Das Buch «Apokalypse» des Neuen Testaments hat die Kunst vom Mittelalter bis in die jüngste Gegenwart inspiriert. Die Ausstellung in der Bibliothèque nationale lässt die Schreckensnachrichten von heute in ganz anderem Licht erscheinen.

Schreckensberichte und ihre Bilder beruhen auf realen Geschehen, an denen es heute alles andere als mangelt: Kriege, Erdbeben und Brände. Von alters her wurden Weltuntergangsszenarien aber auch ersonnen in Form von Prophezeiungen, sowohl von dem persischen Priester Zarathustra als auch im frühen Judentum oder im altgermanischen Glauben, der sinnreich den Begriff Weltenbrand prägte. In weiten Teilen Europas inspirierte dagegen vor allem auch die Bibel massgeblich den Weltuntergang, wie nun in der Ausstellung «Apokalypse – gestern und morgen» der Französischen Nationalbibliothek zu sehen ist.

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Ausgangspunkt ist das letzte, im 1. Jahrhundert verfasste und stellenweise kryptische Buch «Apokalypse» des Neuen Testaments. Allein seine Verzahnung von Gut und Böse, Evidenz und Symbolik sowie von Vergangenem, Gegenwärtigem und Zukünftigem fesselte unzählige Generationen von Künstlern. Im jeweiligen Stil ihrer Zeit und kraft ihres Temperaments haben sie nach seiner Lektüre teils eng an dieser Schrift bleibende Illustrationen, teils sich davon entfernende, freiere, assoziative Bilder hervorgebracht. In ihrem nach François Mitterrand benannten «Neubau» im Pariser Stadtteil Tolbiac hat die Bibliothèque nationale de France jetzt rund 300 Werke versammelt – aus eigenem Besitz sowie Leihgaben. Sie spannt damit einen Bogen vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart.

Dürers finstere Visionen

Man sieht viel Feuer und Zerstörung, Ungeheuer, Schwerter und Posaunen sowie etwa das ebenfalls in der Bibel vorkommende imaginäre Buch mit sieben Siegeln. Dem ursprünglichen, engeren griechischen Wortsinn gemäss geht es nicht primär um Katastrophenbilder und Horrorszenarien, die ins Nichts führen: Apokalypse meinte Enthüllung und nicht das Ende der Welt, sondern das Ende dieser Welt. So spielt vielmehr auch die erhoffte Klärung und Läuterung eine Rolle. Sowie eine neue, gleich einem Phönix aus der Asche sich erhebende, bessere Welt. Erhofft wurde das himmlische Jerusalem und daraus abgeleitete Konzepte.

Der Schau gehen die Zeilen «Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch» voran. Sie stammen aus dem Gedicht «Patmos» (1807) von Friedrich Hölderlin. Als ihr roter Faden dient der fast zweitausend Jahre alte, gleichermassen erschaudern lassende wie tröstliche, auf der Insel Patmos verfasste Bibeltext der «Apokalypse». Die komplexen textimmanenten und ikonografischen Zusammenhänge und Hintergründe werden dabei vorzüglich erläutert.

Fragment einer Tapisserie mit Szenen der Apokalypse, Paris, um 1380; Albrecht Dürer: «Die vier apokalyptischen Reiter», Ausgabe von 1511.

Die vor allem chronologisch strukturierte Präsentation setzt mit den ältesten Dokumenten ein: wertvollen Buchmalereien auf Pergament des 9. Jahrhunderts, wie sie in frühmittelalterlichen Klöstern entstanden. Darunter befindet sich die erste Bibel Karls des Kahlen aus Saint-Martin de Tours, die auf die Jahre 845–851 zurückgeht.

Zu bewundern sind auch grossformatige, aus dem Schloss von Angers kommende Fragmente leuchtend farbiger Tapisserien des 14. Jahrhunderts, die üblicherweise nicht ausgestellt sind. Einen ersten Höhepunkt in Schwarz und Weiss stellt Albrecht Dürers komplette Holzschnitt-Folge von 1498 der lateinischen Ausgabe «Apocalypsis cum Figuris» dar.

Dazu gehören die Blätter «Die vier apokalyptischen Reiter», «Die Hure Babylon auf dem scharlachroten Tier» und «Die Fesselung des Drachen und das Neue Jerusalem». Der Nürnberger Altmeister lehnte sich eng an «Die heimlich Offenbarung Iohannis» an, in der es heisst: «Dann sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, auch das Meer ist nicht mehr.» Damals wurde der Apostel und Evangelist Johannes noch unangefochten als Autor des prophetischen frühchristlichen Texts betrachtet.

Romantik und Mystizismus

Künstler späterer Jahrhunderte rückten von wörtlichen Übernahmen und einer recht isolierten Betrachtung der Schrift ab. Die biblische Apokalypse wurde nun zunehmend mit Ereignissen der Zeitgeschichte verwoben – Sozialkritik und Politik fliessen ein. So in Grafiken von Jacques Callot oder Francisco de Goya («Los desastres de la guerra»).

Wider Erwarten sind Rationalismus und Fortschrittsglaube des 19. Jahrhunderts kein Hemmschuh für die Beschäftigung mit dem Stoff. Romantik, Mystizismus und Symbolismus halten das Interesse daran wach. Über Aquarelle von William Blake und Lithografien von Odilon Redon gelangt man zu Henri Rousseaus breitformatigem Gemälde «La guerre» (um 1894). Es entstand genau zwischen dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914. Letzterer hat erneut die Weissagungen der Bibel in Erinnerung gerufen, wie Arbeiten von Otto Dix und George Grosz zeigen.

Die Schreckensvisionen im 20. Jahrhundert werden illustriert durch Werke von Wassily Kandinsky, Natalja Gontscharowa oder Philip Guston. Cineastische Beiträge zur Thematik sind Szenen aus «Faust – Eine deutsche Volkssage» von Friedrich W. Murnau, «Metropolis» von Fritz Lang oder Alain Resnais’ «Hiroshima, mon amour» nach dem Drehbuch von Marguerite Duras.

Natalja Gontscharowa: «Les images mystiques de la guerre», 1914, Lithografie; William Blake: «The Whore of Babylon», 1809, Aquarell und Tinte auf Papier.

Kiki Smith: «Earth», 2012, Tapisserie; Xie Lei: «Rescue», 2022, Gemälde.

Sind den einen Kriege, nukleare Katastrophen oder, wie für Ceija Stojka, das todbringende Auschwitz Anlass für Empörung und Verarbeitung von Traumata, setzen sich Jüngere mit der Verschmutzung und der klimatischen Veränderung unseres Planeten auseinander: ein Untergangsszenario, das von Wissenschaftern immer präziser nachgewiesen und selbst Laien immer spürbarer wird.

Ob sich die Hoffnung auf eine Katharsis tatsächlich erfüllt, die als Resultat später Einsicht zur Überwindung allen Übels führt, ist eine ebenso alte wie aktuelle Frage, ob man bibeltreu ist oder nicht. Die aus Marmor und Stahl bestehende Installation «Infinito» (1989) von Luciano Fabro gibt darauf keine Antwort. Sie entlässt die Besucher mit der Annahme, dass der Zyklus des Lebens sich, wie auch immer, fortsetzen wird, mit oder ohne Menschheit.

«Apocalypse. Hier et demain», Bibliothèque nationale de France, Paris, bis 8. Juni, Kat. 49 Euro.

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