Eine kontroverse Puccini-Premiere und die ungeklärte Frage der künftigen Leitung verraten viel über den Zustand des führenden deutschen Opernhauses.

Das Haus hat schon bessere Zeiten gesehen. Es sind sonderbare Monate, die die Bayerische Staatsoper und ihr Orchester gegenwärtig erleben. Die Entwicklung gipfelte zuletzt in einer Premiere von Puccinis «Tosca», wie es sie in dieser Form an diesem Ort noch nicht gegeben hat. Schon als der erste Akt vorüber war, hagelte es die ersten Buhrufe. Mit ihnen wurde nicht nur die bilder- und blutreiche Regie von Kornél Mundruczó bedacht, sondern auch die musikalische Leitung von Andrea Battistoni.

Gleichzeitig blieben der Gesang und das Bayerische Staatsorchester, beides sonst zentrale Kompetenzen dieser Bühne, deutlich hinter ihren Möglichkeiten zurück. Da polterte es irritierend aus dem Orchestergraben, übersteuert die Dynamik, stellenweise auch intonatorisch diffus das Zusammenspiel. Ob Charles Castronovo als Cavaradossi, Eleonora Buratto als Tosca oder Ludovic Tézier als Bösewicht Scarpia: Das brachiale Getöse unter Battistoni zwang die Sänger zu gesanglichem Überdruck.

Nicht richtig angekommen

Diese Neuproduktion markierte denn auch einen Tiefpunkt in der jüngeren Geschichte der Bayerischen Staatsoper. Die Fragen nach der Verantwortung für diese ungute Entwicklung werden nun noch lauter. Naturgemäss stehen dabei zwei Persönlichkeiten im Fokus, nämlich der Intendant Serge Dorny und der Generalmusikdirektor (GMD) Wladimir Jurowski. Die beiden wirken seit 2021 in München, und in dieser Zeit sind sie dort anscheinend immer noch nicht richtig angekommen.

So hat es Dorny bislang nicht geschafft, das Haus und das wichtige Stammpublikum hinter sich zu einen. Als Neuproduktionen überwiegen in seinen Spielplänen weiterhin Schattengewächse und viele unbekannte Werke, deren Pflege ehrenhaft ist, die sich aber in einem grossen Repertoirebetrieb kaum dauerhaft halten können. Dorny kopiert hier sein einstiges Erfolgsrezept an der Opéra National de Lyon, doch gezündet hat das in München bisher zu selten.

Jurowski schlägt sich dagegen mit internen Problemen herum. Selbst unter seinem Vor-Vorgänger Kent Nagano soll die Stimmung im Staatsorchester nicht so schlecht gewesen sein. Ein Grund scheint Jurowskis autoritäres Selbstverständnis als Dirigent zu sein. Tatsächlich ist er offensichtlich der – längst überholten – Ansicht, dass ein musikalischer Leiter jeden Moment einer Aufführung kontrollieren müsse. Das zeigte sich zuletzt am Montag, als er im Nationaltheater beim traditionellen Akademiekonzert des Staatsorchesters unter anderem Schumanns «Rheinische» dirigierte.

Jurowski ist ein Meister der Strukturgebung, gleichermassen in Form und Metrik, er entwickelt aber keine grossen Bögen, die Musik atmet nicht. Ein echtes Miteinander mit den Musikern kann so kaum entstehen. Als er im März die Premiere der «Passagierin» von Mieczysław Weinberg leitete, liess er sich bei einem Gesprächskonzert zum Thema «Oper und Demokratie» unerwartet tief in die Karten blicken. In der klassischen Musik sei Demokratie ein heikles Thema, sagte er da. Wo viele Menschen miteinander spielen oder singen wollten, müssten sie «einen Willen» ausüben. Grosse Dirigenten wie Claudio Abbado oder Bernard Haitink hätten das auf diese Weise weder formuliert noch praktiziert.

Vertragsverlängerung offen

Es scheint diesen und ähnlichen Umständen geschuldet, dass das zuständige bayrische Kunstministerium die Verträge von Dorny und von Jurowski seit Monaten noch immer nicht verlängert hat – im auffälligen Gegensatz zu denjenigen von Josef E. Köpplinger vom benachbarten Gärtnerplatztheater oder auch von Katharina Wagner bei den Bayreuther Festspielen. Seither brodelt die Gerüchteküche. Manches wurde inzwischen bestätigt. So hat sich Dorny bei den Salzburger Festspielen als möglicher Nachfolger von Markus Hinterhäuser ins Spiel gebracht. Mit der Vertragsverlängerung von Hinterhäuser ist die Sache vom Tisch, aber es bleibt ein schaler Nachgeschmack.

Dass Dorny mit der Bewerbung womöglich Druck auf das Ministerium ausüben wollte, hat ihm bei der Politik wie auch in der Kulturszene sicher nicht genützt. Ein anderes Gerücht spekulierte hingegen mit Joana Mallwitz als möglicher Nachfolgerin von Jurowski ab spätestens 2028. Ihr Akademiekonzert beim Staatsorchester Ende April avancierte demzufolge zu einem Medienspektakel. Selbst der bayrische Kunstminister war zugegen, als sie Mozarts «Linzer» KV 425 und die «Symphonie Pathétique» von Tschaikowsky dirigierte.

Mallwitz, heute Leiterin des Konzerthausorchesters in Berlin, wirkte von 2018 bis 2023 als GMD am Staatstheater Nürnberg und hat in dieser Funktion viel Aufsehen erregt. 2020 leitete sie, mitten in der Corona-Pandemie, als erste Frau eine Opernpremiere bei den Salzburger Festspielen, Mozarts «Così fan tutte». Man mag über ihren raumgreifenden Dirigierstil geteilter Meinung sein, aber das Staatsorchester hat ihre Impulse konzis aufgegriffen und ihr am Ende demonstrativ Beifall gespendet. Das heisst etwas, denn Mozart zählt neben Wagner und Richard Strauss zu den sogenannten Hausgöttern in München. Auf diesem Terrain bewegt sich Mallwitz stilsicher.

Neben ihr gäbe es fraglos weitere Persönlichkeiten, die München musikalische Impulse geben könnten, etwa den breit aufgestellten Antonio Pappano oder die einfühlsame Sänger-Dirigentin und Bayreuth-Debütantin von 2023, Nathalie Stutzmann. Gleichwohl mehren sich inzwischen die Signale, dass die Verträge von Dorny und Jurowski wohl doch verlängert werden. Eines steht indessen fest: An der Staatsoper und im Staatsorchester kann es auf diese Weise nicht weitergehen. Und bei der wichtigen GMD-Position sollte künftig auch das Orchester stärker einbezogen werden. Eine Ernennung von oben herab ist weder zeitgemäss noch künstlerisch verantwortlich.

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