Mittwoch, Oktober 9

In Frankfurt hat der wichtigste Prozess gegen mutmassliche Hochverräter und Terroristen um Heinrich XIII Prinz Reuss begonnen. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft gab Einblicke in die teilweise skurrilen Erwartungen der Möchtegern-Umstürzler.

Das silbergraue Haar nach hinten frisiert, weisses Hemd unter blauem Rundkragen-Pullover und dunkelblauer Anzug: So erschien Heinrich XIII. Prinz Reuss am Dienstag im Gerichtssaal. Der Mann hätte einmal oberster Machthaber in Deutschland werden sollen, denn er gilt zusammen mit Rüdiger von Pescatore als einer der Rädelsführer eines geplanten Putschversuchs gegen die gewählte deutsche Regierung.

Mit Prinz Reuss und von Pescatore stehen sieben weitere mutmassliche Hochverräter und Terroristen überwiegend aus der Reichsbürgerszene vor Gericht. Bei ihnen handelt es sich um Oberst a. D. Maximilian E., Michael F., Johanna F.-J., Hans-Joachim H., Peter W. und die frühere Richterin und AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann sowie Vitalia B. Verhandelt wird in Frankfurt am Main vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG).

Insgesamt 26 Angeklagte bei drei Prozessen

Die Bundesanwaltschaft wirft den neun Angeklagten, die allesamt einzeln und eng begleitet von jeweils zwei Justizbeamten in den Verhandlungssaal geführt wurden, die Bildung beziehungsweise Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens vor. Dabei hätten sie unter anderem sogar den Deutschen Bundestag stürmen wollen, mit dessen Auskundschaftung sie schon begonnen hätten. Hinzu kommen teilweise Verstösse gegen das Waffengesetz und Kriegswaffenkontrollgesetz.

Das Ziel der Vereinigung sei es gewesen, die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland zu beseitigen und durch eine in Grundzügen bereits ausgearbeitete neue Staatsform zu ersetzen. Prinz Reuss und die anderen Angeklagten verfolgten die Verlesung der Anklage nach aussen emotionslos und gelassen, lediglich Johanna F.-J. schüttelte immer mal wieder den Kopf und machte sich wohl über die aus ihrer Sicht vermutlich falschen Vorwürfe lustig. Sie hatte als einzige ihr Gesicht verborgen, solange noch Kameras im Saal erlaubt waren.

Mit dem Verfahren in Frankfurt hat der wichtigste von drei Reichsbürger-Prozessen mit insgesamt 26 Beschuldigten begonnen. In der Stadt am Main steht die mutmassliche Führungscrew der Putschisten-Vereinigung um Prinz Reuss und Rüdiger von Pescatore vor Gericht. Am 29. April hatte in Stuttgart bereits der Prozess gegen den angeblichen «militärischen Arm» der Gruppe begonnen, und ab 18. Juni stehen weitere mutmassliche Beteiligte aus der Reichsbürger- und Verschwörungsszene in München vor Gericht.

Eigens errichtete Leichtbauhalle für Mammutprozess

Für den Frankfurter Prozess wurde aufgrund der vielen Teilnehmer und dem erwarteten Andrang von Medien und Zuschauern am Stadtrand im Ortsteil Sossenheim extra eine graue Leichtbauhalle als Aussenstelle des Oberlandesgerichts errichtet. Sie ist mit einem Stacheldrahtzaun und zahlreichen Videokameras umgeben und wird von einem Grossaufgebot an Polizisten geschützt. In dem Mammutprozess kommen auf die neun Beschuldigten insgesamt 25 Verteidiger. Die Anklageschrift beträgt 617 Seiten. Die Prozessakten umfassen rund 800 Ordner, es wird mit mehr als 250 Zeugen in einem jahrelangen Prozess gerechnet.

Laut Anklage der Bundesanwaltschaft liefen die Planungen der Verschwörer ab Juni 2021. Sie endeten mit einem grossangelegten Zugriff der Strafverfolger am 7. Dezember 2022. Die Beschuldigten haben eine tiefe Ablehnung der staatlichen Institutionen und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verbunden, hiess es. Sie seien einer Mischung verschiedener Verschwörungsmythen gefolgt, bestehend aus Narrativen der Reichsbürger- und Selbstverwalterszene sowie der QAnon-Ideologie.

Darüber hinaus seien die Angeklagten fest davon überzeugt gewesen, dass Deutschland von Angehörigen eines «Deep State» regiert werde. Befreiung hätten sie sich von einer sogenannten «Allianz» versprochen, einem technisch überlegenen Geheimbund von Regierungen, Nachrichtendiensten und Militärs verschiedener Staaten einschliesslich der Russischen Föderation und der Vereinigten Staaten von Amerika. Zur Russischen Föderation habe es eine besondere Zugewandtheit gegeben.

Die Verschwörer haben aus Sicht der Staatsanwaltschaft ihre Umsturzpläne ab dem Jahreswechsel 2021/22 stärker konkretisiert. Sie führten beispielsweise wiederholt Schiesstrainings durch, beschafften und verteilten Satellitentelefone zur Kommunikation nach dem Tag X und planten, Deutschland danach vorübergehend durch eine Militärdiktatur zu führen. Grosse Unsicherheit habe allerdings darüber bestanden, wann und wie die externe «Allianz» losschlagen werde, wann also der Tag X kommen würde.

Tod von Queen Elizabeth II als mögliches Indiz

Zum Teil wurden täglich nationale und internationale Ereignisse dahingehend geprüft, ob sie ein Indiz für das Losschlagen der Allianz sein könnten. Ab Sommer 2022 bereiteten sich die Umstürzler immer intensiver auf den Tag X vor, beispielsweise in dem sie sich vermehrt Waffen und Munition verschafften.

Als die britische Königin Queen Elizabeth II am 8. September 2022 im Alter von 96 Jahren verstarb, deuteten dies einige Mitglieder laut Staatsanwaltschaft als Indiz, dass der Angriff der Allianz unmittelbar bevorstehe. Einige seien davon ausgegangen, dass dies innerhalb von 48 Stunden erfolgen werde. Dabei hätten sie erwartet, dass das Erscheinen der Allianz mit einem grossflächigen Stromausfall einhergehen werde.

Immer wieder hätten die Angeklagten auch probiert, Kontakt zu hohen amtierenden Militärs der Bundeswehr aufzunehmen, um sie zu rekrutieren. Diese reagierten oftmals entweder nicht auf Kontaktaufnahmen oder informierten den Militärischen Abschirmdienst (MAD). Zudem versuchten Mitglieder der terroristischen Vereinigung vergeblich, aktive Mitglieder des Kommandos Spezialkräfte (KSK) zu gewinnen, einer Spezialeinheit der Bundeswehr.

Ab Sommer 2022 sei es auch zu internen Machtkämpfen gekommen, besonders zwischen dem politischen und militärischen Arm. Dabei waren die Protagonisten Prinz Reuss auf der einen und von Pescatore auf der anderen Seite. Letzterer soll Prinz Reuss vorgeworfen haben, mit der Rückgewinnung früherer familiärer Grundstücke eigene Partikularinteressen zu verfolgen, während dieser umgekehrt an der Zuverlässigkeit des von Pescatore gezweifelt habe.

Soweit bisher ersichtlich, verbindet alle Angeklagten eine starke Aversion gegen die staatlichen Freiheitseingriffe während der Corona-Pandemie, zum Teil kombiniert mit dem Wunsch, eine wahrgenommene Überfremdung zu stoppen. Einige der Angeklagten investierten hohe Geldbeträge, um ihre Vorhaben voranzubringen.

Erste Erklärungen der Angeklagten am Donnerstag

Der Prozesstag hatte mit einer bei solchen Verfahren üblichen Flut von Anträgen der Verteidiger begonnen. Diese verschob der Vorsitzende Richter Jürgen Bonk überwiegend an das Ende des bis in den frühen Abend währenden Verhandlungstages, da er zuerst die Anklageschrift verlesen lassen wollte. Die Anträge betrafen meist die Ablehnung eines oder mehrerer Richter, den Wunsch nach einer audiovisuellen Aufzeichnung des Verfahrens, die angebliche Behinderung der Verteidigung oder die Tatsache, dass gegen die «Gruppe Reuss» zum Nachteil der Angeklagten an drei Gerichten zugleich verhandelt wird.

An diesem Donnerstag wird das Verfahren vermutlich mit weiteren Anträgen fortgesetzt. Zudem soll es die ersten schriftlichen Erklärungen und Einlassungen der Angeklagten geben, die über die Verteidiger erfolgen sollen. Mehrere Beschuldigte wollen sich zu den Vorwürfen äussern oder haben sich das zumindest offengelassen. Nur von Pescatore und Peter W. liessen mitteilen, sich nicht zur Sache äussern zu wollen.

Sie können dem Frankfurter Wirtschaftskorrespondenten Michael Rasch auf den Plattformen X, Linkedin und Xing folgen.

Exit mobile version