Montag, Oktober 7

Sie sehen als Babys bereits aus wie Greise. Betroffene des Gendefekts Progerie sterben meist im Teenageralter. Der italienische Biologe Sammy Basso war der älteste Überlebende – und eine inspirierende Persönlichkeit.

Der Italiener Sammy Basso ist am Wochenende im Alter von 28 Jahren gestorben. Er ist damit fast doppelt so alt geworden, wie es die Ärzte im Jahr 1997 seinen Eltern prognostiziert hatten. Damals war Basso zwei Jahre alt. Sie sollten jeden Moment mit ihrem Sohn geniessen, rieten die Mediziner seinen Eltern. Denn dieser würde nicht mehr länger als dreizehn Jahre leben. Bei Sammy war Progerie festgestellt worden. Progerie ist eine sehr seltene genetische Störung, die auch als Hutchinson-Gilford-Syndrom (HGS) bekannt ist. Sie betrifft weltweit eins von acht Millionen Neugeborenen.

Die betroffenen Kinder altern wie im Zeitraffer. Schon früh zeigt sich Arterienverkalkung, sie sterben oft im Teenageralter an Schlaganfällen oder Herzinfarkten. Geistig sind die Betroffenen fit, eine Altersdemenz beispielsweise bleibt aus. Äusserlich ist die Krankheit aber nicht zu übersehen: Die Betroffenen hören früh auf zu wachsen, haben wenig Haare und eine Pergamenthaut, da sie kein Unterhautfettgewebe haben. Manche assoziieren das Aussehen mit einem Alien wie E. T.

Für Kinder und Touristen spielte er das Alien

Nicht jeder Mensch hat die Grösse, seine eigenen Gebrechen mit Humor und Selbstironie zu nehmen. Sammy Basso konnte das. Er machte sich einen Spass daraus, an Halloween Kindern Süssigkeiten zu verteilen und sich über ihre Verblüffung zu erfreuen. Ein anderes Mal setzte er sich mit einer verrückten Sonnenbrille auf eine Bank in der Nähe der Militärbasis Area 51 im amerikanischen Gliedstaat Nevada, die mit Ufos assoziiert wird. Vorbeikommende Touristen dachten, sie hätten Ausserirdische entdeckt, wie Sammy Basso bei Auftritten erzählte.

Sammy wurde 1995 in Schio in Norditalien geboren. Seine Eltern wollten ein möglichst normales Leben für ihren Sohn. Er ging zur Schule, fand Freunde. Seine Familie gründete 2005 die «Italienische Progerie-Vereinigung Sammy Basso» (Aiprosab). 4 Fälle gibt es heute in Italien, weltweit sind 130 Fälle registriert. Die Dunkelziffer dürfte aber deutlich höher liegen, da in Entwicklungsländern die Krankheit schwerer zu diagnostizieren sei, schätzt Aiprosab. In der Schweiz starb 1991 ein 13-jähriges Mädchen mit Progerie. Die Website Progeriaresearch listet zwei weitere Kinder mit der Krankheit auf, die seit dem Jahr 2000 in der Schweiz gestorben sind.

Die menschliche DNA lässt sich, vereinfacht gesagt, als ein komplizierter Code mit 3,2 Milliarden Buchstaben beschreiben. Die Mutation von einem einzigen dieser Buchstaben verursacht die Hutchinson-Gilford-Progerie. 2003 gelang es Forschern, die genetische Ursache für die Progeria infantilis zu finden. Seitdem hat die Forschung gewaltige Fortschritte gemacht.

Selbstmitleid war ihm fremd, er trieb die Forschung voran

Auch Sammy Basso hat dazu beigetragen, die Forschung voranzubringen. Zuerst, indem er an klinischen Studien teilnahm. An ihm wurde 2007 das erste heute zugelassene Medikament getestet, mit dem die Vergreisung der Patienten verlangsamt und so ihr Leben verlängert werden kann.

Später studierte Basso in Padua Molekularbiologie und beschäftigte sich in seinen Arbeiten mit Therapien, die den Verlauf der Krankheit verlangsamen. Er war Teil einer Forschergruppe, die an einer Therapie zur Genveränderung arbeitet.

Sammy wurde auch durch den Dokumentarfilm «Sammy’s Journey» bekannt, der von seiner Reise entlang der Route 66 in den Vereinigten Staaten erzählt. Mit seinen Eltern und einem seiner besten Freunde, Riccardo, bereiste er die Strecke von Chicago nach Los Angeles.

Seine Bekanntheit wiederum machte es ihm leichter, auf die Krankheit aufmerksam zu machen. Zusammen mit anderen Betroffenen warb er auf Fundraising-Veranstaltungen Gelder für die Forschung ein.

Sammy verschwieg nicht die schmerzvollen Aspekte, die die Krankheit mit sich brachte. Die körperlichen Einschränkungen, ihm fiel etwa das Laufen und Springen schwer. Auch das Wissen, dass er kürzer leben würde als seine Freunde, machte ihm zu schaffen. Aber die Einschränkungen und Selbstmitleid gewannen nie die Oberhand.

«Anstatt mich auf die Einschränkungen zu konzentrieren, die die Progerie mit sich bringt, denke ich lieber an die vielen Dinge, mit denen ich etwas bewirken kann», sagte Sammy Basso.

Auch wenn sich Sammy Basso und seine Umgebung bewusst waren, dass er jederzeit sterben könnte, kam die Nachricht von seinem Tod am Wochenende doch überraschend. Im Nachruf der auf medizinische Fragen spezialisierten Website «Statnews» heisst es, dass Basso gerade erst nach China gereist war, um Mitpatienten zu treffen. In seinen letzten 24 Stunden habe er mit seinem Forscherteam E-Mails ausgetauscht über das kommende Wochenende. Auch habe sich Sammy auf die Hochzeit eines Freundes gefreut. Es war dieses Fest, an dem er zusammenbrach. Im Nachruf heisst es: «In gewisser Weise war es ein passender letzter Akt für Basso, der diese geheimnisvolle Spannung verkörperte. Selbst in einer Welt voller unsagbaren Leids, so schien er immer wieder zu sagen, gibt es viel, worüber man sich freuen kann.»

Come trasformare la disabilità in forza produttiva! | Sammy Basso | TEDxLecce

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