Sie kamen aus dem Nichts und standen plötzlich auf Barack Obamas Playlist: Das Debütalbum trug Wet Leg eine Flut von Lob und Auszeichnungen ein. Aber erst mit ihrem zweiten Werk haben sie ihren Stil richtig gefunden.

Rhian Teasdale sitzt in ihrem lokalen Pub in Westlondon. Auf ihren Zähnen kleben glitzerige «Diamanten», auf die Wangen hat sie sich eine Schar Sommersprossen gepinselt, die Haare schillern rosarot, und die Hotpants sind die gleichen, die sie auf der Bühne trägt. Ihre Erscheinung lässt keinen Zweifel offen: Die 32-jährige singende Songschreiberin hat ihren inneren Pop-Star befreit. Dabei ist sie die Ruhe in Person.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Die Karriere der Band Wet Leg ist ein famoses Beispiel dafür, dass es möglich ist, abseits von Plattenmultis, erfolgserprobten Hitproduzenten und achtstelligen PR-Budgets eine ungeahnte Erfolgsgeschichte hinzulegen. Vor vier Jahren erschienen Rhian Teasdale und Hester Chambers mit dem amüsanten Video (die viktorianischen Gewänder, die schrägen Tänzchen), das ihre Debüt-Single «Chaise Longue» begleitete, auf Youtube. Das Originelle an dem Song war nebst dem knackigen Refrain («All day long on the chaise longue») vor allem der von Teasdale so herrlich sardonisch vorgetragene Text: «Is your mother worried? Would you like to assign someone to worry your mother?» Bald ergatterte die Single eine atemberaubende Zahl von Streams.

Wet Leg - Chaise Longue (Official Video)

Das gelang nicht einmal Oasis

Derweil der Witz von «Chaise Longue» willkommenen Raritätswert hatte, droht solch amüsanten Hits gern ein bekanntes Schicksal: Ein paar Wochen lang werden sie heiss geliebt, dann sind sie nur noch nervtötend. Nicht so «Chaise Longue». Die Single wurde zum Dauerbrenner. Ein Jahr später erschien das Debütalbum, und es zeigte sich, dass Wet Leg kein One-Hit-Wonder ist: Das gesammelte Repertoire war stark. Sie schafften damit ausserdem, was bisher nicht einmal der britischen Band Oasis gelungen war: Das Duo von der Isle of Wight heimste nicht nur in der englischen Heimat allerhand Auszeichnungen ein, sondern es knackte auch das Publikum in den USA, wo es zwei Grammys erntete. Dies als eine Indie-Band von einem Flecken im Ärmelkanal, wo Paul McCartney sich gemäss «When I’m Sixty-Four» eine Strandhütte mieten wollte.

Ein unerwarteter Erfolg in ähnlichem Ausmass führt gern zum berühmt-berüchtigten «Second Album Syndrome», sprich: Nachdem man all die Einfälle von zehn Jahren erfolglosen Musizierens in den Erstling gesteckt hat, fehlen für den zweiten Wurf Einfälle und Schwung. Sie hätten es sich tatsächlich kurz überlegt, sich ein solches Syndrom zuzulegen, sagt Teasdale, aber dann sei leider doch nichts draus geworden. «Wie haben wir es geschafft, bei dem Rummel nicht durchzudrehen?», stellt sie sich selber die Frage: «Nun, wir hatten sehr viel Glück.» Tolles Management, tolle Crew und natürlich das Verständnis der Band unter sich.

Das sei das Wichtigste: «Dass man in einem neuen, verlässlichen ‹support network› eingebettet sei, sobald man unterwegs ist und sich nicht auf das von zu Hause stützen kann.» Der feistere Sound von «Moisturizer» sei vor allem darauf zurückzuführen, dass aus den drei Freunden, die Teasdale und Chambers um Hilfe baten, als die ersten Konzertanfragen eintrafen, inzwischen offizielle Bandmitglieder geworden sind. Zu fünft zog man sich schliesslich zum Schreiben neuer Songs in ein Airbnb im Küstenstädtchen Southwold zurück. Mehr Mitglieder führten aber nicht zu mehr Diskussionen: «Das ist ja das Schöne am Musikmachen – man muss nichts diskutieren! Wenn jeder voll bei der Sache ist, ist jeder voll bei der Sache.»

Sie und Chambers hätten Wet Leg mit einer einzigen Ambition formiert: um so richtig laut Gitarre zu spielen und zu rocken. «Auf der Isle of Wight gibt es jedes Jahr zwei tolle Festivals. Da sind wir immer gern hin. Und an solchen Festivals wollten wir auftreten! Beim ersten Album hatten wir keine Ahnung, wie so etwas in der Praxis aussieht, Tourneen, Festivals und so. Jetzt wissen wir es. Jetzt verstehen wir, wie wir unsere ursprünglichen Ambitionen erfüllen können.»

Eine Band, so als Witz

Von dem Moment an, wo Teasdale erkannt habe, dass sie entgegen allen früheren Gewohnheiten nicht heterosexuell sei, sei es ihr leichtgefallen, Liebeslieder zu schreiben, sagt Teasdale. Und natürlich sind Liebeslieder à la Wet Leg kein bisschen weniger listig als die anderen Songs, wo es zum Beispiel darum geht, jemanden loszuwerden, der eine Gruppe von Frauen belästigt («Catch These Fists»), oder die Entstehung der Band zu schildern («U and Me at Home»), wo es heisst: «Maybe we could start a band / as some kinda joke.» Eine Band gründen, so als Witz.

Wiederum produziert von Dan «Speedy Wunderland» Carey strotzt «Moisturizer» nur so von Lebenslust und Melodien, die im Ohr klebenbleiben. Der Sound ist lauter und rockiger geworden – dazu ist das Spektrum der Stimmungen breiter. Derweil der lockere Groove von «Liquidize» und «Pond» an die neunziger Jahre gemahnt, übersetzt «CPR» den lakonischen Stil von «Chaise Longue» ins Lärmige. Und dann eben Sätze wie: «You wanna fuck me? I know most people do.» Ein erfrischend unerschrockenes Album, aufregender als das Debüt.

Exit mobile version