Donnerstag, November 14

Das Immunsystem ist doppelt clever. Vor Ort bekämpft es Erreger und repariert Gewebeschäden. Und in Zusammenarbeit mit dem Gehirn sorgt es dafür, dass unser Körper die nötige Ruhe bekommt.

Immer wenn ich krank bin, werde ich müde. Egal ob es sich um eine harmlose oder eine ernstere Erkrankung handelt. Ich rolle mich im Bett zusammen, tapse nur gelegentlich in Küche, Bad und zum Arzneischränkchen, allenfalls lese ich ein wenig. Einige Tage später tauche ich zwar schlapp, aber insgesamt deutlich frischer wieder auf, das Schlimmste ist dann meist überstanden. «Schlaf dich gesund, mein Kind», sagte schon meine Mutter zu mir. Und meine Oma zu ihr. Und ich zu meinen Kindern.

Dass dies nicht nur eine Weisheit von Müttern ist, die ihre hustenden und fieberheissen Kinder sicher verstaut sehen wollen, belegen mehrere wissenschaftliche Untersuchungen. Unser Immunsystem und unser Gehirn sind ständig in einem intensiven Austausch. Folgerichtig meldet das Immunsystem dem Zentralcomputer auch schwere Entzündungen. Eine neue Untersuchung an Menschen und Mäusen zeigt nun detailliert auf, wie das bei einem Herzinfarkt oder auch anderen schweren Durchblutungsstörungen abläuft. Und warum dadurch tiefer Schlaf ausgelöst wird.

Die wichtigen Aufgaben von Fresszellen

Bei einem Herzinfarkt gibt es Gewebeschäden. Es müssen also viele kaputte Zellen aufgeräumt werden. Das erledigen Immunzellen mit dem schönen Namen Fresszellen. Werden sie durch die lokale Entzündung nach einem Herzinfarkt aktiviert, eilen einige von ihnen ins Hirn. Dort schütten sie verschiedene Moleküle aus. So erkennt das Gehirn, was da unten in der Peripherie los ist und wie gross der Schaden ist.

Manche dieser Botenmoleküle gelangen auch in das Schlafzentrum. Dort angekommen, lösen sie längere Phasen von Tiefschlaf aus. Dieser Schlaf unterstützt die Heilung.

Denn im Schlaf geht die Herzfrequenz zurück, der Blutdruck sinkt. Das Herz muss also weniger arbeiten. Das Immunsystem kann somit die Schäden effizienter und vor allem schneller reparieren. Wurden Mäuse nach einem Herzinfarkt daran gehindert, lange und tief zu schlafen, dauerte die Heilung länger und war weniger umfassend. Die Herzfunktion verschlechterte sich in den kommenden Wochen.

Auch Patienten, die nach einem Infarkt oder anderen Herzstörungen schlecht oder nur wenig schlafen konnten, wiesen eine schlechtere Heilung und Herzleistung auf als die guten Schläfer.

«Dass lange Tiefschlafphasen für die Heilung wichtig sind, das gilt nicht nur nach einem Herzinfarkt», sagt die Biologin Rachel Rowe, die an der University of Boulder über die Zusammenhänge zwischen Schlaf und Gehirnerkrankungen forscht. «Wir wissen, dass die Fresszellen auch nach einer Gehirnerschütterung, einem Schlaganfall oder auch viralen und bakteriellen Infektionen ins Gehirn wandern.» Wenn Versuchstieren die Botenstoffe der Fresszellen direkt ins Hirn injiziert werden, schlafen sie danach lange und vor allem tief.

Chronische Entzündungen verursachen Fatigue

Allerdings kann das System auch kippen: Bei chronischen Entzündungen kann es zu einer langanhaltenden Aktivierung des Schlafzentrums kommen. Dann leiden die Betroffenen unter starker, nicht enden wollender Müdigkeit, die nicht mehr heilt, sondern nur noch auslaugt.

Ich werde jetzt bei der nächsten Erkältung mit noch besserem Gewissen lange schlafen. Auch in Spitälern und Pflegeeinrichtungen sollte man sich die neuen Erkenntnisse zu Herzen nehmen: Fiebermessen morgens um sechs ist nicht nur nervig, sondern auch gesundheitsschädlich.

In der wöchentlichen Rubrik «Hauptsache, gesund» werfen die Autorinnen und Autoren einen persönlichen Blick auf Themen aus Medizin, Gesundheit, Ernährung und Fitness. Bereits erschienene Texte finden sich hier.

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