Sonntag, Oktober 27

Drei Norweger stehen in Sölden auf dem Podest, doch die grossen Emotionen entfachen die Rückkehrer Marcel Hirscher und Lucas Braathen. Für Swiss Ski gibt es zum Saisonstart eine Ernüchterung nach der anderen.

So wünscht sich die Marketingabteilung des Ski-Weltverbandes FIS wohl den Start in die Saison: Kaiserwetter, exaltierte Zuschauermassen und hochklassiger Sport, angereichert mit sensationellen Comebacks. Dass die beiden zurückgekehrten Stars Marcel Hirscher und Lucas Braathen dem Weltcup wichtige Impulse versetzen, war von blossem Auge zu sehen.

Es wurde von den Statistikern bestätigt: 17 200 Personen drängten sich am Sonntag im Zielstadion unten am Rettenbachferner, tags zuvor bei den Frauen waren es 15 800 gewesen – total 33 000, Zuschauerrekord. Und auch das österreichische Fernsehen ORF frohlockte. Bei den Männern lag die Einschaltquote schon im ersten Durchgang bei einer Million, 2023 sahen bloss 600 000 zu.

Der ORF gab denn auch alles und inszenierte Hirscher wie einen Messias des Skisports. Die Fahrten anderer Athleten wurden grosszügig beschnitten, um die Startvorbereitungen des achtfachen Gesamtweltcup-Siegers nach fünf Jahren Rennpause zu zeigen. Ein paar gymnastische Übungen, das Herunterkühlen der Skischuhe mit einem Eisspray. Das macht schon Eindruck. Hirscher fährt zwar nun für die Niederlande, ist aber immer noch ein österreichischer Nationalheld.

Auf der Piste war es freilich der andere Rückkehrer, der neu für Brasilien startende Lucas Braathen, der beeindruckend fuhr. Im zweiten Durchgang zeigte er sich nach einjähriger Pause bereits wieder bestechend, kreuzte die Ziellinie und begeisterte das Publikum mit einer kurzen Samba-Einlage. Hirscher nutzte im Final die gute Startnummer und fuhr die drittbeste Laufzeit. Der ORF-Moderator meinte: «Es war grossartig, das erleben zu dürfen.»

Zwei getrennte Skizwillinge fallen sich in die Arme

Der Moderator wird sich noch ein paarmal freuen. Im Sommer hatte die FIS ruck, zuck entschieden, für einstige Stars, die mindestens zwei und maximal zehn Jahre in Pension waren, eine Sonderregel zu schaffen. Sie dürfen nach den Top 30 fahren, müssen also nicht zuerst an Hauseckenrennen Punkte sammeln und sich im Weltcup von ganz hinten nach vorne arbeiten. Hirscher trug in Sölden die Nummer 34, Braathen war zu wenig lange weg und bekam die 41.

Es wird nicht lange dauern, bis er wieder weit vorne startet. Im zweiten Durchgang war er der Schnellste, am Ende resultierte der vierte Rang – hinter drei Norwegern. Nachdem Braathen lange in der Leaderbox gesessen war, gelang es ausgerechnet Atle Lie McGrath, ihm die Führung abzunehmen. Die beiden galten einst im norwegischen Team als Skizwillinge und sind heute noch dicke Freunde. Braathen rannte sofort zu McGrath, umarmte ihn und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.

McGrath hatte sich kaum gesetzt, da jagte ihm Henrik Kristoffersen die Führung um eine Hundertstelsekunde ab. Doch auch er sollte das Rennen nicht gewinnen. Alexander Steen Olsen, der Führende nach dem ersten Durchgang, hielt dem Druck stand und fuhr bestechend zum ersten Sieg im Riesenslalom. Das derzeit wohl grösste Talent im norwegischen Team hat auch im Slalom schon gewonnen. Er hat das Zeug, die technischen Disziplinen zu prägen.

Pleiten, Pech und Pannen bei den Schweizern

Kein Skifest war der Saisonstart für Swiss Ski. Man erinnere sich: Im vergangenen Winter gewannen Lara Gut-Behrami und Marco Odermatt die Gesamtwertungen, dazu wanderten fünf von acht kleinen Kristallkugeln für Triumphe in den Disziplinen in die Schweiz, und schliesslich durften die Funktionäre auch den Pokal für die Nationenwertung abholen.

In Sölden gab es nun eine Serie von Negativmeldungen. Am Samstag sagte Gut-Behrami nach der Besichtigung unter Tränen, sie traue sich einen Start nicht zu, weil sie nur zu 90 Prozent fit sei. Schon im Vorfeld hatte sie erzählt, dass ein Schlag aufs Knie und eine schwere Grippe die Saisonvorbereitung beeinträchtigt hätten.

Anscheinend war sie derart verunsichert, dass plötzlich die Angst vor einer Verletzung auftrat. Eine schwere Blessur hätte ihre Karriere auf die unschönste Weise beendet, die man sich vorstellen kann. Die 33-Jährige studiert schon länger am Rücktritt herum, es ist schwer vorstellbar, dass sie sich nach einer monatelangen Pause zurückkämpfen würde.

Fraglich ist, was die Absage von Sölden für den Verlauf der Saison bedeutet. Ist es ein Vernunftentscheid, und Gut-Behrami ist in einem Monat in Killington wieder da? Oder geht die Verunsicherung tiefer? Noch wenige Tage vor dem Saisonstart hatte die Athletin gesagt, sie könne sich vorstellen, bis 2026 zu fahren und die Winterspiele in Italien mit ihrer Familie zu geniessen.

Am Sonntag ging es gleich wieder mit einer Verzichtmeldung los. Loïc Meillard, Gewinner des letzten Riesenslaloms der vergangenen Saison und für viele der grösste Herausforderer von Marco Odermatt im Gesamtweltcup, erwischte beim Einfahren am Morgen einen Schlag und hatte danach derart starke Rückenschmerzen, dass an einen Start nicht zu denken war.

Bahn frei für Odermatt also? Der 27-Jährige sagt, er habe mit der Nummer 1 perfekte Bedingungen vorgefunden und «es voll runterlassen» können. Das Glück dauerte etwas mehr als 30 Sekunden, dann fuhr er ein Tor etwas zu direkt an, erhielt einen Schlag – und rutschte weg. Das war ein kurzer Arbeitstag.

Der beste Skifahrer der Gegenwart gewann zwölf Riesenslaloms in Serie. Am Ende der vergangenen Saison blieb einzig die Frage, ob er es schaffen würde, in dieser Disziplin sämtliche Rennen des Winters für sich zu entscheiden. Er trat als Führender zum finalen Durchgang an und kam nicht ins Ziel.

Dem Schweizer unterlief im vergangenen Frühjahr ein sehr ähnliches Missgeschick wie nun in Sölden: etwas zu viel Innenlage, dann ein Schlag – aus der Traum. Das zeigt, dass auch der Mann, der zeitweise unbesiegbar wirkte, stets an die Grenzen gehen muss. Auf die Frage, ob ihn die zwei Pleiten nacheinander nicht verunsicherten, zuckte er bloss mit den Schultern. Bis zum Ausscheiden sei er ja stark gefahren. Tatsächlich: Bei der zweiten Zwischenzeit nach nur 27 Sekunden war er schon 40 Hundertstel vor allen anderen.

Auf dem Papier aber ist die Bilanz von Swiss Ski ernüchternd: Rang 9 für Gino Caviezel, Rang 12 für Camille Rast – das sind die Bestresultate von Sölden. In der Nationenwertung ergibt das Rang 4. Knapp vor Brasilien.

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