Donnerstag, September 19

Glaubt man linken Journalisten, wird Donald Trump von Journalisten besser dargestellt, als er ist. Eine gewagte These.

Wer bislang den Ausdruck «Sanewashing» noch nicht kannte, erhielt am Tag nach der Präsidentschaftsdebatte von letzter Woche Anschauungsunterricht: Donald Trump habe Kamala Harris’ «knusprige Angriffe» mit «feuriger Rhetorik retourniert», erklärte die sonst eher linke «Washington Post». Harris beschied die «Post» die Qualität von Kartoffelchips, Trump dagegen stellte sie mit ihrem Rhetorik-Loblied beinahe in eine Reihe mit Rhetorikern wie Cicero und Cato.

Objektiv gesehen war Trumps Auftritt desaströs. Der Ex-Präsident verbreitete Dutzende Unwahrheiten, darunter eine Verschwörungstheorie, wonach illegale Einwanderer in Springfield, Ohio, die Haustiere von Einheimischen aufessen würden. Diesen Irrsinn versteckte die «Washington Post» tief im Lauftext. Sie betrieb damit, wie es neuerdings heisst, «Sanewashing»: Sie stellte Trump mental fitter dar, als er wohl ist.

«Bedrohung der Demokratie»

Der Begriff «Sanewashing» ist eine Anspielung auf «Greenwashing» (etwa Unternehmen, die sich grüner darstellen, als sie sind) und «Whitewashing» (Schönfärberei oder die Mode, weisse Schauspieler Rollen von People of Color spielen zu lassen). Verwendet wird er von Fachmedien wie der «Columbia Journalism Review» oder vom prominenten MSNBC-Moderator Lawrence O’Donnell.

Zurück geht er auf die Journalistin Parker Molloy. Sie stellte Anfang September im linken Magazin «The New Republic» folgende These auf: Arrivierte Medien von «New York Times» bis zum «Atlantic»-Magazin würden die wirrsten und kontroversesten Aussagen von Trump systematisch abschwächen oder verschweigen. Derweil seien Joe Bidens altersbedingte Fehltritte und Aussetzer genüsslich vorgeführt worden. Das «Sanewashing» von Trumps Aussagen, so Molloy, sei nicht nur «armseliger Journalismus», sondern eine Bedrohung der Demokratie.

Gewiss scheinen mitunter bizarre oder ehrverletzende Aussagen Trumps in der Medienberichterstattung schnell unterzugehen. Nicht selten verleihen Journalisten dem schwadronierenden Trump im Nachhinein argumentative Stringenz und Klarheit. Sie erschaffen damit, wie es Molloy ausdrückt, ein «aufpoliertes, alternatives Narrativ» von Trumps geistiger Befindlichkeit – «Sanewashing» eben.

Trotzdem ist fraglich, ob «Sanewashing» wirklich gängig ist, um Trump, dem medialen Klicks-Bringer, zuzuarbeiten. Medien berichten seit eh und je über abstruse Gedankengänge Trumps. Wie sonst wüssten wir etwa von Trumps Faszination für den Kannibalen Hannibal Lecter oder von seiner Wahnvorstellung über die gestohlene Wahl? Zudem lässt sich der Vorwurf des «Sanewashing» eins zu eins auf die schönfärberische Berichterstattung zu Joe Bidens Gesundheitszustand übertragen – bis dies sein kognitiver Einbruch in der Präsidentschaftsdebatte vom Juni verunmöglichte. Falls es eine mediale Doppelmoral gibt, profitierten davon bisher vor allem die Demokraten.

Ein Ablenkungsmanöver?

Trump sondert eine derartige Menge von bizarren, inkohärenten und falschen Voten ab, dass die Botschaft, er habe nicht mehr alle Tassen im Schrank, irgendwann Allgemeinwissen ist. Interessant ist, dass Parker Molloy das Thema «Sanewashing» in Sachen Trump bereits vor vier Jahren angeschnitten hat, auch damals im Wahlkampf. Aufgewärmt hat sie es, zusammen mit ihren medialen Epigonen, just zu einem Zeitpunkt, als Kamala Harris’ Umfragewerte sanken.

Der Verdacht liegt damit nahe, dass Molloy Medienkritik übte, um ihre Berufskollegen auf demokratische Parteilinie gegen Trump zu trimmen. Die Reaktionen auf Trumps Auftritt in der Debatte vom 10. September waren denn auch fast unisono negativ. Auch die «Washington Post» berichtete mit Ausnahme des eingangs zitierten Artikels wenig schmeichelhaft. Insofern könnten die Sanewashing-Vorwürfe ein Ablenkungsmanöver sein – in Hinsicht auf das journalistische Versagen der Medien im Fall Joe Bidens und die inhaltlichen Schwächen in Harris’ Wahlprogramm.

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