Samstag, März 15

In kurzer Zeit sind fünf Spitzenfunktionäre, unter ihnen mehrere Generäle, hinter Gittern gelandet. Offiziell wird ihnen Korruption vorgeworfen. Aber mindestens so sehr erscheinen die Verhafteten als Opfer interner Machtkämpfe.

Ein Erdbeben kommt selten allein: Die Entlassung des langjährigen russischen Verteidigungsministers Sergei Schoigu am 12. Mai erweist sich, wenig überraschend, als kein blosses Einzelereignis. Die gesamte Moskauer Militärspitze ist mit der Absetzung Schoigus ins Wanken geraten. Mehr als ein halbes Dutzend hohe Funktionäre sind verhaftet oder abgesetzt worden, vier allein in dieser Woche. Damit ist klar, dass der Kreml eine eigentliche «Säuberungsaktion» in den Generalsrängen begonnen hat.

Diese Kampagne kündigte sich nicht erst mit dem Sturz Schoigus an, sondern mit einem ominösen Ereignis drei Wochen zuvor. Damals verhafteten die Behörden den stellvertretenden Verteidigungsminister Timur Iwanow, einen Mann, der jahrelang ein auffälliges Luxusleben geführt hatte, aber vom Regime als zupackender Manager geschätzt und geschützt wurde.

Inzwischen ist dank Recherchen des exilrussischen Magazins «The Insider» bekannt, dass der Festnahme Iwanows eine Operation wie in einem Thriller voranging. Weil der Funktionär Wind von den Ermittlungen bekommen hatte, liess er sich von Sondertruppen bewachen. Der Geheimdienst FSB konnte erst zugreifen, als der Vizeminister zu einem Arzttermin erschien. Dort wurde er überwältigt und durch eine Hintertüre hinausgeschleust, bevor seine Leibgarde etwas bemerkte.

Der Kettenhund des Regimes

Laut den Geheimdienstexperten Andrei Soldatow und Irina Borogan spielt der FSB auch bei den übrigen Verhaftungen eine federführende Rolle. Die FSB-Abteilung für militärische Gegenspionage hat dem Namen nach die Aufgabe, feindliche Agenten in den Reihen der Streitkräfte zu entlarven. In Wirklichkeit dient sie dem Regime vor allem zur Kontrolle des Militärs und zur Durchsetzung bedingungsloser Loyalität. Offensichtlich hält der Kreml den Moment für ideal, diesen «Kettenhund» auf die Generalität loszulassen. Die Lage an der Front ist einigermassen günstig, und Schoigu kann seine alten Seilschaften nicht mehr beschützen.

Verhaftet unter dem Vorwurf der Bestechlichkeit wurden seit Mitte Mai der Leiter des Personalwesens im Verteidigungsministerium, Generalleutnant Juri Kusnezow, der Chef der Kommunikationstruppen, Generalleutnant Wadim Schamarin, der Leiter des militärischen Beschaffungswesens, Oberst Wladimir Wertelezki, sowie der frühere Kommandant der 58. Armee, Generalmajor Iwan Popow.

Der Sprecher des russischen Präsidenten Putin stellte dies als ganz normale Sache hin und sprach von «ständiger und konsequenter Arbeit bei der Korruptionsbekämpfung». Dies ist unglaubwürdig, denn zum einen ist diese Häufung von Strafverfahren gegen Militärfunktionäre absolut unüblich und für die gesamte Putin-Ära beispiellos. Zum anderen kann von Konsequenz bei der Korruptionsbekämpfung keine Rede sein, da die Bestechlichkeit von Leuten wie Iwanow dank Recherchen regimekritischer Journalisten seit langem bekannt war, aber toleriert wurde. Es macht den Anschein, als horteten die Ermittler ihre Beweise in Aktendossiers, bis sie grünes Licht zum Zuschlagen erhielten.

Putins Schachzüge

Eine Zustimmung von Putin persönlich zu dieser «Säuberungskampagne» darf als sicher gelten. Welchem politischen Kalkül er dabei genau folgt, bleibt jedoch im Dunkeln. Vermutlich erkannte Putin schon vor einer Weile die Notwendigkeit, mit dem eisernen Besen durch das Verteidigungsministerium zu wischen, musste aber zuerst eine geeignete Konstellation abwarten.

Der aufmüpfige Chef der Schattenarmee Wagner, Jewgeni Prigoschin, hatte letztes Jahr mit seiner Kritik an der Inkompetenz und der Bereicherung hoher Militärfunktionäre den Nagel auf den Kopf getroffen, aber Prigoschins Rebellion konnte Putin nicht dulden. Er stützte in diesem Machtkampf daher Schoigu und musste sich zuerst des Wagner-Chefs entledigen, bevor er sich das Verteidigungsministerium vorknöpfen konnte. Mit der Ernennung eines loyalen Gefolgsmannes, des Ökonomen Andrei Belousow, zum neuen Minister hat der Kreml eine wichtige Voraussetzung zum Durchgreifen geschaffen. Belousow hat den Auftrag, den Militärapparat auf Effizienz zu trimmen.

Dazu gehört der Kampf gegen die Korruption, aber bei der jetzigen Welle sind auch andere Motive im Spiel. Die Verhaftung von General Schamarin am Donnerstag lässt aufhorchen, weil damit erstmals ein Gefolgsmann von Generalstabschef Waleri Gerasimow ins Visier gerät. Das deutet auf einen Machtkampf hin, dem Gerasimow über kurz oder lang zum Opfer fallen könnte.

Politik überlagert auch den Fall Popow. Zum Verhängnis wurde diesem am Freitag einem Richter vorgeführten General kaum die Bestechlichkeit, sondern seine vorlaute Kritik an Mängeln im Militärwesen. Popow hatte sie im Sommer 2023 öffentlich und in populistischem Ton geäussert. Damals wurde der in Teilen der Armee verehrte General sogleich abgesetzt, nun macht man aus ihm endgültig ein abschreckendes Exempel.

Nochmals anders gelagert ist die Absetzung von Generalleutnant Suchrab Achmedow. Der Kommandant der im Donbass kämpfenden 20. Armee, des nach offiziellen Angaben grössten Verbands der russischen Streitkräfte, war angeblich dem neuen Verteidigungsminister Belousow ein Dorn im Auge. Schon früher hätte es reichlich Gründe für eine Entlassung gegeben: Achmedow werden diverse Fehlentscheidungen angelastet, die viele Soldaten das Leben kosteten. Trotzdem wurde er während des Kriegs von Putin mehrmals befördert, zuletzt vor einem halben Jahr.

Exit mobile version