Russland rückt näher an die strategisch wichtige Kleinstadt Tschasiw Jar heran und eröffnet im Nordosten eine neue Front. Was die Eroberungen bedeuten, zeigt eine Datenanalyse.
Der amerikanische Senat hat Waffenlieferungen an die Ukraine genehmigt, die ersten Granaten und Raketen sind bereits unterwegs zur Front. Das dürfte keinen Moment zu früh gewesen sein. Die ukrainische Front bröckelt. Woche für Woche verliert das Land Gebiete an die russischen Angreifer.
Von einem Durchbruch kann zwar noch nicht gesprochen werden, doch die Verluste und die neue Angriffsachse auf Charkiw könnten besorgniserregende Vorzeichen dafür sein, dass der ukrainische Widerstand der Militärmacht Russlands nicht mehr gewachsen ist.
Rückblickend lassen sich die ukrainischen Gebietsverluste in drei Phasen einteilen, wobei die derzeitige Phase jene mit den geringsten Verlusten ist.
Gegenwärtig nehmen die täglichen Gebietsgewinne der Russen wieder zu, das zeigt ein Blick auf Karten. Vor allem seit der Angreifer vor wenigen Tagen eine neue Front eröffnet hat. Russische Soldaten haben im Norden von Charkiw die ukrainische Grenze überschritten und erste Gebiete unter ihre Kontrolle gebracht. Trotzdem bleiben die Eroberungen auf tiefem Niveau.
Der Angriff im Norden der zweitgrössten Stadt der Ukraine kommt nicht überraschend. Seit Wochen hat Russland Truppen in ebendiese Region verschoben. Auch wenn nicht davon auszugehen ist, dass Charkiw demnächst eingenommen wird, verschiebt sich das Kräfteverhältnis mehr denn je zugunsten von Russland. Das zeigen auch Zahlen der Analysefirma Rochan Consulting, welche ukrainische und russische Einheiten verglichen hat.
Lag die Ukraine zahlenmässig im September 2023 noch mit Russland fast gleichauf, vergrösserte sich der Abstand Woche für Woche. Derzeit hat Russland fast doppelt so viele Einheiten in der Oblast Donezk stationiert wie die Ukraine. Auch wenn ukrainische und russische Einheiten nicht direkt vergleichbar sind, zeigt dies doch das ukrainische Problem, genügend neue Soldaten rekrutieren zu können.
Laut Konrad Muzyka, Leiter von Rochan Consulting, gibt es auch in der Qualität der Soldaten Unterschiede. «Dies mag eine unpopuläre Meinung sein, aber im Allgemeinen denke ich, dass die Russen derzeit besser ausgebildet sind», schreibt er auf der Plattform X. Ständige Rekrutierung und Mobilisierung würden für konstante Zahlen sorgen, Verluste ausgleichen und die Ausbildung von Truppen für neue und bestehende Einheiten ermöglichen, die im Hinterland eingesetzt werden.
Der Ukraine dürfte ein schwieriges – und vielleicht entscheidendes – Jahr bevorstehen.
Die Gebietsberechnungen erfolgen anhand von Daten des Institute for the Study of War / AEI’s Critical Threats Project. Stand: 12. Mai 2024.

