Montag, September 30

SAP hat einen märchenhaften Aufschwung hingelegt und eine Bewertung auf US-Niveau erreicht. Vieles deutet darauf hin, dass sich der Erfolg fortsetzt. Die Börsenturbulenzen könnten gute Einstiegsmöglichkeiten bieten.

Es ist ein märchenhafter Aufschwung, den SAP dieses Jahr hingelegt hat. Nach der Quartalsveröffentlichung am 22. Juli sprang der Kurs der Aktien gut 6% auf den Rekordwert von 196.70 €. An einem einzigen Tag gewann SAP über 13 Mrd. € an Börsenwert, auf 240 Mrd. €. Die Anleger begeisterte vor allem das kräftige Wachstum des Cloud-Erlöses und eine leichte Anhebung der Gewinnprognose für 2025. Als die Börsen in den vergangenen Tagen weltweit ins Rutschen gerieten, hielten sich die SAP-Aktien deutlich besser als viele andere Tech-Werte.

SAP hängt die US-Software-Stars ab

Damit hat SAP aus Walldorf eine komplette Neubewertung erfahren: Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) auf Basis des geschätzten Gewinns der nächsten zwölf Monate von 35 notiert sie höher als viele US-Softwareunternehmen und übertrifft sogar Microsoft (KGV 30).

Tatsächlich liegt SAP aber nur knapp vor Microsoft: Die Walldorfer rechnen sich schlechter als die gesamte US-Softwarekonkurrenz, weil sie als einzige die aktienbasierte Vergütung voll in den Kosten berücksichtigen. «Das Kurs-Gewinn-Verhältnis sieht deshalb relativ zur US-Konkurrenz zu hoch aus», sagt Markus Golinski, Fondsmanager von Union Investment.

Noch vor einem Jahr notierte SAP beim KGV seines grössten US-Wettbewerbers Oracle von circa 21. Wie konnte SAP so schnell so weit davonziehen? Und haben die Aktien trotzdem noch Luft nach oben?

Erhebliche Verbesserungen auf der Produktseite

Der weltgrösste Anbieter von sogenannter Enterprise-Resource-Planning-Software (ERP-Software) hat sich auf der Produkt- und Innovationsseite erheblich verbessert. Das Umsteuern in die Cloud – von SAP-Chef Christian Klein im Herbst 2020 gegen grossen Widerstand lanciert – zahlt sich in Sprüngen von Umsatz, Marge und Cashflow aus. «SAP erntet jetzt, was sie gesät haben», konstatiert Fondsmanager Golinski. Zuerst hätten die Investoren die SAP-Story lange nicht geglaubt.

Finanzchef Dominik Asam, im März 2023 von Airbus abgeworben, trimmt die Finanzen so konsequent auf den Geschmack internationaler Investoren wie noch kein Finanzchef vor ihm. Seit Jahresbeginn steuert SAP nach der bei Cloud-Softwareunternehmen üblichen Rule of 40. Diese Finanzkennzahl addiert prozentuales Umsatzwachstum und Free-Cashflow-Marge. 2023 betrug sie 25, 2025 wolle SAP schon «auf halbem Weg» zum Zielwert 40 sein, sagte Asam im Juni auf der Kundenkonferenz Sapphire in Orlando.

Im Bericht für das zweite Quartal beeindruckte die Anleger, dass SAP trotz einer Aufstockung der Restrukturierungskosten um 800 Mio. auf 3 Mrd. € seine Free-Cashflow-Prognosen für 2024 (3,5 Mrd. €) und 2025 (8 Mrd. €) beibehielt. Zudem hob SAP das Ziel für den bereinigten Betriebsgewinn 2025 um 200 Mio. auf 10,2 Mrd. € an. Das ist eine Entwicklung zu früher, als SAP die eigenen Vorhersagen öfters nicht ganz erfüllen konnte.

SAP kommt langsam, aber gewaltig

Der Bewertungsschub auf US-Tech-Niveau überrascht. Deutschlands Vorzeige-Tech-Konzern war – trotz seiner unangefochtenen Pole Position bei Software für Buchhaltung & Co. – nie ein hipper Tech-Wert, sondern immer ein wenig deutsch: behäbiger und komplizierter als andere. Noch im Jahr 2023 hing SAP mit einem Umsatzwachstum von 6% deutlich hinter Konkurrenten wie Oracle (+10%), Salesforce (+11%) und dem gesamten ERP-Markt (+8%) hinterher.

Dieses Bild hat sich ins Gegenteil verkehrt. Während das Wachstum bei Oracle und Salesforce zuletzt abflaute, legt SAP zu. Die US-Konkurrenten haben wesentlich mehr Geschäft in der Cloud als SAP und litten zuletzt darunter, dass sich Kunden – verunsichert durch das Thema künstliche Intelligenz – zuletzt bei Investitionen in neue Software zurückhielten.

Der Umsatz von SAP im zweiten Quartal kletterte 10% auf 8,3 Mrd. €, das erste zweistellige Wachstum seit Anfang 2019. Getrieben wurde dies vom um 25% auf 4,2 Mrd. € gestiegenen Cloud-Erlös.

Dabei legte die Cloud ERP Suite, die Software und Plattformen auf Mietbasis (as a Service) rund um das Hauptprodukt S/4 Hana integriert, sogar um ein Drittel auf 3,4 Mrd. € zu. Dies war das zehnte Quartal in Folge mit mehr als 30% Wachstum. Der gesamte Markt expandiert stark, laut SAP-Chef Klein in den «niedrigen Zwanzigern», da Unternehmen die Software für ihre Geschäftsprozesse zunehmend von ihren eigenen Servern (on premise) in die Cloud auslagern. Künstliche Intelligenz habe bei jedem Auftrag eine Schlüsselrolle gespielt, so Klein: «Fast 20% aller Deals im zweiten Quartal beinhalteten konkrete KI-Anwendungen.»

Der sogenannte Current Cloud Backlog, der bereits vereinbarte Cloud-Umsatz der nächsten zwölf Monate, sprang im zweiten Quartal 28% auf 14,8 Mrd. €. «Das zeigt einen starken Produktzyklus und hohe Stabilität», attestiert Union-Fondsmanager Golinski. Der gesamte Auftragsbestand für Software in der Cloud umfasste Ende 2023 44 Mrd. € und übertraf damit den letztjährigen Konzernumsatz (31,2 Mrd.), die Verträge laufen im Durchschnitt etwas mehr als drei Jahre.

SAP bestätigte die Ziele, wonach der Cloud-Erlös 2025 auf mehr als 21,5 Mrd. € steigen soll, bei einem angestrebten Konzernumsatz von 37,5 Mrd. €. «Wir mögen, dass SAP hohe Visibilität bezüglich der Zahlen für die nächsten 12 bis 24 Monate hat und deutlich weniger als viele andere Tech-Werte von der Makroökonomie abhängt», sagt Golinski. Union Investment hält 0,8% an SAP.

Umstieg auf die Cloud beschleunigt das Unternehmenswachstum

Risiko: Was machen die Bestandskunden?

Das von Klein lancierte Verkaufsprogramm «Rise with SAP» gilt als grosser Erfolg, vor allem bei der Neukundenakquise. Dabei aktualisiert SAP die Software bei den Kunden laufend, diese müssen nicht mehr handeln. Allerdings sind die meisten der etwa 6000 Rise-Kunden neue Kunden. Bestehende Kunden, die einst Lizenzen gekauft haben und ihre Software von SAP warten lassen, ziehen nur zögerlich in die Cloud um. Über zwei Drittel von ihnen arbeiten mit der alten On-Premise-Architektur. So schrumpfte der Wartungsumsatz im zweiten Quartal nur leicht auf 2,8 Mrd. €, während der Verkauf neuer Lizenzen 28% auf mickrige 0,2 Mrd. € fiel.

Dass SAP beim Weg in die Cloud der US-Konkurrenz hinterherläuft, liegt auch am Geschäftsschwerpunkt in Deutschland. Viele grosse Konzerne hierzulande – SAP ist Quasimonopolist – bremsen, da die Umstellungsprojekte hochkomplex sind und sich über Jahre hinziehen. In anderen Ländern Europas und in den USA sind die Unternehmen erheblich weiter.

Langfristig hängt der Erfolg allerdings davon ab, ob die Bestandskunden dem Unternehmen auch mit dem Umstieg auf die Cloud treu bleiben. Holger Müller von der US-Tech-Beratungsfirma Constellation Research sieht ein erhebliches Risiko. «Derzeit liefern die Cloud-Versionen von S/4 Hana noch keinen unumstrittenen Mehrwert, um On-premise-Kunden in die SAP Cloud zu bringen. Wenn Kunden neu implementieren müssen, können Oracle oder Workday einhaken. Dann fehlt SAP Umsatz bei der Konvertierung von alt auf neu.»

Bei Oracle habe es zehn Jahre gedauert, bis der Konzern den Bestandskunden in der Cloud die gleichen Funktionen anbieten konnte. «SAP hat S/4 Hana 2014 und damit zehn Jahre später gestartet, ist also hier zehn Jahre hinterher.» In zehn Jahren werden alle ERP-Anbieter in der Cloud sein, glaubt Müller.

Das Problem scheint angegangen worden zu sein. Ende Juli trennte sich SAP vom Geschäftsleitungsmitglied Scott Russell – offenbar, um im Vertrieb umzusteuern und Bestandskunden bei der Einführung von Cloud-Lösungen besser zu unterstützen. Seit Klein 2020 zum Chef aufstieg, hat SAP die von seinem Vorgänger Bill McDermott zusammengekauften Cloud-Unternehmen wie Success Factors (Personalwesen) oder Ariba (Beschaffung) nahtlos mit S/4 Hana zusammengeführt. «Klein hat in den vergangenen drei Jahren bei der Integration der verschiedenen Lösungen mehr geschafft als McDermott in zehn Jahren», lobt Constellation-Analyst Müller.

SAP will Nummer eins bei Unternehmens-KI werden

Nach längerem Zögern blies Klein Anfang 2024 auch beim Thema künstliche Intelligenz zum Aufbruch: KI müsse fortan Teil jeder SAP-Lösung sein. «Wir wollen die Nummer eins im Bereich Unternehmenssoftware und in der Unternehmens-KI werden», proklamiert der CEO. In Verbindung mit Softwarelösungen dürfte sich KI allerdings kaum monetarisieren lassen, die meisten Anbieter von Software as a Service (SaaS) wie Oracle geben KI-Werkzeuge umsonst mit. «Ich nehme SAP gegenwärtig nicht als KI-Player wahr», sagt Joachim Hackmann vom Analystenhaus PAC.

Die Börse honoriert, dass SAP seit März KI auch auf seiner Business Technology Platform (BTP) anbietet. Diese Plattform, die sämtliche Softwarelösungen integriert und den Kunden zudem eine Entwicklungsumgebung anbietet, wird nur als «as a Service» angeboten und pro Transaktion abgerechnet. Allerdings könnten die Erwartungen an sie überzogen sein. «Dass KI für SAP-Kunden 2024 zu grossen Sprüngen im Geschäft verhilft, ist reine Fantasie», so Müller. Der Run der Kunden auf die BTP hält sich bisher in Grenzen. Solche Plattformen bieten die Hyperscaler Amazon, Microsoft und Google günstiger an.

Immerhin profitiert SAP von der Unsicherheit der Kunden mit Blick auf die bevorstehende KI-Welle. Um sich darauf vorzubereiten, sind viele eher bereit, ihre S/4-Hana-Applikationen in die Cloud umzuziehen, wo Neuerungen kontinuierlich aufgespielt werden können. Ein riesiges Potenzial, das «auf absehbare Zeit nicht abgearbeitet sein wird», glaubt Hackmann. Der S/4-Hana-Sonderboom werde nur mit der Zeit abflachen. «Für die nächsten drei bis vier Jahre ist SAP sehr gut aufgestellt», so Hackmann.

Dem Finanzchef kommt eine wichtige Rolle zu

Eine wichtige Rolle kommt Finanzchef Asam zu: Der Maschinenbauingenieur beherrscht den Kapitalmarkt aus dem Effeff, ist sehr technikaffin und muss – anders als sein Vorgänger Luka Mucic, ein SAP-Urgestein – keine Rücksicht auf alte Verbindungen nehmen. Der 55-Jährige hat seine Laufbahn bei Goldman Sachs begonnen und vor seinem Wechsel zu SAP zwölf Jahre Erfahrung als CFO gesammelt, beim Münchner Chipkonzern Infineon und dem Flugzeugbauer Airbus.

Marge und Cashflow will Asam steigern, indem die Kosten künftig langsamer wachsen als der Umsatz – was Konkurrenten längst schaffen. Besonders attraktive Abfindungsprogramme führen dazu, dass der Konzern bis 2025 sogar 1000 bis 2000 Stellen mehr abbaut als die ursprünglich geplanten 8000. SAP-intern soll KI für einen Effizienzgewinn in dreistelliger Millionenhöhe sorgen. SAP versichert, anstelle der ausscheidenden Mitarbeiter neue Kräfte mit besser passenden Kompetenzprofilen einzustellen.

Zudem hat Asam die gesamte Finanzkommunikation auf US-Investoren ausgerichtet; seine Zahlen publiziert SAP nun nach US-Börsenschluss. Im März kündigte der Finanzchef in der «Börsen-Zeitung» an, «überproportional viel Zeit mit amerikanischen Investoren» zu verbringen. Die tiefsten Taschen für Investitionen in den Softwarebereich befänden sich in den USA. Die Anstrengungen tragen erste Früchte, sagte ein Sprecher zu The Market. Man habe die Investorenbasis in den USA bereits ausweiten können. SAP hängt gegenüber anderen deutschen Blue Chips trotzdem weiter deutlich zurück: Laut Bloomberg werden nur 38% der Aktien von US-Investoren gehalten. Bei Siemens sind es 49%, bei der Deutschen Bank 53%.

Fazit: Die Bewertung von SAP ist ambitioniert, vor allem gegenüber dem historischen Durchschnitt. Allerdings hat die Aufholjagd erst begonnen, das kräftige Wachstum von Umsatz und Cashflow scheint noch auf Jahre gesichert. Im Vergleich zu anderen Tech-Titeln ist SAP insofern ein defensiver Wert. Die Aktien bleiben gerade mit Blick auf mögliche weitere Börsenturbulenzen attraktiv.

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