Montag, Oktober 14

Der Versorger gehört in den USA zu den grössten Anbietern erneuerbarer Energie und hat mehrere Langfristverträge mit Kunden wie Microsoft geschlossen. Die Aktien sind halb so teuer wie die Titel der Rivalen. Der jüngste Deal bringt frisches Kapital und senkt das Entwicklungsrisiko.

Am 7. Oktober verkündete der deutsche Versorger RWE eine für Anleger positive Nachricht, die jedoch weitgehend unbeachtet blieb und den Kurs kaum bewegte. Er gab bekannt, 50% der Anteile an zwei Offshore-Windparks an den Energiekonzern Total zu verkaufen. Ihr Bau soll erst 2029 und 2030 beginnen.

Der Deal zeigt das grosse Interesse der Energiekonzerne an grünem Nachschub, ebenso wie ein weiteres am selben Tag verkündetes Geschäft: Der norwegische Ölkonzern Equinor stieg für umgerechnet 2,3 Mrd. € beim grünen dänischen Versorger Orsted ein und erwarb 9,8% der Aktien.

Der Pakt zwischen RWE und Total ist weniger umwälzend, aber ebenfalls einleuchtend. «Der Verkauf ergibt aus Anlegersicht Sinn, falls der Preis stimmt», sagt Elmar Peters, Co-Gründer der Fondsgesellschaft Praemium Capital in Köln. «RWE kann das frische Kapital nutzen, um Aktien zurückzukaufen oder die Dividende zu erhöhen.» RWE-Aktionäre wie Covalis Capital aus London befürworten den Start eines Aktienrückkaufprogramms bei RWE, wie The Market bereits berichtet hat. Das Management um CEO Markus Krebber könnte damit die Gunst der Anleger zurückgewinnen, die dem deutschen Versorger abhandengekommen ist.

Umstellung auf grüne Energie braucht Zeit und Geld

Der Kurs von RWE leidet darunter, dass die Investitionen erst in mehreren Jahren den Gewinn stark steigern werden. Krebbers Plan für die Umstellung auf grüne Energie braucht viel Zeit und noch mehr Geld. Bis 2030 will er 55 Mrd. € in erneuerbare Energien stecken, davon 11 Mrd. € in Deutschland. Damit möchte er die grüne Kapazität bis zum Jahr 2030 auf 65 Gigawatt erhöhen, zurzeit sind es erst 35 Gigawatt.

Der Plan mit dem Namen Growing Green gilt Kritikern als sehr ambitioniert, auch weil höhere Zinsen den Aufbau von Solar- und Windparks verteuern. Krebbers Masterplan drohe zu scheitern, mahnte im Februar das «manager magazin». Lieferschwierigkeiten der Windturbinenhersteller und steigende Kosten gefährden die Ziele, Krebber soll gar erwogen haben, den dänischen Rivalen Orsted zu übernehmen. Die hohen Investitionen und zwischenzeitlich stark gesunkene Energiepreise lasten schwer auf dem Ergebnis. Krebber hat zudem wichtige Führungskräfte wie die ehemalige RWE-Renewables-Chefin Anja-Isabel Dotzenrath an Konkurrenten (in diesem Fall BP) verloren.

Langfristig seien die Aussichten dennoch gut, sagt ein Investor, der lieber anonym bleiben möchte. Zuversichtlich wirken auch die Schätzungen der bei Bloomberg erfassten Analysten.

Langfristige Verträge für Strom mit Microsoft und anderen

Für Anleger könnte mehrjährige Geduld in diesem Fall lohnen. RWE ist mit ihren Investitionen an der richtigen Stelle, denn die USA sind mit Strom unterversorgt – und die Lücke wächst. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Technologiekonzerne in grossem Umfang Rechenzentren errichten, die für die Anwendung der künstlichen Intelligenz nötig sind. Die meisten grossen Technologiekonzerne haben sich verpflichtet, schon in wenigen Jahren CO2-neutral zu arbeiten. RWE hat hier ein grosses Exposure. Und laut einem Investor habe das Unternehmen die Kapazität, langfristige Lieferverträge für Strom mit Konzernen wie Microsoft und Alphabet einzugehen.

RWE hat bereits langfristige Lieferverträge (Power Purchase Agreements, PPA) mit mehreren Abnehmern abgeschlossen, wie der Halbjahresbericht zeigt. Der Versorger berichtet dort unter anderem von einem Stromliefervertrag mit Microsoft (Laufzeit: fünfzehn Jahre) aus zwei Windparks in Texas. Auch ein weiterer Onshore-Windpark in Texas sei fertiggestellt worden, es gebe einen langfristigen Liefervertrag mit einem Grosskunden. RWE berichtete zum Halbjahr über «starke Nachfrage nach grünem Strom in allen Märkten». Das Unternehmen habe langfristige Lieferverträge für 1,6 Gigawatt an grüner Kapazität unterzeichnet und besitze «eine beträchtliche Pipeline für weitere grüne PPA». Die Strompreise, die in solchen Verträgen festgeschrieben werden, steigen seit 2021.

Das Interesse an grünen PPA sei in den USA stark, bekräftigte Krebber Ende September in einem Interview bei Bloomberg TV. RWE spreche mit grossen Tech-Unternehmen darüber, wie sich abgeschaltete Atom- und Kohlekraftwerke für deren Bedarf an grünem Strom und Rechenzentren nutzen liessen. Dort gebe es bereits Zugang zum Stromnetz sowie zu Kühlwasser. Für den Wert solcher Standorte spricht eine Aussage von Deutsche-Telekom-CEO Tim Höttges beim Kapitalmarkttag am 10. Oktober. Er verriet den Analysten, dass die Telekom drei Standorte für neue Rechenzentren in Europa im Blick habe, und fügte hinzu: «Es ist schwierig, die Versorgung mit Energie und Wasser zu finden, die wir dafür brauchen.» RWE hat beides.

Der Energiehunger der Tech-Konzerne und ihrer KI-Rechenzentren ist vom Ergebnis der US-Präsidentschaftswahlen relativ unabhängig. Microsoft und Alphabet dürften ihr Versprechen, auf Ökostrom zu setzen, auch bei einem Wahlsieg des Republikaners Donald Trump nicht brechen. Allerdings würde es dann schwieriger werden, in den USA an Förderung für grüne Energie zu kommen.

Bewertungsabschlag trotz grösserer Wachstumschancen

Die Aktien mancher US-Versorger sind wegen der boomenden Stromnachfrage in den vergangenen Monaten stark gestiegen. Der Kursaufschwung ging an RWE spurlos vorüber. «Die Wahrnehmung von RWE ist extrem negativ», sagt Fondsmanager Peters. «Das Unternehmen wird nicht als Anbieter erneuerbarer Energie gesehen.» Dabei machen Solar- und Windenergie inzwischen fast zwei Drittel des Unternehmenswerts aus, errechnen die Analysten der Deutschen Bank.

Seit Anfang September sind die Bewertungskennziffern von US-Konkurrenten wie Constellation Energy, Talen Energy oder Vistra nochmals kräftig gestiegen. Auch hiervon konnten die RWE-Aktien nicht profitieren.

Gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis würden die RWE-Aktien mit einem Abschlag von 15% zum Durchschnitt der europäischen Versorger und Anbieter von erneuerbarer Energie gehandelt, haben die Analysten der Deutschen Bank Anfang Oktober errechnet. Dabei sei sogar ein Bewertungsaufschlag gerechtfertigt: Der Gewinn pro Titel werde zwischen 2027 und 2030 rund 10% pro Jahr zulegen, doppelt so stark wie im europäischen Branchenschnitt.

Ein Problem gerade für an ökologische Kriterien gebundene Investoren ist, dass RWE weiterhin klimaschädliche Braunkohle-Vermögenswerte im Portfolio hat. 2020 war der norwegische Staatsfonds wegen der Kohle bei RWE ausgestiegen. Schon 2021 hatte der aktivistische Investor Benedikt Kormaier mit seinem Fonds Enkraft die RWE-Führung aufgefordert, die Braunkohlesparte abzuspalten. Den Vorstoss hatte Krebber abgeschmettert. Offen zeigte der CEO sich für die Einrichtung einer Kohlestiftung, doch daraus wurde nichts. Die Konsequenz: RWE kommt für viele nachhaltige Fonds als Investment nicht infrage.

Das Misstrauen der Anleger sitzt tief, auch in Bezug auf die Kapitalallokation. Viele befürchten, dass das Management mit einer teuren, grossen Übernahme Geld verbrennen könnte. Anfang August wurden Gerüchte laut, dass RWE den US-Gasförderer Calpine übernehmen wolle. Mit Erleichterung kommentierten Analysten daher, dass Krebber Ende September in dem Interview bei Bloomberg TV Übernahmen weitgehend ausschloss. Die Gerüchte waren nach Ansicht der Analysten von Deutsche Bank und Barclays der Hauptgrund, warum RWE nicht von der durch höhere Strompreise getriebenen Kursrally der Versorger im August und September profitierte.

Der Druck auf RWE-Chef Krebber steigt

Je länger der Aktienkurs von RWE im Keller verharrt, desto grösser wird der Druck auf Krebber, ein Aktienrückkaufprogramm zu verkünden. «Die signifikanten Investitionen von RWE reflektieren sich bisher in keiner Weise im Unternehmenswert, sodass ein Aktienrückkaufprogramm der vernünftige Weg ist, Investoren am grossen kommerziellen Erfolg der letzten Jahre zu beteiligen», sagt Thomas Schweppe, Gründer der Investmentboutique 7Square und Berater des aktivistischen Investors Enkraft, der seit Jahren bei RWE investiert ist.

Zwar liegen mehr als 14% der Aktien bei Kommunen in Nordrhein-Westfalen, die in einer Aktionärsvereinigung organisiert sind, und weitere 9% bei der Qatar Investment Authority. Die Kommunen und der Staatsfonds von Katar gelten als wenig rebellische Aktionäre. Doch allein auf sie wird Krebber sich nicht verlassen, wenn es darum geht, den bis Juni 2026 laufenden Vertrag als CEO zu verlängern. Die Gespräche darüber sollten schon 2025 beginnen. Bislang sind am Aktienkurs seit seinem Start im Juli 2021 keine Fortschritte zu erkennen.

Auch eine Umstellung beim Gewinnziel deutet darauf hin, dass ein Rückkaufprogramm zumindest als Option vorbereitet wird: RWE hat zuletzt nicht mehr Ziele für den Konzerngewinn ausgegeben, sondern für den Gewinn pro Aktie. Letzterer steigt auch bei konstantem Gewinn, wenn ein Unternehmen eigene Titel an der Börse kauft und sie dann vernichtet.

Solche Rückkäufe werden wegen der niedrigen Aktienbewertung auch aus Sicht des RWE-Managements sinnvoller, liess Krebber Ende September in einem Kamingespräch bei der US-Investmentbank Jefferies erkennen. Der Markt schreibe der Projektpipeline von RWE nur wenig Wert zu, sagte er. Daher sei es attraktiver, den Anteil grüner Energie durch Rückkäufe zu steigern, als das Kapital für neue Kraftwerke auszugeben. Der am 7. Oktober verkündete Deal mit dem Ölkonzern TotalEnergies passt zu dieser Aussage.

Viel Potenzial zu einer attraktiven Bewertung

Die Deutsche-Bank-Analysten nannten Anfang Oktober weitere Mittel, mit denen RWE ihren Kurs hochtreiben könnte: Das erste ist der Verkauf von Offshore-Windprojekten, womit RWE mit dem Total-Deal seitdem bereits begonnen hat. Positiv seien auch lukrative langfristige Lieferverträge sowie eine klare und konsistente Kommunikation.

Unabhängig davon, wie geschickt Krebber kommuniziert: Für Investoren mit mehr als fünf Jahren Anlagehorizont sind die RWE-Aktien wegen der aussichtsreichen Investitionen in erneuerbare Energie und des dadurch in Aussicht stehenden Gewinnwachstums ein Kauf. Der Hunger der Technologiekonzerne nach grünem Strom dürfte in den kommenden Jahren gross bleiben, selbst bei einem Wahlsieg Trumps.

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