Mittwoch, März 26

Die Klinikleitung ist mitverantwortlich für die Probleme mit Verschwörungstheorien in der Psychiatrie Clienia Littenheid. Das Bundesgericht gibt der Thurgauer Regierung im Streit gegen eine Psychiaterin recht.

Folter, Kindsmissbrauch, Gehirnwäsche, rituelle Tötungen, organisiert und durchgeführt von dunklen Mächten: «Satanic Panic» ist eine Verschwörungserzählung, die nahezu jede erdenkliche Form von psychischer und physischer Gewalt umfasst. Diese Gewalt ist aber nicht real, sondern existiert praktisch ausschliesslich als eingebildete «Erinnerung» in den Köpfen psychiatrischer Patientinnen und Patienten.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Vor gut drei Jahren wurde das Phänomen in der Schweiz erstmals einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Ein zentraler Schauplatz war die Psychiatrie Clienia Littenheid im Thurgau. Bis jetzt wird im Kanton darüber gestritten, wer die Verantwortung für die Missstände an der Klinik trägt. Im Zentrum stehen ein Oberarzt der Privatklinik und seine Vorgesetzte.

Die Thurgauer Regierung hat nun einen Etappensieg vor Bundesgericht errungen, wie das Branchenportal «Medinside» berichtet. Das Thurgauer Verwaltungsgericht muss damit erneut darüber befinden, ob eine Chefärztin der Clienia Littenheid wegen Verletzung der Aufsichtspflicht zu Recht gebüsst wurde.

Auslöser des Streits war eine SRF-Dokumentation vom Dezember 2021 mit dem Titel «Der Teufel mitten unter uns – Satanic Panic». In der Dokumentation traten Patienten und Personal der Clienia Littenheid auf, die an die Verschwörungstheorie glaubten. Im Anschluss an die Sendung reichte eine Privatperson beim Kanton Thurgau eine Aufsichtsbeschwerde gegen einen Oberarzt und die Klinik ein. Die Klinik kündigte daraufhin dem Arzt, der Kanton leitete eine Administrativuntersuchung gegen die Klinik ein.

Der im Dezember 2022 veröffentlichte Untersuchungsbericht stellte der Klinik ein katastrophales Zeugnis aus. In den meisten Fällen sei der Wahrheitsgehalt der Erzählungen der Patientinnen und Patienten nie geklärt worden. Angebliche Erinnerungen über organisierte Gewaltverbrechen seien wie historische Fakten behandelt worden. Erzählungen von Patientinnen und Patienten seien in der Klinik nicht nur ernst genommen, sondern die falschen Erinnerungen seien sogar gefördert worden.

Faszination für Verschwörungstheorie entwickelt

Für das kantonale Gesundheitsdepartement war die Chefärztin als Vorgesetzte des später entlassenen Oberarztes mitverantwortlich für das Debakel. Das Departement büsste sie mit 10 000 Franken. Sie habe die fachliche Aufsicht über den Oberarzt nicht pflichtgemäss ausgeübt. Der Oberarzt war massgeblich für die Behandlung von Patienten verantwortlich, die sich als Opfer einer satanistischen Verschwörung sahen.

Laut dem Untersuchungsbericht von 2022 hatte der Oberarzt eine Faszination für Satanic Panic und verwandte Phänomene entwickelt. Er habe geglaubt, dass im Untergrund operierende Zirkel Kinder in grausamen Ritualen sexuell missbrauchten und bis zum Tod quälten. Oder dass Kinder und Erwachsene durch rituelle Gewalt in verschiedene Persönlichkeiten gespalten und gezielt für Missbrauch «programmiert» würden («mind control»). Der Oberarzt habe auch entsprechende Weiterbildungen für das Klinikpersonal organisiert.

Die Chefärztin will dafür nicht verantwortlich gewesen sein und erhob gegen die Busse Beschwerde vor dem Thurgauer Verwaltungsgericht. Dort bekam sie recht. Es gebe keine genügende gesetzliche Grundlage für eine Busse, urteilte das Verwaltungsgericht. Ihr werde auch nicht vorgeworfen, ihre Tätigkeit als Ärztin selber nicht sorgfältig und gewissenhaft ausgeübt zu haben.

Kanton befürchtet Gefährdung der öffentlichen Gesundheit

Dem Thurgauer Regierungsrat ging es in seiner Beschwerde allerdings nicht nur um die Disziplinarmassnahme gegen die Oberärztin. Mit dem Weiterzug des Falls an das Bundesgericht wollte er auch ein Präjudiz verhindern. Das Verwaltungsgericht verlange «unrechtmässigerweise eine explizite gesetzliche oder standesrechtliche Regelung», damit die Ärztin gebüsst werden könne. Bliebe es bei diesem Urteil, wäre die Aufsichtspflicht von medizinischem Fachpersonal faktisch aufgehoben.

Der Kanton ist der Ansicht, dass damit eine wirksame aufsichtsrechtliche Kontrolle sämtlicher unter fachlicher Aufsicht tätigen Medizinal- und Gesundheitsfachpersonen nicht mehr möglich wäre. Dies würde die öffentliche Gesundheit gefährden. Betroffen seien davon sämtliche Gesundheitsberufe und damit mehrere tausend Personen im Kanton. Die Verneinung einer solchen Aufsichtspflicht tangiere «bedeutsame gesundheitspolizeiliche und -politische Interessen».

Urteil 2C_605/2023 vom 28. Januar 2025

Exit mobile version