Montag, Februar 3

2023 verbrannte Salwan Momika in Schweden einen Koran. Die Frage sei, wie wir künftig mit solchen Taten umgingen, schreibt der Politikwissenschafter Hamed Abdel-Samad. Ein Kniefall vor den Fanatikern sei nicht die Antwort.

Als der Iraker Salwan Momika im August 2023 in Schweden einen Koran verbrannte, löste er in der islamischen Welt einen Sturm der Entrüstung aus. Westliche Medien berichteten ausführlich, Schweden geriet unter Druck, solche Aktionen gesetzlich zu verbieten, Feuilletonisten warnten vor den Folgen. Doch als Momika am Donnerstag während eines Tiktok-Livestreams in seiner Wohnung in der Stadt Södertälje erschossen wurde, blieb sein Tod eine Fussnote in den Nachrichten.

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Diese Diskrepanz wirft eine beunruhigende Frage auf: Warum erregt die Verbrennung eines Buches mehr Aufmerksamkeit als der Tod eines Menschen? In der arabischen Welt wurde die Ermordung Momikas teilweise mit Jubel oder Schadenfreude aufgenommen. Die wenigen, die die Tat verurteilten, stellten Täter und Opfer auf eine Stufe. Momika habe sich durch seine Provokationen selbst schuldig gemacht, hiess es. Er habe die Gefühle der Muslime verletzt und sei deshalb genauso radikal wie sein Mörder.

Keine Einzelfälle

Der Vorwurf, religiöse Gefühle verletzt zu haben, ist mir nicht fremd. Seit mehr als elf Jahren lebe ich unter Polizeischutz, unzählige Morddrohungen haben mich begleitet. Ähnlich erging es Salman Rushdie nach der Veröffentlichung seiner «Satanischen Verse». 33 Jahre lang lebte er im Untergrund, bis er 2022 während einer Lesung in New York beinahe mit mehreren Messerstichen getötet wurde. Auch in Mannheim überlebte im vergangenen Jahr ein Islamkritiker nur knapp ein Attentat.

Das sind keine Einzelfälle. Sie sind Teil eines bedrohlichen Musters: Noch nie war es für Islamkritiker in Europa so gefährlich wie heute. Vielleicht, weil unsere ach so progressive Identitätspolitik es zugelassen hat, dass religiöse Gefühle mehr zählen als Meinungsfreiheit. Vielleicht, weil einige hundert Seiten Papier – oder das, was sie symbolisieren – für die Diversity-Apostel mehr wert sind als ein Menschenleben.

«Ich bin bereit, für meine Freiheit zu sterben»

Im August 2023 kontaktierte mich Salwan Momika. Er bat mich, seine Aktionen in säkularen arabischen Kreisen zu unterstützen. Ich lehnte ab. «Man kann Bücher kritisieren», sagte ich ihm, «aber man sollte sie nicht verbrennen.» Ich fragte ihn, was er mit seiner Aktion bezwecke. Seine Antwort war ebenso entschlossen wie naiv: Er wolle den Koran in Schweden verbieten lassen.

Ich warnte ihn. «Du berufst dich auf die offene Gesellschaft», sagte ich, «aber du sprichst den Muslimen das gleiche Recht auf Religionsausübung ab. Kritik sollte eine Kommunikationsstrategie sein, nicht ein Abbruch der Kommunikation.» Schliesslich sagte ich ihm: «Keine Idee, keine Sache der Welt ist es wert, dafür zu sterben.» Doch Momika blieb unerbittlich. «Ich bin bereit, für meine Freiheit zu sterben», antwortete er.

Er wollte beweisen, dass der Koran zum Terror aufruft. Tragischerweise gelang ihm das nur durch seinen eigenen Tod. Doch auch sein Mörder handelte mit heiligem Furor – und steht nicht stellvertretend für alle Muslime.

Schadenfreude und Beschwichtigung: Reaktionen auf Momikas Tod

In den Kommentarspalten unter den Nachrichten über Momikas Ermordung finden sich Schadenfreude und Beschwichtigung. Viele Muslime feierten die Tat als Sieg des Islams und als Niederlage seiner Feinde. «Möge sein Tod eine Warnung für all jene sein, die glauben, ihr Leben im ungläubigen Westen sei ausserhalb der Reichweite von Allahs Gesetzen», schreibt einer.

Andere warnen vor den Folgen. «Dieser Mord schadet den Muslimen weltweit», heisst es in einem Kommentar. «Rechtsextreme werden die Tat ausnutzen, um Gesetze gegen Muslime zu verabschieden.» Der Autor schliesst mit den Worten: «Der Mörder ist genauso extrem wie der Mann, der den Koran verbrannt hat. Beide sind Feinde der Muslime.»

Doch selbst dieser Kommentar offenbart zwei Probleme: Erstens jubeln einige Muslime nach jedem Anschlag eines radikalen Muslims, während andere den Islam und die Muslime als die eigentlichen Opfer darstellen. Für sie ist ein Terroranschlag nicht deshalb schlecht, weil er unmenschlich ist, sondern weil er dem Ansehen des Islams schadet. Zweitens werden Täter und Opfer, Kritik und Gewalt gleichgesetzt. Dabei hat Momika nie zur Gewalt gegen Muslime aufgerufen. Er hatte radikale Ideen, aber er hat sie im Rahmen des Rechtsstaates geäussert.

Die Macht des Korans und ihre Folgen

Die Frage ist, wie wir in Zukunft mit solchen Taten umgehen. Soll jede Koranverbrennung – und jede Kritik am Koran – verboten werden, um Terroristen nicht zu provozieren? Würden sich Terroristen damit zufriedengeben oder auch moderate Kritiker und Islam-Reformer ins Visier nehmen? Wie viel Macht darf der Koran noch haben?

Eine Szene aus meiner Kindheit in einer ägyptischen Dorfschule Ende der siebziger Jahre hat mir die Macht des Korans eindrücklich vor Augen geführt. Ein Schüler warf die Tasche eines anderen Schülers auf den Boden. Als der Besitzer sich beschwerte und sagte, in der Tasche sei das Religionsbuch, wurde der Lehrer wütend. Er schlug dem «Sünder» mit einem Bambusstock auf die Hände, dann auf die nackten Füsse und trat ihm mehrmals in den Hintern, bis der Junge zu Boden fiel. Als er wieder aufstand, zwang ihn der Lehrer, sich nicht bei dem anderen Schüler, sondern beim Religionsbuch zu entschuldigen. «In diesem Buch stehen die Worte Gottes», schrie er. «Sie müssen respektiert werden!»

Der Schüler küsste zitternd das Buch und bat weinend um Vergebung. Dieses Tribunal sollte uns zeigen, dass ein Exemplar eines millionenfach gedruckten Buches mehr wert ist als das Wohlergehen eines Schülers. Diese Haltung prägt viele Muslime bis heute. Der Koran ist für sie nicht nur Verfassung, sondern auch Hüter ihrer Identität und Existenz. Die Mauern, die sie um den Koran bauen, um ihn zu schützen, sind zugleich ihre eigenen Gefängnismauern.

Ich habe immer betont, dass die Lösung in den Händen der Muslime selbst liegt. Anstatt 7 Milliarden Nichtmuslimen die Kritik am Koran zu verbieten – was nahezu unmöglich ist –, sollten sie lernen, mit Religionskritik, auch mit unfairer Kritik, gelassener umzugehen. Die Lösung kann nie sein, dass die Kritiker verstummen.

Hamed Abdel-Samad ist deutsch-ägyptischer Politikwissenschafter und Buchautor. 2024 erschien sein Buch «Der Preis der Freiheit. Eine Warnung an den Westen» beim DTV-Verlag, München.

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