Samstag, Oktober 5

Die amerikanische Firma Hewlett-Packard lässt ihren Rechtsstreit mit dem britischen Unternehmer Mike Lynch selbst nach dessen Tod beim Schiffsunglück vor Sizilien nicht ruhen.

Angela Bacares durchlebt dramatische Monate. Erst im Juni war ihr Ehemann, der Tech-Milliardär Mike Lynch, bei einem Strafverfahren in Kalifornien überraschend von den Vorwürfen des Betrugs und der Bilanzfälschung freigesprochen worden. Im August brachen die Eheleute mit Freunden und Geschäftspartnern auf ihrer Luxusjacht «Bayesian» zu einer Segeltour im Mittelmeer auf. Doch das Schiff sank vor der Küste Siziliens in einem Sturm und riss insgesamt sieben Passagiere in den Tod. Die 57-jährige Bacares kam zwar mit dem Leben davon. Doch hat sie den Tod ihres Gatten und ihrer 18-jährigen Tochter zu beklagen.

Zwei Wochen nach dem verheerenden Schiffsunglück ereilt Bacares nun eine weitere Hiobsbotschaft. Die amerikanische Tech-Firma Hewlett-Packard, der Lynch sein britisches Startup Autonomy verkauft hatte, geht weiterhin juristisch gegen Lynch vor – auch nach seinem strafrechtlichen Freispruch und sogar nach seinem Ableben. Konkret hält Hewlett-Packard an einer zivilrechtlichen Schadenersatzklage im Umfang von 3 Milliarden Pfund (3,34 Milliarden Franken) fest, wobei sich die Forderung nun an Lynchs Hinterbliebene und namentlich seine Witwe richtet.

Jahrelanger Rechtsstreit

Der Beginn des Rechtsstreits geht dreizehn Jahre zurück. Nach seinem Studium in Cambridge hatte Lynch mehrere Startups im Bereich der künstlichen Intelligenz gegründet, darunter auch sein Lebenswerk Autonomy. Das Kernprodukt der Firma war in der Lage, sogenannte unstrukturierte Daten auszuwerten, die nicht in sauberen Tabellen, sondern in E-Mails, Video und Tonaufnahmen enthalten sind.

2011 verkaufte Lynch die Firma für 11 Milliarden Dollar an Hewlett-Packard. Kaum ein Jahr später schrieb HP 8,8 Milliarden Dollar des Werts wieder ab – und warf den Verantwortlichen von Autonomy vor, schwerwiegende buchhalterische Unregelmässigkeiten begangen und Falschangaben gemacht zu haben.

Das Zerwürfnis hatte einen jahrelangen Rechtsstreit in Grossbritannien und in den USA zur Folge. Der ehemalige Finanzchef von Autonomy, Sushovan Hussain, wurde 2018 im Zusammenhang mit dem Verkauf der Firma an Hewlett-Packard wegen Betrugs zu einer fünfjährigen Gefängnisstrafe in den USA verurteilt. Auch vor diesem Hintergrund waren viele Beobachter erstaunt, als ein Geschworenengericht Lynch und einen Mitangeklagten im Juni von ähnlichen Vorwürfen freisprach.

In Grossbritannien lief parallel dazu ein zivilrechtliches Verfahren, da Hewlett-Packard von Lynch persönlich eine Entschädigung in der Höhe von 3 Milliarden Pfund verlangte. 2022 kam ein britischer Richter zu dem Schluss, dass Lynch vom Gebaren seines Finanzchefs gewusst haben musste und Hewlett-Packard Schadenersatz schulde. Die Höhe des Betrags muss der Richter erst noch bestimmen. Das Urteil wird in diesem Herbst erwartet.

Reputationsrisiken für Hewlett-Packard

Hewlett-Packard ist verpflichtet, im besten finanziellen Interesse seiner Aktionäre zu handeln. Allerdings drohen nach dem Tod von Lynch auch Reputationsrisiken. Oliver Embley von der Londoner Anwaltskanzlei Wedlake Bell erklärte gegenüber dem «Guardian», faktisch verklage Hewlett-Packard die trauernde Witwe von Lynch, was kein günstiges Licht auf die Firma werfe.

Vor seinem Tod hatte Lynch erklärt, er würde gegen eine Verurteilung Rekurs einlegen. Zudem hatte der zuständige Richter bereits durchblicken lassen, dass der Betrag im Falle einer Schuld weit tiefer als die von Hewlett-Packard geforderten 3 Milliarden Pfund ausfallen würde. Ende Juli erklärte Lynch in einem Zeitungsinterview, seine finanzielle Lage sei gut, zumal seine Frau erfolgreiche Investitionen getätigt habe: «Es ist keine gefährliche Situation.»

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