Freitag, Januar 17

Die strategisch wichtige Donbass-Stadt Pokrowsk steht unter Belagerung. Das zivile Leben ist praktisch zum Erliegen gekommen. Das trifft nun auch die einzige Mine für Kokskohle der Ukraine.

Noch ist Pokrowsk nicht gefallen. Zwar dauert Russlands Offensive gegen die strategisch wichtige Stadt im Donbass schon über fünf Monate, die Truppen sind nur wenige Kilometer entfernt. Doch die Verteidigungslinien halten noch. Den Einwohnern der einst bedeutenden Bergbaustadt hilft dies wenig: Sie leben unter täglichem Bombardement. Laut offiziellen Angaben sind weniger als 10 Prozent der einst 85 000 Menschen in Pokrowsk verblieben.

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Viele von ihnen waren Mitarbeiter des Bergbauunternehmens Pokrowskwuhillja, das für die Schwerindustrie des ganzen Landes grosse Bedeutung hat. Am Stadtrand steht die einzige Mine auf ukrainisch kontrolliertem Gebiet, die Kokskohle für die Befeuerung der Hochöfen in der Stahlproduktion förderte. Diese Woche stellte Pokrowskwuhillja den Betrieb ein.

Kohle fördern unter Bomben

«Solange die Mine lebt, lebt Pokrowsk», hatte eine Mitarbeiterin im August bei einem Treffen in der Stadt gesagt. Der Konzern Metinvest, der Besitzer der Mine, hatte daran nicht nur ein ökonomisches Interesse. Er finanzierte und organisierte auch den Bau der Verteidigungslinien. Die Bergleute arbeiteten weiter, zuerst unter Raketenfeuer, ab letztem Herbst unter Beschuss durch Drohnen und Artillerie. Mehrere von ihnen kamen dabei ums Leben.

Um den Jahreswechsel spitzte sich die Lage derart zu, dass Metinvest die Evakuierung der verbliebenen Kumpel beschloss. «Die Einstellung des Betriebs ist ein notwendiger Schritt, um Leben zu retten», schrieb die vom Oligarchen Rinat Achmetow kontrollierte Firma in einer Mitteilung. Als weitere Gründe nannte sie Probleme mit der Stromversorgung, zuletzt wegen eines russischen Angriffs auf ein Unterwerk an Weihnachten. Auch war es kaum mehr möglich, die gewonnene Kohle per Eisenbahn aus der Stadt zu transportieren.

Die Situation in den drei Hauptminen präsentiert sich allerdings unterschiedlich. Die östlichste, bei Pischtschane, war bereits im Dezember praktisch an die Russen gefallen. Dort war die Kokskohle gewonnen worden. Wie die «New York Times» berichtet, gingen die Kumpel zuletzt zehn Kilometer zu Fuss durch Tunnel, um an ihren Arbeitsplatz zu gelangen. Der direkte Eingang war zu gefährlich.

Von den Schächten in Udatschne und Kotline sind die Angreifer nur wenige Kilometer entfernt. Die Kohleförderung ist nun auch dort eingestellt. In der Stadt gibt es laut Behördenangaben weder Wasser noch Strom oder Gas. Dennoch blieben einige Geschäfte, die Post und das Spital geöffnet.

Eine Katastrophe für die Stahlindustrie

Jene der einst 10 000 Kohlearbeiter, die noch in der Stadt verblieben waren, hält nun nichts mehr dort. Der Vorarbeiter Dmitro Borodajew, den wir im Sommer 2023 in seinem hübschen Pokrowsker Häuschen getroffen hatten, wohnt nun mit seiner Familie in Pawlohrad. Ihm habe Metinvest eine Stelle in einer Fabrik angeboten, sagt er. Doch die Bezahlung sei schlechter, weshalb er sich nach Alternativen umschaue. Weniger spezialisierte Angestellte fürchten, sie könnten arbeitslos werden.

Die Verluste in der Ostukraine haben der Firma schwer zugesetzt. Als die Russen Mariupol überfielen, verlor Metinvest 2022 mit Asowstal ein riesiges Werk. Der zweitgrösste Stahlproduzent der Ukraine hatte vor dem Krieg einen Ausstoss von 4,3 Millionen Tonnen. Als Moskaus Truppen im letzten Februar die Stadt Awdijiwka eroberten, fiel die ebenfalls Metinvest gehörende dortige Koksfabrik in ihre Hände. Sie war die grösste im gesamten Land gewesen.

Ohne die Mine in Pokrowsk stehen die Stahlfabriken in der gesamten Ukraine vor grossen Problemen, die Produktion aufrechtzuerhalten. Die Agentur Reuters zitiert Branchenvertreter, die davon ausgehen, dass der Ausstoss von Stahl nächstes Jahr von 7,6 auf 2 bis 3 Millionen Tonnen sinken wird. Damit dürfte der zweitwichtigste Exportzweig der Ukraine stark einbrechen. Betroffen ist auch das Militär. So stellte Metinvest mithilfe von Kokskohle aus Pokrowsk Metallbunker, Schutzplatten für Patriot-Systeme, Helme und Eisenbahnschienen her.

Zwar zeigt sich das Unternehmen zuversichtlich, einen Teil der Verluste durch Kokskohle aus einem firmeneigenen Werk in den USA und durch über längere Zeit angelegte Reserven zu kompensieren. Doch der Rückgriff auf ausländische Quellen und deren Transport in die Ukraine bringt höhere Kosten. Dies ist Gift für einen Industriezweig, der ohnehin schon mit teurer Energie und schwierigen Exportbedingungen kämpft.

Pokrowsk wird zum Militärlager

Die Minen von Pokrowsk sind nun Teil des Abwehrdispositivs. Jene von Pischtschane wurde laut einem Mitarbeiter bereits gesprengt, damit die Russen die Tunnel nicht verwenden können, um sich zu verstecken und die ukrainischen Verteidigungslinien zu umgehen. Die beiden anderen, die momentan noch in ukrainisch kontrolliertem Gebiet liegen, wurden laut der «New York Times» ebenfalls vermint. Es ist aber unklar, ob die Sprengsätze bereits gezündet wurden.

Die Stadt Pokrowsk wird nun definitiv von einem zivilen Ort zu einer der letzten Bastionen des ukrainischen Militärs im Donbass. Die Russen werden sie systematisch zerstören, wie sie dies bereits mit Bachmut, Awdijiwka und Wuhledar taten. Noch ist Pokrowsk nicht gefallen. Doch die Stadt scheint dem Untergang geweiht.

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