Freitag, Januar 3

Als die Läuferin Sara Benfares positiv getestet wurde, behauptete ihr Vater, sie habe Knochenmarkkrebs. Dann wurde auch ihre Schwester erwischt. Der Vorfall ist ein Lehrstück über ausfallende Kontrollinstanzen.

Ende Januar fiel das Kartenhaus zum ersten Mal in sich zusammen. Doch Samir Benfares hatte eine Erklärung parat, bei der im ersten Moment nicht auszuschliessen war, dass sie stimmen könnte. Seine Tochter Sara Benfares, eine deutsch-französische Spitzenläuferin, habe Knochenmarkkrebs, sagte Benfares. So begründete der Vater, warum die 22-Jährige positiv auf die verbotenen Substanzen EPO und Testosteron getestet wurde.

Tatsächlich hatte Sara Benfares, die 2022 noch Deutsche Meisterin über 10 Kilometer geworden war und an den Weltmeisterschaften in Eugene teilgenommen hatte, 2023 nur noch zwei Wettkämpfe absolviert.

Detailliert schilderte Samir Benfares dem französischen Laufportal «Spe 15» eine monatelange Leidensgeschichte. Insgesamt habe seine Tochter zehn Stressfrakturen erlitten, sagte er. Bei einer der daraus resultierenden Untersuchungen sei im August die Krebserkrankung entdeckt worden. Wegen der Chemotherapie sei der Hämatokritwert von Sara Benfares bedenklich tief gesunken, er habe plötzlich nur noch 27 Prozent betragen. Als normal gelten bei Frauen mindestens 35 Prozent. Ein Arzt habe ihr deswegen umgehend EPO verabreicht. Ausserdem sei Testosteron gespritzt worden, um die geschwächten Knochen zu stärken.

Fast wirkte es plausibel, dass sich in der medizinischen Extremsituation niemand die Zeit nahm, für die beiden Mittel Ausnahmegenehmigungen zu beantragen. Aber eben nur fast.

Immer wieder verweigern sich Väter der Kooperation

Der Fall Benfares wirft ein Schlaglicht auf ein übergreifendes Dilemma. Es ist in Individualsportarten wie der Leichtathletik keine Seltenheit, dass die Väter talentierter Athleten den Anspruch entwickeln, deren Karrieren in alleiniger Verantwortung zu steuern. Es kommt zu Alleingängen, in denen sie sich der Kooperation mit Verbänden und Klubs verweigern. Als wüssten nur sie, was im Training und in der Aussendarstellung optimal sei.

Nicht selten torpedieren die Väter die Sportkarrieren ihrer Kinder, statt sie dauerhaft in Schwung zu bringen. Es passieren Fehler, ob aufgrund übersteigerten Ehrgeizes oder wegen mangelnder Fachkenntnisse. Derartige Fälle gab es in der Vergangenheit auch in der Schweizer Leichtathletik.

Samir Benfares, der selbst Läufer war, übernahm in alleiniger Regie das Training von Sara sowie ihren Schwestern Selma und Sofia. 2021 überwarf er sich mit dem Leichtathletikverband seines Heimatlandes Frankreich und entschied, dass die Töchter an Grossanlässen künftig für Deutschland starten sollen, die Heimat der Mutter.

Die Schwestern schlossen sich dem LC Rehlingen an. Der saarländische Klub geniesst in der Szene eine hohe Anerkennung. Doch die Familie liess sich dort kaum je blicken. Heute sagt der Vereinsvorsitzende Thomas Klein auf Anfrage: «Die Benfares-Schwestern haben zu keiner Zeit an einem Vereinstraining teilgenommen, nicht in Rehlingen trainiert und sind ausschliesslich von ihrem Vater trainiert worden.»

Die naheliegendste Kontrollinstanz für den ambitionierten Vater, der Heimatklub, fiel somit aus: Niemand konnte dort auf Augenhöhe mit ihm diskutieren. Denn niemand hatte auch nur die leiseste Ahnung, was er machte. Diese Woche entschied der LC Rehlingen, den Benfares-Schwestern die Mitgliedschaft zu entziehen. Der Entscheid wirkt überfällig.

Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) nimmt für sich in Anspruch, seine besten Athleten intensiv zu betreuen. «Grundsätzlich findet ein regelmässiger Austausch zwischen Bundestrainern, Bundeskaderathleten und deren Heimtrainern statt», sagt eine DLV-Sprecherin. Sie berichtet von monatlichen Reports, in denen Leistungsstand, Krankheiten und Verletzungen erfasst würden. Aber die Sprecherin sagt auch: «Voraussetzung für einen funktionierenden Kommunikationsfluss ist die Bereitschaft zu Transparenz und Kommunikation.»

Ihre Auftritte und die Knochenmarkkrebs-Diagnose passen nicht zusammen

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fehlte es Samir Benfares an dieser Bereitschaft. Verantwortlich für den Austausch mit ihm wäre der DLV-Stützpunkttrainer Adi Zaar gewesen. Aus dessen Umfeld verlautet jedoch, er habe die Benfares-Schwestern in den vergangenen vier Jahren nie trainiert. Zum konkreten Fall äussern sich wegen des laufenden Dopingverfahrens weder er noch die DLV-Pressestelle.

Am 31. August 2023, unmittelbar nach ihrer angeblichen Krebsdiagnose, wurde Sara Benfares von der Sportstiftung Saar zu einer der Markenbotschafterinnen für Olympia 2024 ernannt. Sie strahlte in die Kameras, berichtete von ihrer grossen Vorfreude auf die «Spiele vor der saarländischen Haustüre» und sagte sogar: «Natürlich ist es mein grosser Traum, in Paris Gold zu gewinnen.»

An dieser Stelle geht die Geschichte nicht mehr auf: ein solcher Auftritt unmittelbar nach der schockierenden Feststellung, Knochenmarkkrebs zu haben und eine Chemotherapie starten zu müssen? Und der DLV, der über die Krankheit zu informieren gewesen wäre, unternahm nichts?

Auch die Instagram-Bilder, die Sara Benfares im weiteren Jahresverlauf veröffentlichte, gaben keinerlei Hinweis auf den angeblichen Krebs. Sie zeigen die Läuferin bei intensiven Trainings sowie am Rennen Course de l’Escalade in Genf, wo sie im Dezember in einem Weltklassefeld Sechste wurde. Einige Tage später berichtete Sara Benfares von einem langen Dauerlauf mit 800 Höhenmetern.

Am 23. Januar 2024, bevor der positive Dopingtest bekanntwurde, folgte auf Instagram ein scharf kontrastierender Beitrag. Eine Bilderserie zeigte Sara Benfares nun in Arztpraxen. Einmal humpelte sie auf Krücken. Sie schrieb dazu: «Das ist seit mehr als einem Jahr mein tägliches Leben gewesen.»

In weiteren Gesprächen mit dem Portal «Spe 15» bemühte sich Samir Benfares mit zunehmender Kreativität, die Widersprüche zu entkräften. Er datierte den Zeitpunkt der Krebsdiagnose nun auf September 2023. Die Trainingsbilder auf Instagram bezeichnete er als «Fake», man habe sie veröffentlicht, um einen Schuhsponsor zufriedenzustellen. Den starken Auftritt am Rennen in Genf, unmittelbar nach der angeblichen Chemotherapie, verdanke Sara Benfares nicht einer intensiven Vorbereitung, sondern ihrem «natürlichen Talent».

Eine erneute Wendung lässt jedoch sämtliche Erklärungsversuche in den Hintergrund rücken. Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass auch die jüngere Schwester Sofia Benfares, die im vergangenen Jahr an den U-20-Europameisterschaften über 3000 Meter Bronze gewann, unter Dopingverdacht steht. Sie wurde ebenfalls positiv auf EPO getestet.

Samir Benfares wollte eine Läuferinnendynastie gründen. Stattdessen befindet er sich nun inmitten eines Familiendramas.

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