Mittwoch, Januar 15

Joe Biden verhängt erstmals Sanktionen gegen gewalttätige Siedler im Westjordanland. Es ist auch ein wahltaktisches Signal: Der Entscheid erfolgte an dem Tag, an dem der amerikanische Präsident einen wichtigen Swing State mit einer grossen arabischen Diaspora besuchte.

Bereits im Dezember kündigte das amerikanische Aussenministerium Einreisebeschränkungen für gewalttätige Siedler im Westjordanland an. Nun unterzeichnete Präsident Joe Biden am Donnerstag eine Verordnung, die finanzielle Sanktionen ermöglicht. Erstmals werden nun die Bankkonten von vier Israeli in den USA blockiert. Die betroffenen Personen sollen unter anderem palästinensische Dörfer und israelische Friedensaktivisten in dem besetzten Gebiet angegriffen haben.

Gemäss der Uno töteten israelische Siedler im Westjordanland seit Oktober mindestens 8 Palästinenser. Dabei wurden die Einwohner von mehr als 16 Dorfgemeinschaften vertrieben. Die nun verhängten Sanktionen seien eine direkte Antwort auf den «dramatischen Anstieg» der Gewalt jüdischer Siedler nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober, erklärte ein Sprecher des Weissen Hauses am Donnerstag. Die Attacken der Siedler hätten ein «unerträgliches Ausmass» erreicht und würden das aussenpolitische Ziel der USA einer Zweistaatenlösung untergraben, heisst es in der von Biden erlassenen Verordnung.

Michigan ist entscheidend für Wiederwahl

Der amerikanische Präsident soll das Problem in seinen regelmässigen Telefonaten mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu immer wieder angesprochen haben. Dessen Büro zeigte in einer Erklärung am Donnerstag wenig Verständnis für die Sanktionen: Bei der grossen Mehrheit der Siedler handle es sich um gesetzestreue Bürger, und die wenigen Ausnahmen würden strafrechtlich zur Verantwortung gezogen. «Es braucht in dieser Beziehung deshalb keine aussergewöhnlichen Massnahmen.»

Biden dürfte mit den Sanktionen aber nicht nur ein Signal an Netanyahu und die jüdischen Siedler, sondern vor allem auch an die eigenen Wähler senden wollen. Wohl nicht zufällig unterschrieb der Präsident die Verordnung an dem Tag, an dem er im Gliedstaat Michigan auf Wahlkampftour ging. In und um Detroit leben rund 300 000 Amerikaner mit arabischen Wurzeln. Sie wählten 2020 überwiegend Biden, der den Swing State gegen Donald Trump lediglich mit einem Vorsprung von 150 000 Stimmen gewann. Die arabischstämmigen Wähler in Michigan könnten daher mitentscheidend sein für die Wiederwahl des demokratischen Präsidenten im Herbst.

Im Gaza-Krieg solidarisieren sich die arabischen Amerikaner jedoch mehrheitlich mit den Palästinensern. Viele von ihnen sind enttäuscht darüber, dass Biden die Israeli nicht schon längst zu einem Waffenstillstand aufgefordert hat. Die Verbitterung scheint so gross zu sein, dass auch die nun verhängten Sanktionen gegen ein paar Siedler an dem Zerwürfnis wenig ändern dürften. Bidens Wahlkampfleiterin Julie Chavez Rodriguez reiste vergangene Woche nach Michigan, um das Gespräch mit Vertretern der arabischstämmigen Gemeinschaft zu suchen. Aber einige von ihnen wollten sich gar nicht erst mit ihr treffen. Abdullah Hammoud, der demokratische Bürgermeister der Stadt Dearborn, erklärte: «Ich führe keine Konversationen über Wahlen, solange wir einem von unserer Regierung unterstützten Genozid zuschauen.»

Der amerikanische Präsident traf sich am Donnerstag in Michigan deshalb nicht mit Vertretern der arabischstämmigen Gemeinschaft. Um missliebigen Demonstranten aus dem Weg zu gehen, hielten seine Mitarbeiter Bidens Reiseprogramm möglichst geheim, und sein Konvoi bewegte sich vor allem auf Nebenstrassen. Im Zentrum seiner Wahlkampfauftritte standen dabei Termine mit Gewerkschaftern der Autoindustrie. Biden hatte den erfolgreichen Streik der Arbeiterschaft im vergangenen Jahr unterstützt und hofft auch auf ihre Stimmen im Herbst. «Die Wall Street hat den Mittelstand nicht geschaffen. Die Arbeiter schufen den Mittelstand, und der Mittelstand erschuf das Land», so umgarnte der Präsident die Handwerker. Gaza erwähnte er mit keinem Wort.

Enttäuscht von «Genozid-Joe»

Ganz entkam Biden dem Zorn propalästinensischer Aktivisten jedoch nicht. Draussen vor dem Gewerkschaftsgebäude hielten Demonstranten unter anderem Plakate mit der Parole «Abandon Biden» (lasst Biden im Stich) hoch. Es ist der Slogan einer organisierten Kampagne in Michigan und in anderen Swing States. Auch bei einem Restaurantbesuch des Präsidenten skandierte eine Gruppe «Genozid-Joe» oder «Wie viele Kinder hast du heute getötet?», eine Zeile aus einem Protestsong gegen den Vietnam-Krieg.

Es wird schwierig werden für Biden, die arabischstämmigen Wähler in Michigan zurückzugewinnen. Vermutlich würde es dafür nicht nur einen baldigen Waffenstillstand, sondern auch eine ernsthafte Friedensinitiative im Nahostkonflikt brauchen. Offenbar gibt es dafür in der amerikanischen Regierung auch bereits Gedankenspiele. Gemäss dem gewöhnlich gut informierten Journalisten Barak Ravid soll das Aussenministerium derzeit etwa Optionen für die Anerkennung eines palästinensischen Staates prüfen.

Kann Biden die arabischstämmigen Wähler in Michigan nicht umstimmen, wird die Herausforderung für ihn noch grösser werden. Gemäss einer aktuellen Umfrage würde der Präsident die Wahl gegen Donald Trump in dem Gliedstaat mit 42 zu 47 Prozent der Stimmen verlieren. Gegen Nikki Haley drohte eine noch deutlichere Niederlage. Geht der wichtige Swing State für Biden verloren, ist seine Wiederwahl in ernster Gefahr.

Exit mobile version