Montag, Oktober 7

Lebensmittel wie Rindfleisch verursachen hohe externe Kosten durch ihre Wirkung auf Umwelt und Ernährung. Dieses Wissen kann bei der Wahl der Ernährungsweise helfen.

Kaum etwas geht uns so nah – wortwörtlich – wie unser Essen. «Ich lass mir doch nicht vorschreiben . . .», denken wir und greifen zur Wurst. Doch die Ernährung trägt in der Schweiz 28 Prozent zur Umweltbelastung bei und belegt damit Platz eins vor dem Wohnen (24 Prozent) und der Mobilität (12 Prozent). Wollen wir unseren Planeten schonen, müssen wir auf dem eigenen Teller beginnen.

Basel, 1.-August-Feier 2024: Am Vorabend des Nationalfeiertages zündet die Stadt traditionell ein Feuerwerk über dem Rhein. Um das Fest so umweltschonend wie möglich zu feiern, verkürzt die Stadt das Feuerwerk und setzt an den Imbissständen vermehrt auf fleischlose Angebote. Denn 40 Prozent der CO2-Emissionen einer solchen Feier – so hat Myclimate 2019 am Züri-Fäscht berechnet – kommen vom Essen.

Während Marcel Meier vom Basler Präsidialdepartement frohlockt, dass schon jeder zweite Essensstand ein vegetarisches Menu anbietet, empfindet der Basler SVP-Präsident das fehlende Fleisch als Bevormundung: «Klimaschutz, indem man die Wurst verbietet, ist der falsche Ansatz», sagt er gegenüber SRF.

Dem Klimaschutz ist aber auch schon damit geholfen, dass man weniger tierische Produkte konsumiert. Die Produktion von Fleisch hat weltweit einen grösseren Anteil an den Treibhausgasemissionen als andere Lebensmittel. Und sie trägt nicht nur zum Klimawandel, sondern auch zur Umweltzerstörung bei, zum Beispiel durch Landverbrauch.

Um umweltfreundlicher zu essen, braucht es aber weder Fleisch aus dem Labor noch Soja aus Brasilien noch die stark verarbeiteten Fleischalternativen. Es helfen schon drei einfache Verhaltensanpassungen:

  • Die wahren Kosten des Essens zu kennen
  • Zusammenhänge zwischen Ernährung und Nachhaltigkeit zu verstehen
  • Lebensmittelverschwendung zu vermeiden

Der Marktpreis deckt sehr vieles nicht

Alessa Perotti, Expertin für nachhaltige Ernährungssysteme, hat 2020 mit ihrer Masterarbeit an der ETH Zürich «Moving Towards a Sustainable Swiss Food System: An Estimation of the True Cost of Food in Switzerland and Implications for Stakeholders» das Ernährungssystem in eine Sprache übersetzt, die alle verstehen: Geld. Sie hat berechnet, wie viel Früchte, Käse oder Fleisch wirklich kosten: «Für jeden Franken, den wir für Nahrungsmittel ausgeben, wird nochmals mindestens ein Franken an externen Kosten verursacht», sagt Alessa Perotti.

Die wahren Kosten von Lebensmitteln zeigen gemäss Perottis Studie die Kosten, die der Marktpreis nicht deckt: jene für die Schäden an der Umwelt, Krankheiten durch ungesundes Essen oder das Leid der Tiere. Für die Berechnung dieser Kosten hat Alessa Perotti auf die Standards der niederländischen True Price Foundation zurückgegriffen, die Faktoren wie Wiederherstellung von Ökosystemen, Entschädigung für Umweltschäden oder Verhinderung eines erneuten Auftretens einbeziehen.

Der Wert eines Lebensmittels kann selbstverständlich nie genau auf einem Preisschild angegeben werden, manche Annahmen sind Ermessenssache. Seit Perottis Studie sind aber weitere Berechnungen der wahren Kosten dazugekommen, die zu sehr ähnlichen Resultaten kommen.

In der Schweiz kommen zu den Gesamtausgaben von 37 Milliarden Franken für Lebensmittel mindestens 33 Milliarden Franken an ungedeckten Kosten hinzu, wie Alessa Perotti damals schätzte. Davon fallen fast 15 Milliarden Franken Krankheitskosten als Folge von ungesunder Ernährung an. Auf über 10 Milliarden Franken belaufen sich die Schäden an der biologischen Vielfalt.

Weizen zum Beispiel müsste gemäss Perotti 69 Prozent mehr kosten, als wir tatsächlich dafür bezahlen, weil die Monokulturen mit viel Gülle bearbeitet werden. Rindfleisch sollte 125 Prozent teurer sein – wegen CO2-Emissionen, Landverbrauch und Umweltverschmutzung, die der menschlichen Gesundheit schadet.

Auf der anderen Seite stehen Gemüse und Früchte wie der Apfel, der gemäss Perotti 178 Prozent günstiger sein müsste, weil er netto einen Nutzen bringt. Würden die Menschen mehr Gemüse und Früchte essen, könnte man Krankheitskosten einsparen, die durch falsche Ernährung entstehen.

«Es ist nicht so, dass wir dieses Geld sparen», sagt Alessa Perotti, «wir zahlen die Kosten woanders, als Steuern, Subventionen oder Arztrechnungen. Oder: Jemand anderes oder zukünftige Generationen zahlen für uns.» Das Ernährungssystem ist einer der grössten Verursacher von Krankheit und Umweltverschmutzung. Es ist aber auch eine der grössten Chancen, diese zu reduzieren und damit die externen Kosten der Ernährung zu verkleinern.

«It’s the consumer, stupid»

Christine Schäfer, Trendforscherin am Gottlieb-Duttweiler-Institut (GDI), hält uns Konsumentinnen und Konsumenten den Spiegel vor. Und was wir darin sehen, ist nicht schön. «Obwohl das Bildungsniveau in der Schweiz sehr hoch ist, verstehen viele Menschen die Zusammenhänge zwischen Ernährung und Nachhaltigkeit nicht richtig», sagt Schäfer.

In ihrer Studie «Vom Vorsatz zum Teller – woran gute Ernährungsabsichten scheitern» zeigt sie zwar auf, dass 98 Prozent ihre Ernährung zumindest teilweise ändern, mehr als drei Viertel sich gesünder, saisonaler oder regionaler ernähren und 42 Prozent häufig auf Fleisch und Fisch verzichten wollen. «Doch so motiviert die Schweizerinnen und Schweizer auch sind», stellt Schäfer fest, «es landen nach wie vor meist dieselben Produkte auf ihrem Teller.»

Denn viele verstehen nicht, was die wirklich grossen Hebel sind. Die Umweltauswirkung des Transports zum Beispiel wird häufig überschätzt. Es ist wichtiger, was wir konsumieren, als woher es kommt: Eine Fair-Trade-Mango aus Südamerika verursacht in der Regel einen kleineren CO2-Ausstoss als Bio-Rindfleisch von hier. Viele nehmen sich vor, regional und saisonal einzukaufen – was grundsätzlich gut ist. Wichtiger wäre es allerdings, mehrmals pro Woche auf Fleisch und tierische Produkte zu verzichten. Doch für diesen Verzicht genügt die Motivation nicht.

«Wir kommen nicht um einen Systemwandel herum», sagt Christine Schäfer. Das Ernährungssystem ist komplex, viele Player spielen mit, mit verschiedenen Interessen.

Dass es unserem Ernährungssystem an Nachhaltigkeit mangelt, liegt an verschiedenen Faktoren: Die Politik sollte für das Erreichen der Klimaziele die Fleischwirtschaft einschränken, aber stattdessen wird diese subventioniert. Detailhändler versprechen, nachhaltiger zu werden, doch sie bewerben das Fleisch auf dem Grill. Die Verantwortung wird auf die Kundschaft abgeschoben, aber dieser fehlt das Wissen für die richtigen Entscheide. Konsumentinnen und Konsumenten wollen sich besser ernähren, tun es aber nicht.

Aufhören, Lebensmittel zu verschwenden

Food-Waste zu vermeiden, also die Verschwendung von Lebensmitteln, ist die einfachste Massnahme, um die Umwelt mit dem Essen nicht noch mehr zu belasten. Das bedeutet, Lebensmittel, in welche Energie, Land und Ressourcen gesteckt wurden und für die wir schon bezahlt haben, auch wirklich zu essen.

Es hört sich simpel an, doch die Zahlen, die der Verein Foodwaste.ch zusammenträgt, erschrecken: Im Schnitt geht jedes dritte Lebensmittel zwischen Feld und Teller verloren oder wird verschwendet. Das sind in der Schweiz jährlich 2,8 Millionen Tonnen. Dabei verursacht Food-Waste so viel Umweltbelastung wie die Hälfte der Schweizer Autofahrten.

20 Prozent der Lebensmittelverschwendung fällt in der Landwirtschaft an, weil die Bäuerin zum Beispiel unförmige Kartoffeln aussortiert, die ihr der Händler nicht abkauft. 35 Prozent in der Verarbeitung, weil nicht alle Nebenprodukte wie Molke, Teigreste oder Innereien verwendet werden. 10 Prozent im Handel, der Lebensmittel falsch lagert. 7 Prozent in der Gastronomie, die zu viel einkauft. Und 28 Prozent bei uns zu Hause, weil wir zum Beispiel abgelaufene, aber noch essbare Produkte wegwerfen.

«Lebensmittel zu produzieren, um sie danach wegzuwerfen – das ergibt keinen Sinn», sagt Karin Spori, die Geschäftsführerin von Foodwaste.ch. Wie wir die 28 Prozent bei uns zu Hause reduzieren können, muss jede und jeder individuell erkennen. «Kaufen Sie nur ein, was Sie brauchen», rät Spori, «halten Sie Ordnung im Kühlschrank, verwerten Sie Reste und vermeintliche Grünabfälle wie den Broccolistrunk. Und vertrauen Sie Ihren Sinnen.»

NZZ Planet A

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Die meisten Lebensmittel sind problemlos mehrere Tage bis zu einem Jahr über das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) hinweg geniessbar. «Beim Verbrauchsdatum geht es um die Lebensmittelsicherheit», sagt Spori, «aber das MHD nenne ich auch Motzdatum: Es sagt nichts über die Sicherheit des Produktes aus, sondern etwas darüber, bis wann ich mich beim Hersteller beschweren kann, falls die Qualität nicht so ist wie erwartet.»

Food-Waste vermeiden lohnt sich auch finanziell. 620 Franken wirft jede Schweizerin, jeder Schweizer pro Jahr in Form von Essen weg. Ein Schweizer Haushalt gibt durchschnittlich rund 7 Prozent des Jahreseinkommens für Lebensmittel aus, gemäss dem Bundesamt für Statistik sind das etwa 660 Franken im Monat. Unter dem Strich könnte ein Einpersonenhaushalt also pro Jahr einen Monat länger Lebensmittel einkaufen.

Doch die beste Nachricht ist: Umweltfreundliches Essen ist meist auch gesundes Essen. Und wie wir gesund essen, ist eigentlich ganz einfach: bunt, abwechslungsreich und vor allem weniger – weniger verarbeitete Produkte, weniger tierische Produkte, weniger Zucker. Wer die Welt der Enkelinnen und Enkel also nicht retten will, kann es für die eigene Gesundheit tun.

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