Dienstag, März 4

Die Suchtmittelindustrie profitiert, doch die volkswirtschaftlichen Kosten sind hoch: Die Stiftung Sucht hat ihre jährlichen Erkenntnisse zum Suchtverhalten in der Schweiz veröffentlicht.

Des einen Brot, des anderen Tod. So könnte man den Bericht «Suchtpanorama 2025» der gemeinnützigen Stiftung Schweiz etwas zynisch zusammenfassen. Die Suchtmittelindustrie erwirtschafte einen grossen Teil ihres Umsatzes auf Kosten von Menschen mit einem problematischen Konsum, heisst es darin. Das Leid der Betroffenen wiederum generiert hohe Kosten für die Allgemeinheit. Diese betragen laut jüngsten Schätzungen knapp 8 Milliarden Franken pro Jahr. 10 000 Menschen sterben jedes Jahr aufgrund von Suchtmitteln.

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«Es ist nicht akzeptabel, dass Gewinne privatisiert und die Schäden auf die Allgemeinheit abgewälzt werden», schreibt die Direktorin von Sucht Schweiz, Tania Séverin. Zwar profitiere vor allem die AHV, aber auch die Bundeskasse von Steuerabgaben und Ausschüttungen der Suchtmittelindustrie in Höhe von etwa 3,5 Milliarden Franken jährlich. Doch gleichzeitig soll die Bevölkerung vor den Folgen von potenziell süchtig machenden Substanzen und Spielen geschützt werden.

45 Flaschen Wein, 119 Dosen Bier und noch der Schnaps

Ein grosser Anteil der Suchtprobleme ist auf Alkohol zurückzuführen. Das spiegelt sich auch in den Erfahrungen der Suchthilfe-Einrichtungen wider. Die Hälfte der abhängigen Personen, die sich 2023 in professionelle Hilfseinrichtungen begaben, wurde hauptsächlich wegen Alkoholproblemen behandelt.

Rauschtrinken bleibt ein verbreitetes Phänomen in der Schweizer Bevölkerung. 2023 kaufte jede Person der Wohnbevölkerung ab 15 Jahren im Durchschnitt 8 Liter reinen Alkohols. Durchschnittlich trank damit jeder Schweizer 45 Flaschen Wein (à 0,75 Liter), 119 Halbliter-Dosen Bier, fünf Flaschen Spirituosen à 0,7 Liter und zwei Flaschen Obstwein. Es sind allerdings 12 Prozent der Bevölkerung ab 15 Jahren, die die Hälfte des gesamten Alkohols konsumieren. Ein Viertel allen Alkohols wird von nur 4 Prozent getrunken.

1500 Todesfälle, die auf Alkohol zurückzuführen sind, werden pro Jahr registriert. Krebs und Leberzirrhosen, aber auch Unfälle spielen eine Rolle. Bei der Hälfte der untersuchten Gewaltdelikte im öffentlichen Raum ist Alkohol ein Faktor. Die Stiftung Sucht wirft der Politik vor, untätig zu bleiben im Kampf gegen den Alkoholmissbrauch. Die Verantwortung für missbräuchlichen und übermässigen Konsum werde einseitig den Konsumenten zugewiesen.

Stiftung Sucht fordert, die Alkoholbesteuerung zu überdenken. Mindestpreise gegen Billigstalkoholika könnten vor allem Jugendliche und Personen mit Alkoholproblemen besser schützen. Zudem brauche es ein Nachtverkaufsverbot, wie es bereits in den Kantonen Genf und Waadt gelte. Dort seien seit der Einführung des sogenannten «régime de nuit» weniger Spitaleinlieferungen aufgrund von Alkoholvergiftungen registriert worden.

Gesundheitswarnungen auf Flaschen und Dosen seien sinnvoll. Jugendliche müssten besonders geschützt werden. Alkoholwerbung dürfe diese Altersgruppe nicht erreichen, zudem müsse das Verkaufsverbot strikt umgesetzt und überwacht werden.

Tabaklobby mit grossem Einfluss

Auch beim Thema Nikotinsucht konzentriert sich der Bericht auf das Verbot von Werbung, um Jugendliche zu schützen. In der Schweiz raucht ein Viertel der Bevölkerung mindestens gelegentlich, 16 Prozent täglich. Das Parlament sei verpflichtet, die Initiative «Kinder ohne Tabak» umzusetzen. Sollten Ausnahmen des Verbots der Tabakwerbung möglich bleiben, würde die Verfassung verletzt. Um den Nikotinkonsum nicht nur auf E-Produkte umzulenken, sondern bestenfalls ganz auszusetzen, müssten die Kosten für medizinische Nikotinersatzprodukte von den Krankenkassen übernommen werden. Die Studie führt Zahlen von 2017 an, laut denen die volkswirtschaftlichen Kosten allein durch (Passiv-)Rauchen fast 4 Milliarden Franken pro Jahr betrugen, davon 3 Milliarden für das Gesundheitswesen.

Zwar schreibt das Tabakproduktegesetz, das am 1. Oktober letzten Jahres in Kraft trat, unter anderem ein Mindestalter von 18 Jahren für die Abgabe sämtlicher Nikotinprodukte vor. Die Altersgrenze muss streng umgesetzt werden. Auch E-Zigaretten sind neu in den Passivrauchschutz einbezogen. Dennoch sei der Einfluss der Tabaklobby auf die hiesige Politik weiter gross.

Die Studie weist zudem darauf hin, dass sich in jüngerer Zeit vor allem junge Menschen unter 25 Jahren wegen eines problematischen Konsums von Schlaf- und Beruhigungsmitteln in Behandlung begäben. Auch opioidhaltige Schmerzmittel erwiesen sich als Problem. Ältere Menschen, Bewohnerinnen und Bewohner von Alters- und Pflegeheimen, Asylbewerber und Gefängnisinsassen zählten zu den Risikogruppen bei Medikamentenmissbrauch.

Die Stiftung fordert eine bessere Aufklärung, was diese sogenannten psychoaktiven Medikamente angeht. Gesundheitspersonal müsse sensibilisiert werden, ebenso Lehrkräfte. Die Entwicklung des elektronischen Patientendossiers sei eine Chance, für mehr Sicherheit und Transparenz bei der Abgabe von psychoaktiven Medikamenten zu sorgen.

Spielschulden erdrücken Haushalte

Was das Glücks- und Geldspiel betrifft, stammt rund ein Drittel der Einnahmen der Geldspielbetreiber von den fünf Prozent Spielern mit problematischer Nutzung. Besonders Online-Glücksspiele sowie Sportwetten und Automatenspiele bärgen Suchtpotenzial. Laut der Schuldenberatung Schweiz hat jede von Spielsucht betroffene Person durchschnittlich 116 000 Franken Schulden.

Die Studie weist auf mögliche Interessenkonflikte hin. So kommen Verluste, die Spieler bei Schweizer Glücksspielanbietern erleiden, gemeinnützigen Zwecken auf Kantonsebene sowie der AHV zugute.

Die Stiftung fordert eine bessere Kontrolle von illegalen Glücksspielanbietern, illegale Websites müssten schneller gesperrt werden. Jugendliche müssten vor jeglicher Werbung geschützt werden.

Auch bei den sozialen Netzwerken und Video-Games verortet der Bericht Handlungsbedarf. Einige digitale Produkte seien so gestaltet, dass sie süchtig machten. Die Industrie dürfe sich weitgehend selbst regulieren. Dagegen müssten Massnahmen ergriffen werden. Zudem müsse die Medienkompetenz bei Kindern und Teens, aber auch bei Erwachsenen gefördert werden.

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