Donnerstag, November 28

Das «High» ist rasch verflogen. Nach der Euphorie um die Quartalszahlen von Nvidia macht sich Ernüchterung breit. Auf die Stimmung drücken der schwache Ausblick von Salesforce und generell enttäuschende Nachrichten aus dem Bereich Unternehmenssoftware.

Seit rund anderthalb Jahren wird das Geschehen an den amerikanischen Börsen vom Thema künstliche Intelligenz dominiert. Im Umfeld des Hypes um grosse Sprachmodelle wie ChatGPT werden an Wallstreet Erwartungen an einen gewaltigen Wachstumsschub für Technologiekonzerne geschürt.

Ein typisches Beispiel dafür ist folgende Vorschau zum Abschluss von Salesforce, die Dan Ives, Analyst bei Wedbush Securities und einer der grössten KI-Optimisten, im früheren Verlauf dieser Woche an Kunden des Brokerhauses verschickte:

«Investoren werden das Resultat von Salesforce und die Kommentare von [CEO Marc] Benioff genau verfolgen, um die Nachfrage von Unternehmen nach Software und den allgemeinen Appetit auf die vor kurzem präsentierte KI-Strategie des Konzerns zu beurteilen, zumal die KI-Revolution vor der Tür der Tech-Welt steht.»

Wie sich herausstellt, ist von einem Umbruch in der Realität wenig zu sehen. Der Cloudsoftware-Pionier aus San Francisco hat sowohl mit den Zahlen für das vergangene Quartal als auch mit der Prognose zur laufenden Berichtsperiode die Erwartungen verfehlt. Die Aktien haben am Donnerstag mit einem Verlust von knapp 20% den schwersten Rückschlag an einem Handelstag seit Juli 2004 erlitten.

Das Umfeld bleibt schwierig

Das Problem ist, dass bisher nur eine Handvoll Unternehmen aus dem Tech-Sektor vom KI-Boom profitiert – jedenfalls, wenn man sich an den Geschäftszahlen orientiert. Ausser bei Namen wie Nvidia, Broadcom oder Super Micro Computer bleibt ein nennenswerter Effekt auf die Einnahmen bisher bestenfalls vage. Derweil nehmen Investitionen in KI-Chips und andere Ausgaben auf der Kostenseite rasant zu.

Wie der Abschluss von Salesforce zeigt, halten sich die meisten Unternehmen mit Investitionen in ihre IT-Umgebung nach wie vor zurück. «Wir sehen weiterhin ein angepasstes Kaufverhalten, ähnlich wie wir es in den letzten zwei Jahren erlebt haben», sagte Chief Operating Officer Brian Millham zum Marktumfeld. «Wir sahen verlängerte Vertragszyklen, eine Verdichtung des Vertragsvolumens und ein hohes Mass an Budgetkontrolle.»

Salesforce ist der Marktführer bei Software für das Customer-Relationship-Management (CRM); simpel gesagt, Prozesse in einem Unternehmen rund um bestehende und potenzielle Kunden. Im Quartal per Ende April erzielte der Konzern ein Umsatzwachstum von 11% auf 9,13 Mrd. $, wogegen Analysten mit 9,15 Mrd. $ gerechnet hatten. Der Ausblick von 9,2 bis 9,25 Mrd. $ für das Quartal per Ende Juli bleibt ebenfalls hinter den Schätzungen von 9,35 Mrd. $ zurück.

Besonders enttäuschend ist die Entwicklung des Auftragseingangs. Er hat für die vergangene Berichtsperiode bloss 3% auf 6,1 Mrd. $ zugenommen. Derweil hat das Unternehmen in den letzten zwölf Monaten rund 70% des freien Cashflows für Aktienrückkäufe ausgegeben, wobei die Anzahl ausstehender Titel wegen der Kompensation von Mitarbeitenden mit Optionen praktisch unverändert geblieben ist.

Wie diverse andere Tech-Konzerne bemüht sich Salesforce, die Aufmerksamkeit auf «adjustierte» Kennzahlen zu richten, die den Geschäftsgang angeblich besser reflektieren. Das Management bezeichnet die relevante Kenngrösse zur operativen Performance als «current Remaining Performance Obligation». Kurz «cRPO» genannt, kombiniert sie verzögerte Einnahmen mit dem Auftragsbestand. Auch hier hat die Zunahme von 10% die Konsensschätzung (12%) verfehlt.

Heftige Erschütterungen

Das Debakel sendet eine Schockwelle durch den Software-Sektor und darüber hinaus. «Unseres Erachtens ist das Malaise weit verbreitet und nicht Salesforce-spezifisch», meint Karl Keirstead, IT-Analyst bei UBS. «Wir sehen keine Anzeichen für eine Erholung im zweiten Halbjahr», schreibt er in einer Einschätzung mit der Überschrift «Die Träume vom Aufschwung sind zerschlagen».

Das Kursbeben erschütterte am Donnerstag vor allem Aktien aus dem Bereich Unternehmenssoftware: ServiceNow büsste 12% ein, Adobe verlor 7%, Oracle und Microsoft jeweils über 5% bzw. 3%. Der iShares Expanded Tech-Software Sector ETF (IGV) schloss knapp 6% im Minus.

Selbst der Dow Jones wird in Mitleidenschaft gezogen. Das Blue-Chip-Barometer, in dem der Energieriese ExxonMobil Ende August 2020 durch Salesforce ausgetauscht wurde, büsste bis Handelsschluss 0,9% ein. Im bisherigen Jahresverlauf fällt der Dow mit einem mageren Plus von 1% nun sogar hinter den Small-Cap-Index Russell 2000 zurück. Seit der Rochade notiert der Kurs von Exxon 180% höher, wogegen Salesforce 20% verloren hat.

Hinzu kommt, dass in den vergangenen Tagen weitere durchwachsene Nachrichten aus dem Bereich Software eingetroffen sind. Von Workday über ServiceNow bis hin zu MongoDB enttäuschen andere prominente Anbieter mit dem Abschluss ebenfalls. Mit deutlichen Kursverlusten sind zuletzt auch die Zahlen der Sicherheitssoftware-Spezialisten Palo Alto Networks und Okta abgestraft worden.

Aus einer Trading-Perspektive ist eine technische Gegenbewegung in den kommenden Tagen wie nach jedem Sell-off nicht ausgeschlossen. Das Problem mit Software-Aktien ist jedoch die zumeist überaus stolze Bewertung. Das gilt speziell, wenn die Zinsen länger auf erhöhtem Niveau verharren sollten.

Auf Basis der Analystenschätzungen für die kommenden zwölf Monat handelt der Sektor gemäss dem Finanzdatendienst Koyfin zum 8,4-Fachen des Umsatzes. Auch wenn die Prämie damit nicht mehr so hoch ist wie auf dem Peak vom Spätherbst 2021, ist sie weiterhin beträchtlich. Zum Vergleich: Der Nasdaq 100 wird zum 5,3-Fachen des Umsatzes bewertet, der US-Leitindex S&P 500 zum 3,3-Fachen.

Kein vereinzeltes Problem

Die Turbulenzen von dieser Woche spielen sich nicht in einem Vakuum ab. Generell ist der Tenor bei den Ergebnispräsentationen von Tech-Konzernen oft ähnlich: Was IT-Ausgaben betrifft, heisst es bei den meisten Unternehmen weiterhin sparen. Generative künstliche Intelligenz, so faszinierend die Technologie auch ist, ändert daran in den meisten Fällen auf unmittelbare Sicht nichts – oder angesichts der hohen Erwartungen zu wenig.

Aktuell zeigt sich das ebenso an der Reaktion auf den Geschäftsbericht von Dell Technologies. Der führende Hersteller von IT-Equipment wie PC-Geräten und Grossrechner hat gestern Abend zwar trotz anhaltend schwieriger Rahmenbedingungen einen soliden Leistungsausweis präsentiert. Mit einer Zunahme von 6% auf 22,2 Mrd. $ ist der Umsatz erstmals seit fünf Quartalen gewachsen, was leicht über den Analystenerwartungen liegt.

Dennoch korrigierte der Kurs nachbörslich 18%, nachdem er im regulären Handel bereits über 5% verloren hatte. Der Dämpfer folgt auf eine eindrückliche Avance. Die Titel sind in den vergangenen zwölf Monaten mehr als 250% vorgeprescht. Der grösste Schub folgte nach den letzten Quartalszahlen Ende Februar und der Ankündigung einer Zusammenarbeit mit Nvidia wenige Wochen später.

Für Irritation sorgen die News zu Dells Geschäft mit Grossrechnern, die für KI-Modelle optimiert sind. «Die Dynamik bei KI-Servern ist zwar ermutigend, die 2,6 Mrd. $ an Bestellungen haben die hohen Erwartungen von Investoren aber wahrscheinlich enttäuscht», glauben Analysten von Goldman Sachs. Dies, obschon sich der Auftragseingang des Segments im Vergleich zur vorangegangenen Berichtsperiode sequenziell um 500 Mio. $ verbessert hat.

Ein weiterer Grund für die harsche Reaktion ist wohl, dass das Geschäft mit KI-Servern weniger profitabel ist als der Verkauf herkömmlicher Grossrechner. Für die Ertragskraft bedeutet das eine zusätzliche Belastung. «Angesichts inflationärer Inputkosten, des Wettbewerbsumfelds und des höheren Umsatzanteils an KI-optimierten Servern erwarten wir einen Rückgang unserer Bruttomarge um etwa 150 Basispunkte», sagte Finanzchefin Yvonne McGill zum Ausblick auf das Gesamtjahr.

Immerhin, es gibt vereinzelt auch Lichtblicke und positive Überraschungen: Chiphersteller wie Analog Devices und Texas Instrument sehen nach einer langen Auftragsflaute erstmals eine Aufhellung bei der Nachfrage aus der Industrie. Wie der Unternehmensberater IDC berichtet, ist ebenso die hartnäckige Krise im globalen Markt für Smartphones überwunden, wobei dieses Jahr 4% Wachstum resultieren sollen.

Mit künstlicher Intelligenz hat das aber wenig zu tun.

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