Mittwoch, November 20

Erstmals spricht Philip Nitschke über die Sarco-Premiere. Das Verfahren wegen vorsätzlicher Tötung hält er für absurd – und sagt, was er als Nächstes plant.

Herr Nitschke, am 23. September starb zum ersten Mal eine Frau in Ihrer Suizidkapsel Sarco. Verspürten Sie dabei ein Gefühl des Triumphs?

Nein, eher ein Gefühl der Erleichterung, dass der Sarco, in den wir so viel Arbeit investiert hatten, funktionierte wie geplant. So, wie wir es auf einer wissenschaftlichen Basis vorausgesehen hatten. Ich war vor allem froh, dass die Frau den friedlichen Tod haben konnte, den sie sich gewünscht hatte. Es gab ja Diskussionen, ob ein Erstickungstod mit Stickstoff wirklich so friedlich und schnell ist. Auch wegen der Erfahrungen mit der Exekution in Alabama.

Im Januar wurde dort erstmals ein Mörder mit Stickstoff hingerichtet. Bevor er starb, zuckte er stark und schnappte nach Luft.

Ich reiste vor der Exekution extra in die USA und versuchte die Behörden davon zu überzeugen, das Ganze zu stoppen. Leider erfolglos. Es ist etwas ganz anderes, ob sich jemand freiwillig in den Sarco legt oder ob ein Verurteilter sich gegen die Hinrichtung wehrt. Denn dabei ist die Stickstoffmaske verrutscht, mit all den schrecklichen Konsequenzen.

Wer war die Amerikanerin, die im Sarco starb? Was waren ihre Motive?

Sie war eine der Personen, die uns kontaktierten, nachdem wir unsere Pläne mit dem Sarco in der Schweiz öffentlich gemacht hatten. Ich war bei der Wahl dieser Frau als erste Sarco-Nutzerin nicht involviert, habe mir aber ihre Gesundheitsakten angeschaut. Sie hatte so viele medizinische Probleme. Ich hatte vollstes Verständnis für ihre rationale Entscheidung, dem Leiden ein Ende zu setzen. Mehr möchte ich zu ihr nicht sagen.

Sind Sie nun so zurückhaltend mit Informationen, weil Ihnen vorgeworfen wurde, Sie würden einen Medienzirkus veranstalten und die Sarco-Nutzer vorführen, sie instrumentalisieren?

Nein, aber ihre Person und ihre Motive sind durch all das Unglaubliche, das nach ihrem Tod passiert ist, etwas in den Hintergrund gerückt.

Sie sprechen das Verfahren gegen Ihren Mitstreiter Florian Willet an. Wieso waren Sie während der Sarco-Premiere nicht selbst in jenem Schaffhauser Waldstück?

Ich habe den Sarco vor Ort installiert und ihn mehrere Tage lang getestet. Doch am 23. September konnte ich nicht vor Ort sein. Ich musste in Budapest einen Vortrag halten und deshalb rechtzeitig zurück in Amsterdam sein. Aber ich habe natürlich alles aus der Ferne mitverfolgt. Florian wusste, was zu tun ist. Es brauchte mich dort nicht.

Ging es nicht vor allem darum, sich den Schweizer Behörden zu entziehen?

Wir haben uns vor dem 23. September natürlich intensiv mit unseren Anwälten ausgetauscht. Ihr Rat war, dass nicht gleich mehrere Personen unserer Organisation vor Ort präsent sein sollten. Es war aus juristischer Sicht sinnvoll, dass Florian die Rolle übernahm, auch weil er in der Schweiz wohnt, Jurist und Geschäftsführer von unserem Schweizer Ableger The Last Resort ist.

Willet sitzt seit mehr als sieben Wochen in Untersuchungshaft. Hat Sie überrascht, wie rigoros die Schaffhauser Justiz gegen Ihre Organisation vorgeht?

Zu sagen, ich sei überrascht, wäre eine völlige Untertreibung. Ich bin perplex und zutiefst beunruhigt über das, was hier passiert. Wir wussten, dass es eine Untersuchung geben würde, das ist so üblich. Aber wir waren und sind überzeugt, dass alles, was wir tun, in völligem Einklang mit den Schweizer Gesetzen ist, deshalb sahen wir dem gelassen entgegen. Als dann aber Gerüchte aufkamen, dass die Schaffhauser Staatsanwaltschaft wegen Verdachts auf vorsätzliche Tötung ermittle, war ich entsetzt.

Am Hals der Amerikanerin sollen Würgespuren gefunden worden sein.

Absurd! Das soll sich angeblich aus einer Telefonnotiz zum Zeitpunkt der Autopsie ergeben. Ein Autopsiebericht liegt jedoch bis heute nicht vor. Ich kann nicht verstehen, weshalb ein solcher Bericht nach über fünfzig Tagen noch nicht vorliegen soll. Und dies, während Florian in Haft sitzt. Zudem hat die Staatsanwaltschaft offenbar Dokumente, laut denen im Halsbereich der Verstorbenen keine DNA von Florian gefunden wurde.

Was ist denn in jenen Minuten passiert, die Sie aus der Ferne verfolgt haben?

Ich konnte alles live sehen, durch die Kameras, die wir innerhalb und ausserhalb des Sarcos installiert hatten. Ich hörte die Gespräche zwischen Florian und der Frau. Auch den Sauerstoffgehalt in der Kapsel habe ich überwacht. Alles geschah genau so, wie wir es vorausgesehen hatten. Die Frau stieg allein in den Sarco, schloss den Deckel ohne Hilfe und drückte selbständig den Knopf, der den Stickstoff freisetzte. Sie verlor das Bewusstsein und starb nach etwa sechs Minuten.

Es gibt Gerüchte, dass der Sarco nicht wie geplant funktioniert habe. Da ist es nur ein kleiner Schritt zur Mutmassung, dass Willet beim Tod der Frau nachgeholfen haben könnte.

Ich weiss nicht, wer solche Gerüchte in Umlauf bringt. Für ein solches Szenario gibt es nicht den kleinsten Hinweis. Von dem Zeitpunkt, als die Frau in den Sarco gestiegen ist, bis zum Eintreffen der Polizei hat niemand den Deckel geöffnet. Wir haben alles dokumentiert, auch den Sauerstoffgehalt in der Kapsel, der stets auf tödlichem Niveau war.

Die Staatsanwaltschaft wirft Ihnen offenbar vor, dass Sie nicht kooperieren würden.

Das stimmt nicht. Ich und meine Frau wollten von Anfang an in die Schweiz kommen, um eine Aussage zu machen. Die Staatsanwaltschaft lehnte dies ab.

Dafür wurde Ihr Büro in Harlem durchsucht.

Ja, die niederländische Polizei kam vorbei, wohl im Auftrag der Schweizer Behörden. Ich bekam nicht einmal eine Liste der Dinge, die sie mitgenommen haben – darunter ein Modell des Sarco.

Ein zweiter Vorwurf, der im Raum steht, ist, dass Sie den Suizid per Sarco aus selbstsüchtigen Motiven anböten – etwa um sich zu bereichern.

Ich bin ein Aktivist und will, dass die Welt ein besserer Ort wird. Das ist es, was ich seit dreissig Jahren mache. Es geht nicht darum, mit dem Sarco Gewinn zu machen, und es gibt kein Geschäftsmodell dahinter. Wir haben zum Glück genug Geld – auch, um den Sarco weiterzuentwickeln.

Wie viel hat die Entwicklung und Produktion des Sarco bis jetzt gekostet?

Fast eine Million Dollar. Es steckt viel technische Innovation in der Kapsel, wir haben fast zehn Jahre an ihr gearbeitet. Und dabei gab es auch einige Rückschläge.

Woher kommt all dieses Geld?

Von Spenden. Es gibt viele Leute, die sehen, welch ein Fortschritt der Sarco ist. Er macht die Sterbehilfe so viel einfacher.

Wird die Benutzung des Sarco immer gratis bleiben, abgesehen von den paar Franken für den Stickstoff?

Ja. Da geht es auch um eine ethische Frage. Wir sind überzeugt, dass man für einen assistierten Tod kein Geld verlangen darf. Vor allem wenn man sieht, dass es für sterbewillige Ausländer ohnehin schon sehr teuer ist, in die Schweiz zu reisen.

Damit fordern Sie die Schweizer Sterbehilfeorganisationen heraus, deren Geschäftsmodell es ist, von Ausländern rund 10 000 Franken für ihre Dienstleistungen zu verlangen. Haben Sie darum diesen Organisationen vorgeworfen, dass sie gegen Sie intrigieren würden?

Ich bin sehr enttäuscht darüber, wie wenig offen Sterbehilfeorganisationen für neue Technologien sind – nicht nur in der Schweiz. Ich habe nur alberne Argumente gegen den Sarco gehört. Etwa, dass niemand abgekapselt von der Welt sterben wolle. Das stimmt einfach nicht, sonst hätten sich nicht Hunderte von Interessenten bei uns gemeldet. Es ist doch ein Gewinn, wenn es Wahlfreiheit im assistierten Suizid gibt.

Wer mit hiesigen Sterbehilfeaktivisten spricht, hört noch einen anderen Vorwurf an Ihre Adresse: dass Sie Mittel zum Suizid allen Menschen leicht zugänglich machen wollen – also auch jungen, depressiven Menschen, die aus dem Affekt heraus handeln. Ist das Ihr Ziel?

Wer so etwas behauptet, hat eindeutig unsere Motive und Ambitionen missverstanden. Wir halten uns an die Schweizer Gesetze – und die schreiben zu Recht vor, dass jemand, der Sterbehilfe in Anspruch nehmen will, urteilsfähig sein muss. Ein 18-Jähriger, der Liebeskummer hat, ist natürlich kein Sarco-Kandidat. Wie auf der Website von The Last Resort ausgewiesen wird, kommen für den Sarco grundsätzlich erst Personen ab 50 Jahren infrage.

Der Vorwurf kommt auch daher, dass Sie das Buch «The Peaceful Pill» veröffentlicht haben – und darin detailliert verschiedene Suizidmethoden beschreiben.

Ich habe das Buch für die Mitglieder unserer Organisation Exit International verfasst. Die sind im Schnitt 75 Jahre alt. Es gibt unter den älteren Menschen ein grosses Bedürfnis nach Information zur Sterbehilfe, und sie haben jedes Recht, diese Information zu bekommen. Viele unserer Mitglieder haben eine tödliche Dosis Pentobarbital im Schrank und wissen dank dem Buch, wie sie es anwenden können. Das verleiht ihnen eine grosse Gelassenheit. Dass junge Menschen die Informationen missbrauchen könnten, um sich umzubringen, war nie meine Absicht. Wer mein Buch kaufen will, muss deshalb mittels Video und ID beweisen, dass er oder sie mindestens 50 Jahre alt ist.

Eines Ihrer Hauptargumente für den Sarco ist, dass dadurch die Ärzte als Instanz ausgeschaltet werden, die das Pentobarbital verschreiben müssen. Warum ist Ihnen das so wichtig?

Das Schweizer Modell ist so viel besser als die Regelungen in den meisten Ländern dieser Welt. Seit Jahren wiederhole ich das, wenn ich um die Welt reise und vor parlamentarischen Kommissionen spreche. Ich sage ihnen: Nehmt euch ein Vorbild an der Schweiz.

Aber?

Das Problem ist, dass auch in der Schweiz jemand darüber urteilt, ob eine andere Person genug leidet, um sterben zu dürfen. Diese Richterrolle übernehmen die Ärzte. Das ist eine Zumutung. Denn Ärzte sehen die Sterbehilfe oft überkritisch. Nein, die Entscheidung muss bei der betroffenen Person liegen, nicht bei irgendeinem Gatekeeper. Der Sarco ermöglicht das.

Die Schweizer Sterbehilfeorganisationen sagen, es sei kein grosses Problem, an das tödliche Pentobarbital heranzukommen.

Laut den heutigen Regeln der Schweizer Ärztevereinigung sollen nur jene Sterbehilfe bekommen, die so krank sind, dass sie «unerträglich leiden». Vor einigen Jahren wollte der bekannte australische Botaniker David Goodall in der Schweiz sterben. Der Mann war 104 Jahre alt und einfach lebensmüde. Er hätte so tun müssen, als sei er krank. Aber er weigerte sich verständlicherweise. Es war für ihn nicht so einfach, einen Arzt zu finden, der ihm trotzdem half.

Haben Sie kein Verständnis für die Befürchtungen, dass der Sarco den «Sterbetourismus» in der Schweiz noch weiter ankurbeln würde?

Ich denke nicht, dass sich an der Situation viel ändern würde. Es kommen ja bereits heute viele Leute in die Schweiz, die dankbar sind für die fortschrittlichen Regeln. Darauf solltet ihr Schweizer stolz sein! Schauen Sie etwa nach Grossbritannien, ich verfolge die dortige Debatte sehr genau. Es soll ein neues Sterbehilfegesetz geben. Es wird so restriktiv ausgestaltet sein, dass sich weiterhin viele Briten gezwungen sehen werden, in die Schweiz zu reisen, um zu sterben.

Aber genau diese liberalen Regeln könnten nun wegen des ganzen Wirbels um Sarco in Gefahr geraten – weil sich manche Politiker veranlasst sehen, die Sterbehilfe stärker zu regulieren.

Das Argument beeindruckt mich nicht sonderlich. So könnte man sich gegen jede Innovation wenden: Wieso sollten wir etwas ändern? Wir haben es uns doch bequem eingerichtet. Doch die heutige Lösung ist eben nicht ideal für die Menschen, die Hilfe beim Sterben suchen. Deshalb braucht es den Sarco. Es scheint, als hätte die Schweiz plötzlich Angst bekommen vor ihrer liberalen Gesetzgebung und ihrer weltweiten Pionierrolle.

Haben Sie unterschätzt, wie kritisch auch die Schweizer Politik Ihre Kapsel sieht? Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider sagte, ihr Einsatz sei nicht rechtskonform – ziemlich genau in dem Moment, in dem Sie den Sarco zum ersten Mal einsetzten.

Ich habe keine Ahnung, wie Frau Baume-Schneider zu so einer Einschätzung kommt. Sie widerspricht allen Einschätzungen von Schweizer Juristen, die wir eingeholt haben. Und auch von Professoren, die sich nach der Sarco-Premiere zu Wort gemeldet haben. Es war von uns natürlich nicht geplant, dass der Ersteinsatz genau zu dem Zeitpunkt stattfand, in dem sich die zuständige Ministerin zum Sarco äusserte. Das war ein unglücklicher Zufall.

Für Aufsehen haben auch die schweren Vorwürfe gesorgt, die Jennifer McLaughlin gegen Sie erhoben hat. Die Frau, die als Erste im Sarco hätte sterben sollen, nannte Sie und Ihre Mitstreiter «herzlose Menschen» und sagte, es gehe Ihnen nur darum, öffentliche Aufmerksamkeit zu generieren. Wie kam es zu diesem Bruch?

Es war ein Fehler, dass wir zuerst sie aussuchten, ich wünschte, wir hätten das früher gemerkt. Sie hatte ernsthafte psychische Probleme, ich selbst habe entsprechende Episoden von ihr erlebt. Ihre Vorwürfe weise ich entschieden zurück, sie sind nachweislich unwahr. Deshalb hat ja auch Ihre Zeitung diese Vorwürfe zumindest teilweise berichtigt.

Bevor McLaughlin dann bei einer Schweizer Sterbehilfeorganisation starb, hielt ein Psychiater in einem Gutachten fest, sie sei klaren Verstandes. Werfen Sie ihm vor, gepfuscht zu haben?

Nein. Aber anders als ich hatte er nicht die Gelegenheit, Jennifer über einen längeren Zeitraum zu begleiten. Ich war lange genug Mediziner, um zu wissen, dass eine Beurteilung des Geisteszustandes auch von der Tagesform des Patienten abhängt.

Implizit sagen Sie, die Schweizer Organisation habe gegen die Regeln verstossen, indem sie einer psychisch kranken Frau zum Suizid verhalf. Das ist ein heftiger Vorwurf.

Die können machen, was sie wollen, es geht mich nichts an. Ich bin einfach froh, dass die Frau nicht im Sarco gestorben ist.

Jetzt stellt sich die Frage, ob und wann der Sarco wieder benutzt wird. Werden Sie abwarten, bis das Verfahren gegen Florian Willet beendet ist?

Ja, auf jeden Fall. Wir wollen eine klare Entscheidung der Justiz, bevor wir Sarco Nummer zwei, der derzeit produziert wird, in die Schweiz bringen. Der Sarco Nummer eins mit seiner ganzen innovativen Software ist ja immer noch beschlagnahmt. Die Untersuchungen können nur ein Resultat haben: dass der Sarco gegen kein einziges Schweizer Gesetz verstösst.

Das juristische Verfahren kann noch Monate oder sogar Jahre dauern. Schauen Sie sich nach Alternativen zur Schweiz um?

Ich hoffe, es wird schnell gehen. Es gibt aber andere Orte, wo wir den Sarco hinbringen könnten. Zum Beispiel nach Finnland, wo es laut unseren Anwälten kein spezifisches Gesetz gibt, das assistierten Suizid verbietet. Eine Möglichkeit bleibt auch, dass Sterbewillige den Sarco selbst in einem 3-D-Drucker herstellen, hineinsteigen und den Knopf drücken. Kein Land der Welt kann es einem verbieten, Suizid zu begehen.

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