Donnerstag, April 24

Bei geschiedenen Eltern ist die hälftige Kinderbetreuung nicht beliebt. Der Bundesrat hält es deshalb für verfehlt, dieses Modell im Gesetz vorzuschreiben, wie dies Parlamentarier fordern.

Dass sich auch Väter für ihre Anliegen medienwirksam in Szene setzen können, weiss man spätestens seit 2011. Damals veranstalteten Männerorganisationen abendliche Mahnwachen vor dem Bundeshaus und schickten Pflastersteine an das eidgenössische Justizdepartement, um ihrer Forderung nach dem gemeinsamen Sorgerecht für geschiedene Eltern Nachdruck zu verleihen. Mit Erfolg: Die gemeinsame elterliche Sorge nach Trennung und Scheidung wurde 2014 eingeführt und ist inzwischen zum familienrechtlichen Normalfall geworden.

Auch in einem weiteren wichtigen Punkt wurde den Anliegen der Väter entsprochen. Seit 2017 müssen die Gerichte in einem Scheidungs- oder Trennungsverfahren die Möglichkeit einer alternierenden Obhut prüfen, sofern ein Elternteil oder das Kind dies verlangt. Alternierende Obhut bedeutet, dass sich Mutter und Vater die Kinderbetreuung im Alltag teilen; in der Praxis gilt dies ab einem Betreuungsanteil von 30 Prozent. Allerdings gibt es von Männerseite Kritik daran, wie die neue Bestimmung umgesetzt wird. Die Gerichte seien zu zögerlich, heisst es. Die Obhut werde auch heute noch regelmässig allein der Mutter anvertraut, die Väter würden allzu oft mit einem Besuchsrecht abgespeist.

Neun von zehn Paaren finden eine Einigung

Mehrere Parlamentarier haben dazu Vorstösse eingereicht. Die alternierende Obhut müsse, wie schon das gemeinsame Sorgerecht, als Grundsatz im Zivilgesetzbuch statuiert werden. Kinder sollten gleich viel Zeit mit jedem der beiden Elternteile und deren Verwandtschaft verbringen, fordert etwa eine Motion des früheren Mitte-Nationalrats Marco Romano. Auch der Walliser Mitte-Nationalrat Sidney Kamerzin will die alternierende Obhut zum Regelfall machen und im Gesetz festhalten, dass die Weigerung eines Elternteils kein Grund sei, um von der geteilten Obhut abzusehen. Seine parlamentarische Initiative wird von beiden Rechtskommissionen unterstützt.

Eine andere Frage ist, inwiefern die Kritik an den Gerichten tatsächlich berechtigt ist. Der Bundesrat ist dem nachgegangen. In Erfüllung eines Postulats des freisinnigen Nationalrats Andri Silberschmidt hat er die Praxis der erst- und zweitinstanzlichen Gerichte nach 2017 evaluieren lassen. Dazu wurden fünf Kantone – Waadt, St. Gallen, Schwyz, Wallis und Zürich – vertieft angeschaut und Gespräche mit Richtern und Anwälten geführt. Zudem gab es eine gesamtschweizerische Befragung bei Eltern und Behörden zu ihren Erfahrungen mit der alternierenden Obhut.

Das Fazit: Es besteht kein Grund zur Sorge und folglich kein Grund für eine Gesetzesänderung. Die Analyse der Gerichtspraxis hat ergeben, dass sich die allermeisten Elternpaare über die Obhut einvernehmlich einigen: In rund 90 Prozent der Fälle finden Mutter und Vater zusammen zu einer Lösung, in welchem Umfang sie sich nach der Trennung um das Kind kümmern wollen. Wenn gestritten wird, dann eher über Dinge wie einen zusätzlichen Abend oder eine zusätzliche Ferienwoche.

Klar ist, dass die alternierende Obhut für getrennte Eltern nicht das erste Modell ist, das sie wählen. Laut Bundesrat hat dies vor allem damit zu tun, dass die Voraussetzungen anspruchsvoll sind, um ein Kind abwechslungsweise zu betreuen. Vielleicht wohnen die Eltern zu weit voneinander entfernt, vielleicht ist der eine beruflich viel stärker eingespannt als der andere und kann nicht regelmässig zum Kind schauen – es gibt viele Gründe, warum man die Betreuung anders regelt. Kommt hinzu, dass die alternierende Obhut auch eine finanzielle Frage ist; sie ist denn auch bei Eltern mit höherer Bildung und in der Regel besserem Verdienst verbreiteter.

Gerichte bevorzugen Mütter nicht

Die Untersuchung zeigt weiter, dass der Vorwurf an die Gerichte, sie würden die alternierende Obhut behindern, unzutreffend ist. So kommt es sehr selten vor, dass ein Vater allein einen Antrag auf alternierende Obhut stellt – bei den befragten Gerichten lassen sich die Fälle, wenn es sie denn überhaupt gab, an einer Hand abzählen. Von Mutter und Vater gemeinsam eingereichte Anträge werden von den Gerichten nie abgelehnt. Auch wenden sich Väter oder Mütter wegen der Obhut nur sehr vereinzelt an die nächste Instanz, wobei es laut Bundesrat «keinerlei Hinweise gibt, dass den Anliegen der Mütter oder denjenigen der Väter mehr Verständnis entgegengebracht würde». Es sind also nicht die Gerichte, die sich gegen die alternierende Obhut stellen, sondern die Eltern selber.

Gleichzeitig hat sich in den letzten Jahren beim Besuchsrecht viel getan. Galt für geschiedene Männer früher die Regel, dass sie ihre Kinder jedes zweite Wochenende sehen, ist die Situation heute eine andere. Die Väter beteiligen sich deutlich mehr an der Kinderbetreuung. Und auch wenn die Kinder (fast) immer nur bei einem Elternteil wohnen, hat der Grossteil von ihnen viel Kontakt zum anderen.

Der Bundesrat hält es angesichts dieser Erkenntnisse für verfehlt, die alternierende Obhut als starre Regel im Gesetz zu statuieren, sozusagen gegen die Interessen der Eltern. Er verweist dazu auf die liberale Einstellung des Familienrechts. Gleichzeitig will er die egalitäre Aufteilung der Kinderbetreuung auf andere Weise fördern. Offen bleibt, warum dies eine Staatsaufgabe sein soll.

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