Wer seinem Grundstück zu nahe kam, musste aufpassen: Ein betagter Landwirt ist vom Bezirksgericht Winterthur wegen Drohung und Tätlichkeiten zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden.
Als vorsorgliche Sicherheitsmassnahme sitzen zwei zivile Kantonspolizisten im Saal des Bezirksgerichts Winterthur. Der Beschuldigte ist allerdings schon 84 Jahre alt, nicht vorbestraft und fühlt sich selber als Opfer. «Wo sind wir hier? Sind wir hier in Russland oder einem Kommunistenland?», ruft der Landwirt immer wieder. Seit 40 Jahren werde er nun schon auf seinem eigenen Boden ständig von Autos und Hunden belästigt.
Er sei von einer «wildfremden Person» auf seinem Land tätlich angegriffen worden, behauptet er. «Da wehrt man sich doch, lässt nicht einfach seine Hände im Hosensack und lässt sich verprügeln!»
Schauplatz des Nachbarschaftsdramas ist eine Gemeinde im Bezirk Winterthur. Dort stehen in der Kernzone ein landwirtschaftlicher Betrieb und eine Hundepension unmittelbarer nebeneinander. Seit dem Jahr 1932 gibt es ein gegenseitiges Fussgänger- und Fahrrecht, das über den Vorplatz des Landwirts führt. Der Streit soll bereits seit Jahren schwelen, weil Kundinnen und Kunden der Hundepension diesen Vorplatz illegal betreten und nützen sollen.
Drohung, die Frauen zu erschiessen
Zwei verschiedene Vorfälle haben Eingang in zwei Anklagen gefunden: Im September und im November 2023 soll der betagte Landwirt mehrere Frauen und Hunde mit einem Gartenschlauch «komplett nass» gespritzt haben.
Ausserdem habe er beim ersten Vorfall die Drohung «S nögscht mal wird gschosse!» ausgesprochen. Auslöser soll dannzumal gewesen sein, dass Hunde bellten, als er mit einem Pferd die Frauen passierte.
Beim zweiten Vorfall ging eine 58-jährige Kundin der Hundepension zugegebenermassen auf den Landwirt zu, um den Gartenschlauch abzuknicken, als dieser gegen die Pensionsbesitzerin und die Hunde spritzte. Der Beschuldigte soll dabei mit dem Arm ausgeholt und der Frau die Spritzvorrichtung des Schlauchs gegen den Kopf geschlagen haben.
Die Kundin ist ihrerseits des Hausfriedensbruchs und der Tätlichkeiten angeklagt, weil sie das Grundstück des Landwirts illegal betreten haben soll und ihm den Gartenschlauch habe entreissen wollen. Dabei sei es auch zu einem «ungewollten Körperkontakt» gekommen.
Die Besitzerin der Hundepension erzählt als Privatklägerin vor Gericht, sie glaube, der Landwirt hasse sie einfach. Beim ersten Vorfall habe sie mit einer Kundin auf ihrem eigenen Land geredet. Ein Hund sei in einem Auto gewesen und habe gebellt. Da sei der Landwirt gekommen und habe «gfluecht und gmacht». Dann habe er sie von zuoberst bis zuunterst mit dem Schlauch abgespritzt. Die Kundin und sie seien «pflotschnass» gewesen.
Auch habe er gedroht, sie zu erschiessen. «Würden Sie ihm zutrauen, dass er sie erschiesst?», fragt der Einzelrichter. «Ja», sagt die Privatklägerin ohne zu zögern. Sie habe «uhuere Angscht» vor ihm und auch Angst um die Existenz ihrer Hundepension. Sie habe sich auch schon überlegt, ob sie wegziehen solle.
Landwirt erinnert sich nur an einen Vorfall
Die Befragung des Landwirts gestaltet sich schwieriger. Auf die Frage, wo er wohne, sagt er zum Beispiel «Diheime!» oder zur Höhe seiner AHV-Rente: «Das sage ich Ihnen doch nicht!» Er gibt auch an, nicht mehr gut zu hören. Der Einzelrichter ist aber geduldig. Dass es zwei verschiedene Vorfälle waren, will der Landwirt nicht mehr wahrhaben. Er spricht immer nur von einem, selbst als er von seinem eigenen Anwalt korrigiert wird.
Was die Frauen erzählten, sei «stink-erlogen». Sein Ross sei wegen des Hundegebells erschrocken und habe ihn fast umgetrampelt. Deshalb habe er mit dem Schlauch nur auf die Hunde gespritzt. Die Pensions-Besitzerin sei «furztrocken» geblieben. Dann sei er auf seinem eigenen Boden tätlich angegriffen worden.
«Wo genau wurden sie am Körper berührt?», will der Einzelrichter wissen. «Am Körper, wo sonst, sicher nicht in der Luft draussen», lautet die Antwort. «Wie stark waren die Schläge?» – Die Schläge seien «weiblich» gewesen. Da könne sich der Richter die Stärke selber ausrechnen.
Es sei zudem «komplett ungerecht», dass sein Gewehr danach von der Polizei beschlagnahmt worden sei. Das sei seine Dienstwaffe. «So weit sind wir in der Schweiz schon! Aber nicht mit mir!» Er wolle seine Dienstwaffe zurück. Er gehe bis vor Bundesgericht.
Die zuständige Staatsanwältin beantragt allerdings, die Dienstwaffe einzuziehen und zu vernichten. Der Landwirt sei wegen Drohung und mehrfacher Tätlichkeiten zu einer bedingten Geldstrafe von 45 Tagessätzen à 70 Franken (3150 Franken) und einer Busse von 800 Franken zu verurteilen. Für die 58-jährige Kundin verlangt sie eine bedingte Geldstrafe von 20 Tagessätzen à 80 Franken (1600 Franken) wegen Hausfriedensbruchs und Tätlichkeiten.
Verteidiger sieht «verhältnismässige Gegenwehr»
Der Verteidiger des Landwirts plädiert auf einen vollumfänglichen Freispruch. Die Hundepension sei illegal und vor 40 Jahren ohne eine Baubewilligung zur Nutzungsänderung für gewerbliche Zwecke in der Kernzone in Betrieb genommen worden. Bis heute liege keine solche Baubewilligung vor.
Der Landwirt werde den ganzen Tag durch Lärmemissionen der Hunde gestört. Das Fussgänger- und Fahrrecht gelte nur für die Nachbarn, nicht aber für die Kundinnen der Pension. Es lägen illegale, unhaltbare Zustände vor, die bis heute von den Behörden ignoriert würden.
Was die Drohung anbelangt, erklärt der Anwalt, der angeklagte Wortlaut sei nicht bewiesen. Der Landwirt habe wohl eher gesagt, er werde «etwas» schiessen und habe damit Steine oder Holz gemeint. Im Übrigen sei der Mann selber angegriffen worden und bei seiner Reaktion handle es sich um eine verhältnismässige Gegenwehr.
Die angeklagte Kundin ist ohne Anwalt erschienen. Sie erklärt sich unschuldig. Sie habe den Landwirt nicht berührt und nicht gewusst, wo die Landgrenze genau verlaufe. Sie sei gelernte Alterspflegerin und greife sicher nicht alte Menschen an. Sie verlangt einen Freispruch.
Der Einzelrichter verurteilt den 84-jährigen Landwirt schliesslich fast anklagegemäss und spricht die Hundehalterin vollumfänglich frei. Der Landwirt erhält eine bedingte Geldstrafe von 45 Tagessätzen à 70 Franken (3150 Franken), aber nur 600 Franken Busse. Das beschlagnahmte Sturmgewehr 57 mit sieben Patronen wird eingezogen.
Die Aussagen der Frauen seien glaubhaft, jene des Beschuldigten nicht gleichbleibend und übertreibend. Zudem vermische er die beiden Vorfälle, was Zweifel an seinem Erinnerungsvermögen aufkommen lasse. Einen Rechtfertigungsgrund für sein Verhalten gebe es nicht.
Der Freispruch für die Hundehalterin erfolgt, weil für sie nicht erkennbar gewesen sei, zu welchem Haus der Bereich gehörte. Sie habe den Bereich sogar betreten dürfen, um das Abspritzen mit dem Gartenschlauch abzuwehren. Ein Video des Vorfalls, das verwertbar sei, zeige auch, dass sie keine Tätlichkeit begangen habe.
Der verurteilte Landwirt beginnt nach der Urteilseröffnung herumzuschreien. Ein solches Märchen akzeptiere er nicht, «wir sehen uns vor Bundesgericht!»
Urteile GG240091 und GG230092 vom 23. 1. 2025, noch nicht rechtskräftig.