Freitag, August 22

Königinnendrama, Zickenkrieg, Psychogramm der Macht: Ulrich Rasche zeigt Donizettis Oper «Maria Stuarda» als bildgewaltige Parabel.

Vielleicht ist die Erde doch bloss eine Scheibe. Auf den Gedanken könnte man kommen, wenn man diesen seltsam flachen Planeten im Bühnenweltraum des Salzburger Festspielhauses kreisen sieht. Die Menschen haben Mühe, sich auf seiner Oberfläche zu halten, denn die Erdscheibe ist unberechenbar: Manchmal kreist sie gemächlich, so dass alles in natürlicher Bewegung bleibt. Manchmal aber dreht sie sich schneller oder neigt sich so stark, als wollte sie ihre lästigen Bewohner abschütteln und in ein namenloses Nichts befördern.

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In der Neuinszenierung der Oper «Maria Stuarda» ist diese unbeständige Welt die Lebenssphäre der schottischen Königin. Der Regisseur Ulrich Rasche hat dafür eine riesige Drehbühnen-Konstruktion ersonnen, auf der Maria Stuart mit ihren Begleitern wie ausgesetzt durch ein nebelverhangenes Dunkel schwebt. Doch da ist noch eine zweite Sphäre: In ihr lebt Marias Gegenspielerin, die englische Königin Elisabeth I. – räumlich strikt getrennt von der Rivalin, doch manisch auf sie fixiert. Und so rollen alsbald zwei Planetenscheiben unablässig über die breite Bühne des Festspielhauses, wie Zwillingssterne in den Weiten des Alls.

Erfahrungen von Lust und Liebe

Ein beeindruckendes, so noch nicht gesehenes Bild, das buchstäblich den Dreh- und Angelpunkt dieser Oper von Gaetano Donizetti anschaulich macht. Tatsächlich sind die historischen Königinnen einander nie persönlich begegnet. Doch der Name der einen wird vor der Geschichte stets mit dem der anderen verbunden bleiben. Sie sind feindliche Schwestern und seit Schillers Trauerspiel «Maria Stuart» von 1800, das die Vorlage für die Oper lieferte, auch gut für manchen Zickenkrieg auf den Theaterbühnen.

Ulrich Rasche, der vom Schauspiel kommt und mit dieser wuchtigen Festspielpremiere seine dritte Operninszenierung vorlegt, will sich allerdings nicht mit dem wirkungsvollen Machtkampf der ungleichen Herrscherinnen begnügen. Er geht dem tödlichen Hass auf den Grund, der sie gleichermassen trennt wie verbindet.

Maria, durch Heirat ehedem Königin von Frankreich, ist die lebenslustige, welterfahrene der beiden Kontrahentinnen. Sie hat die Freuden jenseits der rauen Bergwelt ihrer schottischen Heimat kennengelernt, das Leben in vollen Zügen genossen, etwa mit zahlreichen jungen Männern, die ihr zu Willen gewesen sind. Obendrein hat sie möglicherweise ihren zweiten Gemahl auf dem Gewissen. Rasche deutet diese pikante Vorgeschichte in Videosequenzen an; sie werden auf eine dritte Scheibe projiziert, die wie eine Sonne über den beiden anderen schwebt und sie beleuchtet.

Elisabeth dagegen, die als «The Virgin Queen» in die Geschichte einging, ist solcher Lebenswandel wesensfremd. In ihrer strengen, von der Etikette bestimmten Welt gibt es keine Freuden, nur Intrigen; alles ist auf Haltung und Selbstbeherrschung abgestellt. Schnell wird klar: Sie hasst und fürchtet Maria nicht bloss, weil diese ihr den Thron streitig machen könnte – sie neidet der Gegenspielerin ihr Leben als Frau, all die Erfahrungen von Lust und Liebe, die sie selbst nie machen wird. Deshalb muss Maria Stuart am Ende aufs Schafott. Elisabeth aber kreist in Rasches Deutung auch danach weiter durchs Universum, für immer gefangen auf ihrer Planetenscheibe. Eine Befreiung hat der Tod der Gegnerin nicht gebracht.

Schwerelose Ungetüme

Mit dieser psychologischen Vertiefung gibt Rasche der Opernhandlung viel von dem wieder, was der Librettist Giuseppe Bardari für Donizettis «Tragedia lirica» einst aus Schillers Vorlage getilgt hat: die eindringliche Zeichnung der Charaktere und ihrer Seelenlagen sowie die intensive Befragung ihrer Handlungsmotive. Allerdings befrachtet Rasche die knapp gefasste Belcanto-Oper von 1834/35 damit auch gewaltig. Schon das schiere Gewicht der fahrbaren Drehscheiben schiene eigentlich besser zu einer Produktion von Wagners «Ring»-Zyklus zu passen. Doch Rasche, der mit solchen Maschinen bekannt geworden ist, versteht sein Handwerk: Die tonnenschweren Ungetüme gleiten wie schwerelos über die Bühne.

Und die Scheiben sorgen noch für ein weiteres Paradox: Ihr unaufhörliches Kreisen hält alle Darsteller ständig in Bewegung, sie müssen der Drehrichtung entgegengehen, um nicht herunterzufallen, und kommen trotzdem kaum vom Fleck. Ein Sisyphos-Bild und zugleich eine eindringliche Metapher für die Mechanik der Macht, in der hier alle gefangen sind.

Der sportive Aspekt ist dabei freilich nicht zu unterschätzen. Er bedeutet eine zusätzliche physische Belastung für die Sänger, die bereits stimmlich immens herausgefordert sind. Womöglich ist das der Grund, warum weder Lisette Oropesa als Maria Stuart noch Kate Lindsey als Elisabeth das Bühnengeschehen derart dominieren, wie es bei solchen Primadonnen-Battles üblich ist. Belcanto-Freunde mögen das bedauern. Zudem unterstützt die sonst leere, nach allen Seiten offene Bühne die nicht allzu voluminösen Stimmen akustisch kaum. Andererseits hilft aber gerade die Vereinzelung der Protagonistinnen dem Stück, das hier für einmal nicht auf einen vokalen Schaukampf reduziert wird.

Stolz und Hochmut

Lisette Oropesa hat schon vom Komponisten die besseren Karten zugeteilt bekommen, um ihren Bühnencharakter eigenständig zu profilieren. Sie nutzt ihre abwechslungsreichen Arien und zeichnet Maria mit brillanten, selbst in der Extremhöhe leicht ansprechenden Koloraturen und einer differenzierten Tongebung als selbstbewusste, klug reflektierende Frau, die den Grund für Elisabeths Neid durchschaut und sie sogar indirekt, sozusagen von Planet zu Planet, zu provozieren beginnt. Kate Lindsey antwortet ihr mit nicht geringerem Stolz und noch mehr Hochmut; zwischen den Zeilen wird jedoch spürbar, wie viel sie diese eiserne Haltung kostet. Es ist das Porträt einer Siegerin, die dennoch verloren hat.

Antonello Manacorda am Pult der Wiener Philharmoniker befeuert die Auseinandersetzung mit bewegten, fast leichtfüssigen Tempi. Das führt gelegentlich zu Koordinierungsproblemen, namentlich mit dem aus dem Off singenden Chor der Wiener Staatsoper. Aber die Idee, Donizettis Musik mit einem frischeren Zugriff und einem aufgerauten Orchestersatz wieder mehr dem Klangbild der Entstehungszeit anzunähern, ist richtig. So weit wie Cecilia Bartoli geht Manacorda dabei indes nicht. Bartoli hat in mehreren Belcanto-Projekten überzeugend vorgeführt, wie sehr diese Musik profitiert, wenn man sie mithilfe der historischen Aufführungspraxis neu durchleuchtet.

Bartoli wird derzeit in Salzburg übrigens auch gefeiert – sie tritt in der Wiederaufnahme des hinreissenden Vivaldi-Pasticcios «Hotel Metamorphosis» nach Motiven Ovids auf, eine Übernahme von den Pfingstfestspielen, die sie seit 2012 leitet. Bartolis Vertrag wurde just dieser Tage bis 2030 verlängert. Zwischen der virtuos mit allen Zaubertricks des Theaters spielenden Inszenierung von Barrie Kosky und der monumental ins Parabelhafte überhöhten Regie von Ulrich Rasche ist fast kein grösserer Gegensatz denkbar. Aber genau diese Bandbreite müssen Festspiele abbilden.

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