Das Verhältnis von Macht und Verantwortung prägt die Neuproduktion von Mozarts Oper «La clemenza di Tito» bei den Salzburger Pfingstfestspielen. Auch Zürichs Musikdirektor Paavo Järvi hat dort diesmal einen bemerkenswerten Auftritt.

Sie ist und bleibt ein Phänomen. Selbst wer glaubt, Cecilia Bartoli als Künstlerin gut zu kennen, entdeckt bei ihr immer noch Neues. Diese Frau überrascht, sie ruht sich nicht aus, erfindet sich immer wieder neu. Routine ist ganz und gar nicht ihre Sache, und diese Haltung lebt sie – nicht nur als weltberühmte Sängerin auf dem Podium, sondern auch als künstlerische Leiterin der Salzburger Pfingstfestspiele. Vor zwölf Jahren hatte die gebürtige Römerin ihren offiziellen Amtsantritt als Prinzipalin dieses saisonalen Festivalablegers, und in dieser Zeit hat sich die Reihe zu einem künstlerischen Laboratorium gemausert.

In diesem Jahr dreht sich alles um «Tutto Mozart», womit Bartoli nun erstmals Wolfgang Amadeus Mozart in den Fokus rückt. Überdies stemmt sie ein szenisches Rollendebüt, nämlich den Sesto aus Mozarts später Krönungsoper «La clemenza di Tito» von 1791: im Rahmen einer Neuinszenierung von Robert Carsen, die auch an die Salzburger Sommerfestspiele übernommen wird. Für den Sesto wie auch für die Partie des Annio hatte Mozart ursprünglich Kastratenstimmen vorgesehen. Ihnen entsprechende Interpreten standen ihm aber schon bei der Uraufführung in Prag nicht zur Verfügung. Deshalb ist die Besetzung mit Frauenstimmen bis heute eine gängige Alternative. Alternativlos ist sie freilich nicht.

Macht und Milde

Seit sich Countertenöre – die Nachfolger der Kastraten im männlichen Alt- und Sopranfach – diese und andere Rollen zurückerobert haben, sollte man die übliche Besetzungspraxis zumindest hinterfragen. Und zwar unabhängig von jeglicher Genderproblematik, die an der von jeher mit Rock- und Hosenrollen, also mit Cross-Gender-Darstellungen arbeitenden Oper vorbeizielt. Hier kann man vielmehr konkret darüber diskutieren, ob sich das charakteristische Timbre von Bartoli dazu eignet, Kastratenkolorit stilgerecht nachzuempfinden. Unabhängig davon glänzt Bartoli indes mit einer Ausdruckskraft in Gesang und Darstellung, die unmittelbar gefangen nimmt.

In Salzburg wirkt ihre Stimme jetzt wieder so frisch und präsent wie je, unerhört biegsam und agil, gestochen klar die Koloraturen und betörend schön der fragile Lyrismus. Der Sesto von Bartoli ist denn auch – neben dem Tito von Daniel Behle – stimmlich wie darstellerisch der Höhepunkt und zugleich das Zentrum dieser Premiere. Die beiden verhelfen einer Regie zum Leben, die mit dieser Oper offenkundig mächtig hadert.

Tatsächlich sollte Mozart mit diesem kurzfristig in die Arbeit an der «Zauberflöte» eingeschobenen Auftragswerk die Krönung Leopolds II. zum König von Böhmen feiern. Das zuvor auch schon von Gluck und anderen vertonte Libretto Pietro Metastasios thematisiert bereits im Titel die Milde und Weisheit des Herrschers. Sie erhoffte man sich – die Anspielung war 1791 jedem verständlich – auch vom frisch gekrönten Leopold.

Obwohl es in Titos Umfeld zu Intrigen, Verschwörungen, Mordplänen und Umsturzversuchen kommt, samt einem Sturm auf das römische Kapitol, bleibt dieser Kaiser geradezu irritierend entspannt. Die Verschwörer werden am Ende sogar grossherzig begnadigt, allen voran Sesto. Der kanadische Regisseur Robert Carsen, der im Sommer auch den neuen Salzburger «Jedermann» inszenieren soll, misstraut ebendieser friedlichen Eintracht jedoch gründlich. Für ihn schliessen sich Macht und Milde vollständig aus.

Ungenaue Assoziationen

Um dies darzulegen, bedient sich Carsen bekannter Bilder aus der jüngeren Geschichte. Aus dem Sturm auf das römische Kapitol wird der Sturm auf das Capitol in Washington im Januar 2021. Carsen lässt dabei grosszügig beiseite, dass der Sturm auf den Sitz des amerikanischen Parlaments damals offensichtlich direkt aus der Machtzentrale heraus geschürt wurde, nämlich vom noch amtierenden US-Präsidenten Trump. Das Innere des Capitols hat der Bühnenbildner Gideon Davey wiederum als italienische Machtzentrale ausgestattet, samt Landes- und EU-Flaggen.

Dieses im Hier und Jetzt verankerte Bühnenbild erinnert an die Hamburger «Nabucco»-Inszenierung von Kirill Serebrennikow aus dem Jahr 2019. Sie spielte im Sitzungssaal des Uno-Sicherheitsrats in New York und richtete das Augenmerk auf den Bürgerkrieg in Syrien und die Fluchtbewegungen aus dem Kriegsgebiet. Doch während Serebrennikow dieses Bild zu einer politisch starken Botschaft formte, wirkt in Salzburg auch dieses Bühnenbild nicht zu Ende gedacht.

Das grosse Problem der Politik im modernen Italien sind nicht so sehr von aussen einwirkende, undemokratische Kräfte, sondern das fragwürdige Demokratieverständnis mancher Machthaber selber, spätestens seit dem Beginn der ersten Amtszeit von Silvio Berlusconi als Ministerpräsident. Mit solchen und ähnlichen Zusammenhängen hält sich die Inszenierung nicht lange auf. Dafür legt Carsens Regie kurz vor dem Ende der Oper eine atemberaubende Kehrtwende hin.

Während der von Jacopo Facchini exzellent einstudierte Chor Il Canto di Orfeo die grossherzige Milde Titos besingt, wird dieser niedergemetzelt. Auch die begnadigten Aufständischen bedroht man mit Schusswaffen, allen voran Bartolis Sesto und den von Anna Tetruashvili eindrücklich dargestellten Annio. Vitellia (Alexandra Marcellier), die Tochter des entthronten Vorgängers von Tito, greift hier unverblümt nach der Macht. Die lässt sich auf die Dauer eben doch nicht mit Milde ausüben – so die recht plakativ vereinfachte Lesart von Carsen.

Umso differenzierter musiziert das 2016 gegründete Originalklang-Ensemble Les Musiciens du Prince aus Monte-Carlo, wo Bartoli seit 2023 als Operndirektorin wirkt. Unter der umsichtigen Leitung von Gianluca Capuano halten selbst die oft zähen, nicht von Mozart stammenden Rezitative die dramatische Spannung.

Auch beim Gastspiel von Daniil Trifonov mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen wird das Orchester anderntags ein wenig zum Retter in der Not. Seit zwanzig Jahren agiert Zürichs Tonhalle-Chef Paavo Järvi dort bereits als künstlerischer Leiter – eine überaus ertragreiche und anscheinend immer noch frische Liaison. Selbst die bestens bekannte «Jupiter»- und die «Pariser Sinfonie» von Mozart wirken hier wie erst im Augenblick geboren. Da werden die Tempi geschärft, ohne dass die Musik überhitzt wirkt, unerhört leichtfüssig auch die Artikulation, fast genussvoll spielerisch der differenzierte Einsatz von Vibrato.

Für Trifonov wäre dies in Mozarts C-Dur-Konzert KV 503 eine perfekte Spielweise gewesen, um seine eigene Mozart-Sicht neu zu befragen. Doch seine Ausgestaltung bleibt recht vorhersehbar, im Mittelsatz bedient er mit einer gedehnten Romantisierung sogar ein Mozart-Bild, das längst überwunden wurde, nicht zuletzt von Järvi und der Kammerphilharmonie im selben Konzert. Hier vermisste man just die Offenheit und Flexibilität in interpretatorischen Fragen, für die Cecilia Bartolis Pfingstfestspiele zu Recht gefeiert werden.

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