Sonntag, Februar 2

Anlässlich des St.-Moritz-Gourmet-Festivals bewies ein in Südkorea geborener Däne, wie sehr leichte Schärfe zur Komplexität der Küche beitragen kann. Selbst vermeintlich zarte Fisch- und Meeresfrüchte-Gerichte profitierten von etwas Spicyness. Der «sechste Geschmackssinn» hat Zukunft – wenn der Koch weiss, was er tut.

Viele Spitzenköche haben eine mehr oder minder ausgeprägte Aversion gegen Schärfe entwickelt. Alles, was über einen eher milden Pfeffer hinausgeht, ist ihnen ein grober Verstoss gegen die Grundsätze der klassischen oder modernen Küchen Europas. Zutaten und Texturen sollten für sich sprechen, sagen diese Vertreter der weissen Zunft, neben Kräutern, Essig oder Zitronensaft sowie bisweilen dezenten Fermentationsnoten dürfe allenfalls ein bisschen Salz den Geschmack ergänzen.

Die deutlich wahrnehmbare Schärfe, also die Einflüsse von Chili, verschiedenen Pfeffervarianten, Meerrettich und anderen Pflanzenarten, überlassen viele den südeuropäischen Regionalküchen oder den Kollegen aus Asien und Mexiko. Dass man neben Süsse, Säure, Salzigkeit und Bitternis sowie Umami auch das Schärfeempfinden als quasi «sechsten Sinn» berücksichtigen kann, haben noch nicht viele hiesige Gastronomen herausgearbeitet.

Die Vielfalt der Schärfe ist beinah unergründlich

Ist ja auch nicht so einfach, sich im Reich der unzähligen Chilisorten zurechtzufinden. Die sind nicht nur unterschiedlich intensiv reizend, im schärfsten Falle gesundheitsbedrohlich, sondern bringen ihre Schärfe auch in 1001 Varianten auf die Zunge. Die Wahrnehmung der Speisen im Mund kann extrem verändert werden, je nachdem, welche Sorte Chili man in welchem Reife- oder Fermentationszustand verarbeitet, in welcher Menge und in welchen Teilen, wann man ihn zum Essen zufügt und welche Kontraste und Temperaturen die Küche integriert.

Mal werden Frucht und Schärfe weiter vorne auf der Zunge gespürt, mal etwas mehr hinten im Mund, mal breitet sich alles sofort aus, mal erst mit Verzögerung.

Kristian Baumann aus dem Restaurant «Koan» in Kopenhagen demonstrierte die Logik der Spicyness als Gastkoch des St.-Moritz-Gourmet-Festivals bei seinem Essen im «Carlton» in St. Moritz, indem er zunächst (beim Pinienkerntofu mit blauem Hummer und Kaviar) auf Schärfe verzichtete, sie dann bei den Jakobsmuscheln samt Sojasauce und Kräutern deutlich, aber klug unterbrachte, ohne den Goût der Meeresfrüchte zu übertünchen. Schliesslich der Kaisergranat mit einer Sauce auf Basis roter Chilis, die eine sehr «schlanke» Schärfe mit ausgeprägter Frucht verband. Da war Korea deutlich herauszuschmecken.

Schärfe auf deutschen und Schweizer Speisekarten

So perfekt wie im «Koan» schaffen es im deutschsprachigen Gebiet nur wenige, Schärfe zu integrieren und dennoch nicht ins Rustikale zu verfallen. Das dreifach besternte «Jan» in München bekommt es prima hin; dort habe ich vor knapp zwei Jahren eine Sardine von der Algarve mit Limonenbaiser, Aioli und einem Hauch von Jalapeño-Schärfe zu essen bekommen: nicht weniger als grossartig.

Vom Berliner Tim Raue ist bekannt, dass er Schärfe gern und wiederholt in seine Speisen einbindet; das kann prima funktionieren, aber auch dominant sein. Vor allem ist die Schärfe am Ende eines langen Raue-Menus gern mal redundant. Vielleicht ist dies der Grund dafür, dass der Mann, aller Prominenz zum Trotz, bislang nicht den dritten Michelin-Stern ergattern konnte. Heiko Nieder und Peter Knogl haben Schärfe übrigens nie zum Markenzeichen gemacht, verstehen es aber, sie da und dort zu integrieren. Und dass Nieder den dritten Stern verdient, schrieb ich schon an anderer Stelle.

Und welcher Wein zum scharf durchzogenen Mahl?

Bei Tim Raue hatte ich einst Mühe, den Wein zu würdigen. Obwohl der Sommelier sein Handwerk verstand, blieben die Empfehlungen zu den scharf durchzogenen Gerichten problematisch, verloren die servierten Weine schnell an Komplexität. Ob das gewollt war? Beim Essen anlässlich des St.-Moritz-Gourmet-Festivals wusste man von vornherein um die Problematik. Der Weisswein von Cos d’Estournel passte halbwegs, der Rotwein gar nicht zum Essen. Das machte aber deshalb wenig, weil man die Gäste über die Problematik des Nichtperfektpassens informierte und weil die Weine im Anschluss an die Gänge doch noch richtig viel Spass machten – vor allem der rote 2008er Cos.

Mehr oder weniger süsse Weine mit knackiger Säure wären oft Alternativen, die funktionierten, aber die kommen leider nur bei wenigen Gästen an. Dann vielleicht lieber Cocktails anbieten, die mit ihrer eisigen Frische jede Schärfe in die Schranken zu weisen vermögen. In Mexikos Vorzeigerestaurant «Pujol» hätte ich neulich ein Cocktail-Pairing bestellen können, und vielleicht gibt es so was ja auch bei der nächsten Ausgabe des St. Moritzer Gourmetfestivals. Um den «siebten Geschmackssinn», die vom Szechuanpfeffer bekannte betäubende Wirkung auf der Zunge, könnte man sich im kommenden Jahr vielleicht auch gleich kümmern.

Exit mobile version