Sonntag, Oktober 6

Dreizehn Monate nach einer Entgleisung fahren wieder alle Züge durch den Basistunnel. Die zuständige EU-Behörde empfiehlt strengere Kontrollen für Güterwagen.

Über ein Jahr lang war der Gotthard-Basistunnel nur teilweise in Betrieb – und kurzzeitig sogar ganz gesperrt. Im August 2023 war ein Güterzug entgleist und hatte das Bahntrassee auf einer Länge von sieben Kilometern zerstört. Allein für die Räumung des Tunnels brauchten die SBB eineinhalb Monate. Anschliessend mussten sie die Schienen ersetzen. Die Schadensumme beläuft sich auf rund 150 Millionen Franken, wovon gut 140 versichert sind.

Am Montag haben die SBB mit Politikern den Gotthard-Basistunnel in Pollegio wieder vollständig in Betrieb genommen. «Heute ist ein guter Tag für die Schweiz, das Tessin, Uri und den ganzen Kontinent», sagte Bundesrat Albert Rösti, der Vorsteher des Verkehrsdepartements, vor den Medien. Die SBB dankten den Kunden und Kundinnen für ihre Geduld. Die Mitarbeitenden, die unter schwierigen Bedingungen gearbeitet hätten, könnten stolz sein, sagte der Bahnchef Vincent Ducrot.

Seit dem Montag verkehren die Fernverkehrszüge von Zürich und Basel nach Lugano und Mailand wieder durch den Basistunnel, womit sie eine Stunde schneller sind. Neu fahren die Personenzüge die ganze Woche jede halbe Stunde. Auch die Direktzüge nach Genua und Bologna sowie der Eurocity von Frankfurt nach Mailand verkehren wieder.

Der Güterverkehr rollt ebenfalls erneut vollständig durch den Basistunnel. Jüngst fuhren noch bis zu 20 Prozent der Züge über die Bergstrecke, in der PR-Sprache der SBB inzwischen Panoramastrecke genannt. Dies führte zu längeren Fahrzeiten und erforderte für schwere Züge zusätzliche Lokomotiven.

Wichtige Ausweichstrecke

Die Sperrung des Basistunnels zeigte, wie wichtig Ausweichstrecken sind. Im dichten Schweizer Bahnnetz ist die Redundanz vergleichsweise gross, von wenigen Nadelöhren abgesehen. So konnten die SBB rasch Züge über die Bergstrecke umleiten. Schon einen Tag nach der Entgleisung sei den Reisenden ein stabiler Fahrplan zur Verfügung gestanden, lobten sich die SBB am Montag in einer Mitteilung selber.

Tatsächlich blieb das Tessin mit dem Rest des Landes verbunden, wenn auch mit deutlich längeren Fahrzeiten. Der Tessiner Regierungspräsident Christian Vitta sagte, die Schliessung sei ein Desaster gewesen. Zum Glück habe die Schweiz funktionierende Institutionen und Bahnen, meinte er zur Wiedereröffnung.

Im benachbarten Ausland müssen sich die Kunden bei Unterbrüchen immer wieder lange gedulden. Die wichtigste Strecke zwischen Frankreich und Italien von Lyon über Modane nach Turin ist nach einem Erdrutsch in Savoyen seit dem August 2023 gesperrt. Die SNCF musste die Wiedereröffnung wiederholt verschieben. Umleitungen von Personenzügen gibt es nicht.

Nur: Dass die Gotthard-Bergstrecke bis heute zweigleisig existiert, ist nicht selbstverständlich. Noch 2016 äusserten sich die SBB kritisch zur Zukunft der Linie. Sie bauten Weichen aus oder verschraubten diese. Der Südostbahn ist es zu verdanken, dass überhaupt noch direkte Züge verkehren. Inzwischen ist die Zukunft der Bergstrecke langfristig gesichert. Der Bund und die SBB wollen diese in den nächsten Jahren für rund eine Milliarde Franken erneuern. «Die Redundanz muss unbedingt aufrechterhalten werden», sagte Rösti.

Viele Wagen aus dem Ausland

Die Entgleisung des Güterzuges war auf einen Radbruch zurückzuführen. Die SBB haben mit kurzfristigen Massnahmen reagiert, um das Risiko zu reduzieren. Vor den Abzweigungen bei den Portalen haben sie die Geschwindigkeit reduziert. Mittelfristig planen sie, in diesen Bereichen Entgleisungsdetektoren zu installieren.

Wichtiger sind aber Massnahmen auf europäischer Ebene. Der Güterverkehr durch den Basistunnel ist ein internationales Geschäft. Die Wagen kommen mehrheitlich aus dem Ausland. Im Vergleich zum Personenverkehr ist das Rollmaterial veraltet. Der entgleiste Zug stammte von der Deutschen Bahn, aber in der Schweiz war SBB Cargo dafür verantwortlich.

Die SBB verwenden den fraglichen Radtyp nicht. Das Bundesamt für Verkehr (BAV) hat sich dafür eingesetzt, dass es auf europäischer Ebene schärfere Vorgaben und Kontrollen gibt. Es forderte, dass Güterwagen mit ähnlichen Rädern geprüft und wenn nötig ausser Betrieb genommen würden. Die Bestrebungen hätten Früchte getragen, sagte Rösti am Montag.

In seinem Schlussbericht empfiehlt ein Gremium der europäischen Eisenbahnagentur (ERA) den Bahnunternehmen und Wagenhaltern strengere technische Massnahmen. Der ERA-Schlussbericht enthalte das Nötige, damit das Risiko für ähnliche Radbrüche reduziert werden könne, sagte Rösti, und dies nicht nur in der Schweiz. «Wir gehen davon aus, dass die Kontrollen in den nächsten Monaten besser werden.» Das BAV will die empfohlenen Massnahmen in der Schweiz durchsetzen, wie ein Sprecher auf Anfrage sagte. Ob die nationalen Aufsichtsbehörden der EU-Staaten folgen, muss sich zeigen.

Die strengeren Vorgaben sollen den Güterverkehr sicherer machen. Ein Restrisiko bleibe aber, sagte der SBB-Chef Ducrot.

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