent ihres Firmenkapitals.

Die Operation um Tenet Media scheint indes nur ein Teil der russischen Einmischung zu sein. Gleichzeitig mit der Anklage gegen Kalashnikow und Afanasyeva sperrte das Justizministerium auch 32 Internetadressen, über die der Kreml seine Propaganda in den USA verbreitet hatte. Dabei handelt es sich oft um Websites, die vordergründig aussehen wie seriöse Medien, aber in ihren Inhalten die russische Weltsicht verbreiten. Der amerikanische Justizminister Merrick Garland warnte am Mittwoch vor einem markanten Anstieg der ausländischen Desinformation: «Wir sehen mehr und mehr davon. Sie wird immer schneller und schneller, und deshalb ist sie eine grössere Gefahr als je zuvor.»

Auch Einflussnahme durch andere Mächte

Neben Moskau haben dabei auch Iran und China ihre Hände im Spiel. Im August berichteten die amerikanischen Geheimdienste über iranische Hackerangriffe auf die Wahlkampfteams von Trump und Vizepräsidentin Harris. «Iran will Unruhe stiften und das Vertrauen in unsere demokratischen Institutionen unterminieren», schrieben verschiedene Geheimdienstbehörden in einer gemeinsamen Erklärung. Ähnlich wie Iran versuchten dieses Jahr etwa auch von China gesteuerte Akteure im Internet die Studentenproteste an amerikanischen Universitäten gegen den Krieg in Gaza anzuheizen.

Sollten sich die Vorwürfe in der Anklageschrift gegen Kalashnikov und Afanasyeva indes bestätigen, scheint diese Operation jedoch eine neue Qualität darzustellen. Die verdeckte Anwerbung solch prominenter Influencer der rechtskonservativen Bewegung ist bemerkenswert.

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