Sonntag, Oktober 6

Kyle Walker wollte sich nach Deutschland absetzen, weil seine Frau und seine Geliebte gleichzeitig von ihm schwanger waren. Er lieferte damit der Klatschpresse eine der grössten Storys des Jahres. Doch Exzesse von Spielern gehören in der Premier League zur Tagesordnung.

Warum zum Teufel will Kyle Walker kurz nach dem Gewinn der Champions League mit Manchester City zu Bayern München wechseln? Das fragte sich so mancher, als sich die Transfergerüchte im Juli 2023 verdichteten. Die Antwort lieferte er erst viel später: Er wollte einfach weg, um dem Schlamassel zu entkommen, den er in der Heimat angerichtet hatte.

Ihm sei bewusst gewesen, dass die Uhr für ihn ticke, bekannte Walker zu Jahresbeginn. Denn im Sommer 2023 wusste Walker bereits, dass die Influencerin Lauryn Goodman zum zweiten Mal von ihm schwanger war. Seine langjährige Partnerin Annie Kilner hatte ihm eine erste Affäre – und ein erstes Kind – mit Goodman nachgesehen und den Fussballer im November 2021 geheiratet. Nun fürchtete der englische Nationalspieler ein endgültiges Beben, wenn sein neuerlicher Seitensprung an die Öffentlichkeit gelangen sollte.

Kyle Walker bombshell confession: I’m so sorry, I betrayed my soulmate and best friend

Und das geschah dann auch. Goodman teilte der damals mit dem vierten Kind schwangeren Kilner ausgerechnet an Weihnachten 2023 mit, der Vater ihres zweiten Kindes sei erneut Walker. Seitdem beschäftigen dessen Eskapaden die Klatschzeitungen auf der Insel wie sonst nur die britischen Royals. Lange Zeit verging keine Woche ohne neue Details zu der komplizierten Dreieckskonstellation, vor allem Goodman plauderte bereitwillig Infos aus. Walkers Privatleben wurde so zu einer der spektakulärsten Boulevard-Storys des Jahres in Grossbritannien.

Jack Grealish lässt sich mit Wodka «füttern»

Der 34-Jährige ist aber bei weitem nicht der einzige Premier-League-Profi, der mit prolligem Verhalten dazu beiträgt, die Einschaltquoten der englischen Boulevardpresse zu steigern. Auch seine Teamkollegen Jack Grealish und Phil Foden leisten sich immer wieder Aussetzer. Nach dem Champions-League-Triumph 2023 verhielt sich Grealish tagelang wie im Dauerrausch. Auf der Siegesparty stammelte er ins Mikrofon, er sei ein Truthahn und müsse gefüttert werden. Daraufhin liessen ihm Mitspieler einen Guss Wodka aus der Flasche in den Mund laufen.

Kürzlich beklagten sich Fodens Anwohner über dessen anhaltende Lärmbelästigungen in der Nacht. Es wurde berichtet, dass sogar die Polizei vorstellig geworden sei und Nachbarn angeblich ihr Leben als «Hölle» empfänden, seit Foden mit seiner Familie eingezogen sei.

Das alles erinnert an frühere berühmte Fussballgrössen des Landes, die mit ihrem kontroversen Lebensstil gleichermassen in die Schlagzeilen gerieten. Die bekanntesten britischen Profis dieser Art sind sicherlich George Best, Paul Gascoigne und Wayne Rooney. Alle sind berüchtigt für ihr ausschweifendes Leben.

Der Nordire Best war vermutlich einer der ersten richtigen Boulevard-Promis des Fussballs überhaupt, er erregte genauso viel Aufmerksamkeit mit seinen Kapriolen wie mit seinen Leistungen für Manchester United in den 1960er und 1970er Jahren. «Ich habe viel Geld für Alkohol, Frauen und schnelle Autos ausgegeben – den Rest habe ich einfach verprasst», fasste er einmal seine Lebensführung zusammen.

Im Rückblick wirkt der Satz wie die Definition eines prolligen Profifussballers. Diese finden sich überall, aber England scheint sie besonders häufig und regelmässig hervorzubringen – aus mehreren Gründen.

Im Vergleich zu anderen Ländern ist die englische Liga immer schon stark durchkapitalisiert gewesen, spätestens seit der Gründung der Premier League 1992 setzen die Inselklubs in der Regel deutlich am meisten Geld um. Die Spitzenspieler der Liga verdienen pro Saison mittlerweile zweistellige Millionenbeträge, das Nettovermögen von Kyle Walker wird zum Beispiel auf 27 Millionen Pfund (30 Millionen Franken) geschätzt.

Der Reichtum ermöglicht nicht nur ein sorgenfreies, sondern auch ein sorgloses Leben; Fehler lassen sich bisweilen finanziell kompensieren. Das dürfte dem sozialen Verständnis und dem Umgang mit anderen Menschen nicht unbedingt zuträglich sein.

Der Leistungsdruck erzeugt eine Fallhöhe, der nicht jeder junge Fussballer gewachsen ist. Bei ausbleibenden Erfolgen kann die Erwartungshaltung in der Premier League zu mentalen Problemen führen. Trotz oder vielleicht auch gerade wegen der Rundumversorgung der Klubs fällt es einigen Spielern manchmal schwer, sich in einem neuen Umfeld zurechtzufinden. Die Bekanntheit erschwert es, substanzielle Freundschaften und Vertrauen aufzubauen.

In Grossbritannien fängt Trinken schon in der Kindheit an

Dazu kommt die historisch ausgeprägte Trinkkultur des Landes, in die die Spieler hineinwachsen. Eine Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigte kürzlich, dass der Alkoholkonsum in Grossbritannien zu den höchsten in der Welt gehört. Jeder zweite 13-Jährige hat gemäss dieser schon Alkohol getrunken, jeder zehnte von ihnen war mindestens zweimal betrunken.

In der Fussball-Berichterstattung kann der Eindruck entstehen, dass es diesen Sport nur mit Alkohol gebe. Das Ausmass spiegeln internationale Turniere wider, bei denen englische Fans exzessiv dem Alkohol frönen – und ihn auch verklären. Über den Abwehrrecken Harry Maguire singen sie: «Er trinkt Wodka / er trinkt Jäger / er hat einen Riesenschädel.»

Die wenig zimperliche britische Yellow Press spielt im Privatleben der Fussballer ebenfalls eine beachtliche Rolle. Mehrere Boulevardzeitungen konkurrieren miteinander und schrecken kaum vor einer Geschichte zurück. Es sieht stets so aus, als würden sie Fehltritte sogar noch zuspitzen.

Englands inzwischen zurückgetretener Nationaltrainer Gareth Southgate sagte im Interview mit der «NZZ» vor der EM, dass es für den bei Real Madrid angestellten Jude Bellingham, 21, «eine positive Sache» sei, ausserhalb Englands aufgewachsen zu sein – weil die Fussballöffentlichkeit auf der Insel herausfordernd sein könne. Das Verhältnis zwischen Fussballern und Medien schien einst der lange Zeit in England spielende Spitzenkönner Eric Cantona treffend wiederzugeben.

Der Franzose philosophierte nach seinem Skandaltritt gegen einen Stadionzuschauer in einem Gerichtsverfahren vor sich hin, dass Möwen stets Hochseefischern und ihren Schiffen folgten, da sie annähmen, dass Sardinen ins Meer geschmissen würden. In diesem Fall dürfte Cantona die Presse als Möwen, sich selbst als Fischer und seine abenteuerlichen Lebensgeschichten als Sardinen betrachtet haben.

Das Gebaren der englischen Top-Fussballer hat sich über die vergangenen Generationen hinweg zunehmend verbessert. Trotzdem sind die sich ordinär benehmenden Fussballer keinesfalls ausgestorben. Das beweist Walkers Respektlosigkeit gegenüber seiner Frau, zumal er nicht zum ersten Mal unangenehm auffiel: Auf Videos ist zu sehen, wie er mutmasslich angetrunken vor anderthalb Jahren in einem Pub vor anderen Leuten seine Trainingshose fallen lässt.

Die Entgleisungen wirken jeweils wie ein Ausbruchsversuch aus dem starren Fussballsystem, in dem sich die Spieler Saison für Saison befinden. Der Spielkalender fordert stets Disziplin und Makellosigkeit ein. Wegen ihrer Bekanntheit stehen die Sportler fast pausenlos unter Beobachtung. Meist wird nur in aufsehenerregend positiven und negativen Momenten über sie berichtet. Dies kann auch dazu führen, dass ein Bild entsteht, das der wahren Persönlichkeit der Spieler nicht entspricht.

Nach dem Bekanntwerden seiner Affären lieferte Kyle Walker ein tränenreiches Schuldgeständnis in der «Sun» ab. Er entschuldigte sich bei seiner Frau Annie und gab zu, dumme Entscheidungen getroffen zu haben und dafür Verantwortung zu übernehmen. Im Streit mit Goodman um die Höhe der Unterhaltsforderungen hielt das Gericht fest, Walker sei «sensibel, ehrlich und zuverlässig» und habe nach seinen Verfehlungen mit «Würde und Grosszügigkeit» gehandelt.

Warum er letztlich doch nicht das Angebot des FC Bayern angenommen habe? In München wäre er gänzlich auf sich allein gestellt gewesen, fand Walker. So könne er jetzt immerhin seine Kinder sehen. Ob ihm seine Partnerin ein zweites Mal verzeiht, ist noch unklar.

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